© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/13 / 08. Februar 2013

Das Schweigen über den Grachten
Reportage aus Amsterdam: Umsiedlungsprojekt soll Schikanierer stoppen – doch die Täter bleiben ungenannt
Hinrich Rohbohm

Amsterdam hat ein Problem. In der 790.000 Einwohner zählenden Grachten-Metropole kommt es pro Jahr zu 13.000 Fällen von Nachbarschaftsstreitigkeiten. Viele davon beinhalten regelrechte Schikanierungen. Regelmäßige Beschimpfungen und Gewalttaten, besonders gegen Behinderte, Homosexuelle und Menschen „mit anderem kulturellen Hintergrund“ zählen zu den Opfern, die oftmals resigniert die Flucht ergreifen und wegziehen, heißt es seitens der Stadt Amsterdam. Dessen Bürgermeister, Eberhard van der Laan von der sozialdemokratischen PvdA, will das nun ändern.

Die Stadt will ihre liberalen Werte verteidigen

Der erfahrene Ex-Integrationsminister greift dabei zu scheinbar drastischen Methoden. Treiteraanpak heißt das Zauberwort, wodurch er mit Zustimmung von Linksliberalen und Grünen den ausufernden „Nachbarschaftsstreitigkeiten“ Herr werden will. Treiteraanpak, das bedeutet soviel wie Schikane-Ansatz. Statt der Opfer sollen nun die Täter ausziehen. Auf Anordnung der Stadt sollen „antisoziale“ Schikanierer künftig ihre Wohnungen verlassen müssen, um in Wohncontainer am Stadtrand umquartiert zu werden. Handele es sich um Minderjährige, müsse auch die Familie mit umziehen. Die Stadt wolle mit dieser drastischen Maßnahme die liberalen Werte der Stadt verteidigen.

So jedenfalls liest es sich in den deutschen Medien. Eine Berichterstattung, die neben Irritationen vor allem Fragen hervorruft. Denn um wen es denn nun konkret geht und wer die Schikanierer sind, bleibt nebulös. Auch die Auskünfte der Stadt Amsterdam bleiben vage. Ja, Treiteraanpak gelte seit Beginn dieses Jahres. Aber: „Niemand wird in Wohncontainer umgesiedelt“, stellt Bartho Boer, Pressesprecher des Amsterdamer Bürgermeisters, gegenüber der JF klar. Eine Million Euro stellt die Stadt für das Projekt zur Verfügung. Zu einer tatsächlichen Umquartierung komme es jedoch nur in Ausnahmefällen, begrenzt auf ein halbes Jahr.

„Wir führen zunächst