© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/13 / 01. Februar 2013

Die Ehe als Gegenmodell
Der Ausweg: Liebe leben
Friederike Hoffmann-Klein

Familie und Beruf, beides ist wichtig, aber Vorrang hat die Familie, denn die ist mir sehr wichtig.“ Diese Äußerung ist in letzter Zeit häufiger zu hören, von Frauen und von Männern. Offenbar handelt es sich bei diesem Befund aber wohl mehr um ein Wunschbild, denn die tatsächliche Lebenswirklichkeit sieht anders aus, und wir würden nicht über zuwenig Kinder klagen. Ohnedies gilt es als kaum zu hinterfragender Konsens in unserer Gesellschaft, daß Frauen gegenüber den Männern benachteiligt sind, weil sie als Mütter beruflich Abstriche machen müssen. So analysiert etwa Julia Wittenhagen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, daß Mütter ungeachtet einer sehr kurzen Babypause in der „Teilzeitfalle“ steckten (4. März 2012).

Als Folge eines Feminismus, wie er in den siebziger Jahren von Alice Schwarzer geprägt wurde, ist ein negatives Bild der Mutterrolle entstanden. Als ob diese ein Relikt aus vergangenen, männlich dominierten Zeiten wäre, von dem sich „frau“ so schnell wie möglich distanzieren sollte. Tatsächlich hat auch die Mutterrolle sehr viel mit Selbstverwirklichung zu tun. Das gilt keineswegs nur für Frauen, die sonst keine Möglichkeit hätten, ihr Leben sinnvoll zu gestalten.

Das Frau- und Muttersein ist keine Rolle, sondern mehr ein Wesensmerkmal. Im Rahmen einer gelungenen Persönlichkeitsentwicklung geht es darum, erst einmal die eigene Identität als Mann oder Frau zu entwickeln. Aber abgesehen davon: Gibt es wirklich überzeugende Argumente, die es verbieten würden, unterschiedliche Rollen von Männern und Frauen anzuerkennen?

Bei Gender-Ideologen löst bereits der Gedanke an typisches Spielzeug für Mädchen eine Art von Hysterie aus. Als Symbol hierfür steht die Farbe Pink, als Inbegriff all dessen, was es zu verteufeln gilt. Das Dogma Alice Schwarzers, daß diese Art von Ungleichheit zu Unterdrückung und folglich zu Ungerechtigkeit führe, ist jedoch nicht überzeugend. Bestehen Unterschiede zwischen Mann und Frau – und hiervon ist auch nach dem aktuellen Stand der Hormonforschung auszugehen –, so wäre vielmehr eine Sichtweise, die diese Unterschiede leugnet oder einzuebnen versucht, ein Verstoß gegen den allgemeinen Grundsatz, daß Ungleiches nicht gleich behandelt werden darf. Die Tatsache, daß eine Frau Mutter sein kann und es auch sein will, darf nicht einfach ignoriert werden. Ein moderner Feminismus hat diese Tatsache zu berücksichtigen. Daß sich hieraus wahrscheinlich, zumindest für eine gewisse Zeit, solange die Kinder klein sind, unterschiedliche Schwerpunkte im Leben von Männern und Frauen ergeben, ist nicht die Folge einer patriarchalischen Unterdrückung der Frau, sondern ein rein faktischer Umstand.

Sicher ist manches „Rollenverhalten“ bis zu einem gewissen Grade auch gesellschaftlich geprägt, die modernen Väter verhalten sich heute anders als noch die Generation unserer Väter, die sich oft an der Erziehung der Kinder zuwenig beteiligt hat. Auf der anderen Seite darf es Unterschiede geben. Kleine Jungen lieben Autos, Traktoren und Lastwagen mehr als Puppen und meist auch mehr als Tiere. Diese Erfahrung macht jede Jungenmutter, sowenig sie darauf auch vorbereitet sein mag. Warum soll man das in Frage stellen? Weil man in ängstlicher Unfreiheit diese unterschiedlichen Interessen für die Vorboten späterer Benachteiligung und Ungleichheit hält? Hier gilt es, sich wieder bewußt zu machen, daß die Identität auch durch das Geschlecht geprägt und dies etwas Positives ist. Die Gründlichkeit, mit der bereits Kindergartenkinder heute zu „Unisex-Wesen“ erzogen werden sollen, ist nicht begreiflich. Was wird aus dem in feministischer Weise veränderten Mann? Gibt es ihn überhaupt in der Realität? Oder ist das nicht vielmehr eine von außen an ihn herangetragene Vorstellung?

Birgit Kelle („Es ist kompliziert“, JF 48/12) ist zuzustimmen: Einen solchen Mann, wie er aus feministischer Perspektive als Ideal gelten muß – das der Frau unterlegene, am Kindermaltisch sitzende „Weichei“ –, will keine Frau wirklich haben. Aber ein solches Männerbild ist feministisch konsequent. Sex und Zärtlichkeit, das sind dann die entscheidenden Kriterien für die Auswahl eines Mannes und für eine Beziehung. Anregung auf intellektuellem Gebiet kann sich eine Frau ja anderswo holen. Liegt darin nicht ein Widerspruch? Wie kann man einerseits die Klugheit der Frauen hervorheben, ihr aber einen solchen Mann als Partner zuschreiben, der ihr intellektuell und in jeder Hinsicht unterlegen ist? Dann müßte man doch wohl eher Verständnis dafür haben, daß eine Frau auch auf geistiger Ebene nach einem wirklichen Partner sucht, nach jemandem, der ihr ebenbürtig ist. Das muß man nicht, wie Birgit Kelle, der Biologie zuschreiben. Ist es nicht vielmehr gerade Ausdruck der auch geistigen Natur des Menschen?

Die Debatte um das Betreuungsgeld hat mit aller Deutlichkeit gezeigt: Feminismus und Wirtschaft sind eine „unheilige Allianz“ eingegangen. Der Druck auf Frauen, die Phase der Unterbrechung ihrer beruflichen Tätigkeit nach der Geburt eines Kindes möglichst kurz zu halten, wird, wie jetzt erneut die Forderung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände nach einer Verkürzung der Elternzeit auf zwölf Monate gezeigt hat, immer größer. Freiheit sieht anders aus. Die Pluralität der Lebensentwürfe, die sonst für alle gesellschaftlichen Bereiche höchstes Prinzip ist, gilt ausgerechnet hier nicht.

Sicher, es gibt immer noch die Einschätzung, die eine berufstätige Mutter als „Rabenmutter“ abqualifiziert. Es gibt aber auch Frauen, die alle Kraft ihres Selbstbewußtseins zusammennehmen müssen, um die Verachtung und Diskriminierung auszuhalten, die ihnen seitens Medien und Politik entgegenschlägt, wenn sie ihren Schwerpunkt in der Familienarbeit sehen wollen. Sich als „Hausfrau“ erkennen zu geben, erfordert in einer Zeit, in der das EU-Parlament die Initiative ergreift, „Geschlechterklischees“ in der Werbung zu verbieten, fast schon Mut. Es gibt sie: moderne Frauen, die sich verzweifelt fühlen, weil da eine gewaltige Diskrepanz besteht zwischen dem, was sie als Mütter leisten und der gesellschaftlichen Wertschätzung dieser Leistung. Laut einer 2011 vom Weltmütterverband (Mouvement Mondial des Mères) in Auftrag gegebenen und im Straßburger Europaparlament vorgestellten Studie ist es eine große Mehrheit der Mütter in Europa, die sich wünscht, in den ersten Lebensjahren ihrer Kinder präsent zu sein, und die an die Politik die Forderung nach größerer finanzieller und ideeller Anerkennung stellt.

Also doch ein Rückfall in überholte Rollenbilder? Wohl kaum. Sind es doch gerade hochqualifizierte, akademisch gebildete Frauen, die sich in dieser Weise geäußert haben. Der verzweifelte Kinderwunsch so vieler Paare, die sich oft über Jahre hinweg vergeblich bemühen, ein Kind zu bekommen, zeigt darüber hinaus, daß ein Kind auch in der modernen Lebensplanung noch ein erstrebenswertes Ziel ist.

Es geht deshalb zu weit, wenn der Feminismus die alleinige Deutungshoheit darüber beansprucht, wie Frauen zu leben haben. Zeit für eine neue Perspektive also, die eine mehr ideologisch geprägte zugunsten einer wirklichkeitsnäheren Sichtweise aufgibt. Daß eine Frau nicht erwerbstätig sein kann, weil sie niemanden hat, der ihre Kinder betreut, ist sicher nicht richtig. Nicht akzeptabel ist es aber auch, wenn eine Frau aus finanziellen Gründen gezwungen ist, arbeiten zu gehen, wenn ihr Kind noch sehr klein ist und sie keine Chance hat, die kostbare und für die positive Entwicklung des Kindes so überaus wesentliche Phase unmittelbar mitzuerleben und im Alltag zu gestalten.

Die heute an Frauen gestellte Erwartung, Familie und Beruf vereinbaren zu können (und keine Frau kann sich dem ganz entziehen), setzt Frauen einer Doppelbelastung aus, die der Verwirklichung des durchaus vorhandenen Wunsches nach (mehreren) Kindern Grenzen setzt. Berufliche Arbeit ist wichtig und erfüllend, ohne Zweifel. Aber muß eine Frau alles gleichzeitig tun? Sie muß es, um sich auf der Höhe der Zeit zu fühlen. Man begnügt sich nämlich nicht damit, einen mehr familienorientierten Lebensentwurf in Frage zu stellen und als Rückkehr in die Biedermeierzeit zu verspotten, nein, einer solchen Frau wird häufig von vornherein abgesprochen, modern, emanzipiert und auf der Höhe der Zeit zu sein.

Ehe und Familie gelten demgegenüber in der gesellschaftlichen Wertschätzung heute als reine Privatsache. Dabei ist es gerade die Ehe, die als eine Art Gegenmodell für den von feministischer Seite für unausweichlich gehaltenen „Geschlechterkampf“ gesehen werden kann. Ehe ist ein Weg der Selbstverwirklichung. Verwirklicht wird die im Menschen mit seiner geschlechtlichen Identität angelegte Möglichkeit, über sein eigenes Ich hinauszutreten und zu einem Teil eines Wir zu werden (ohne natürlich die eigene Identität in irgendeiner Weise aufzugeben). In dieser, in der Ehe erreichbaren, vollkommenen Stufe der Gemeinsamkeit bietet die Ehe Befriedung im Kampf der Geschlechter. Gleichgeschlechtliche Liebe wäre jedenfalls kein Ausweg aus dem Dilemma eines „Geschlechterkrieges“. Hier fehlt das andere Geschlecht, das Andersartige, der Gegenpol, mit dem der Mensch zu einem „Ganzen“ im Sinne des platonischen Gleichnisses wird, und damit eine wesentliche Dimension.

Ohne die transzendente Perspektive ist letztlich nicht mehr vermittelbar, daß der Mensch als Mann und Frau geschaffen ist. Auch ein Verständnis von Ehe als einer dem Menschen gestellten Aufgabe ist ohne die Möglichkeit der Transzendenz nicht vorstellbar. Nur im Hinblick auf diese Dimension wird verständlich, daß Liebe keine menschliche Erfindung ist, kein Produkt der Evolution, sondern daß der Mensch seiner Bestimmung entspricht, wenn er liebt, wenn er Liebe in der Ehe lebt und verwirklicht. Mit einer Liebe, deren letzter Ursprung in Gott gesehen werden kann, ist eine Dimension der Selbstverwirklichung angesprochen. Die Anziehung der Geschlechter ist nicht rein biologisch determiniert. Primaten sind wir nicht.

Wenn die Erfahrung der Liebe, die wir Menschen machen, kein Trug sein soll, bedarf es der transzendenten Perspektive. Gibt es kein Leben nach dem Tod und keinen Gott, der die Liebe ist, so endet auch unsere menschliche Liebe letztlich im Sinnlosen, im Nichts. Die Frage aber, ob diese Perspektive existiert, ist keine Frage, die jeder für sich entscheiden kann. Wahrheit gibt es nur mit Wirkung für oder gegen alle. Wenn Gott existiert, dann existiert er „für jeden“, unabhängig davon, ob jemand daran glaubt oder nicht. Wahrheit „für mich“ ist ein logischer Widerspruch.

Deshalb müßte die Frage eigentlich anders gestellt werden. Sie lautet dann, ob Liebe jenseits aller subjektiven Vorstellungen, die sich einzelne Menschen darüber machen, nicht auch eine objektive Komponente besitzt. Liebe ist nicht nur etwas hormonell Bedingtes, sondern ein geistiger Wert, welcher der auch geistig-seelischen Natur des Menschen entspricht. Das postmoderne Paradigma, daß es Wahrheit nicht gibt (außer natürlich, worauf der Philosoph Robert Spaemann zu Recht hinweist, für diese Aussage selbst), erschwert eine solch ganzheitliche Sichtweise.

 

Dr. Friederike Hoffmann-Klein, Jahrgang 1967, arbeitet als Juristin mit Schwerpunkt Eu­ropa- und Kirchenrecht in Freiburg. Die Mutter von drei Kindern ist stellvertretende Landesvorsitzende der Christdemokraten für das Leben (CDL) Baden-Württemberg und Mitglied in deren Bundesvorstand. Seit vielen Jahren engagiert sie sich in der Juristen-Vereinigung Lebensrecht, Köln.

Foto: „Ja“ zueinander: Ohne die transzendente Perspektive ist letztlich nicht vermittelbar, daß der Mensch als Mann und Frau geschaffen ist. Auch ein Verständnis von Ehe als einer dem Menschen gestellten Aufgabe ist ohne die Möglichkeit der Transzendenz nicht vorstellbar. Nur im Hinblick auf diese Dimension wird verständlich, daß Liebe keine menschliche Erfindung ist.

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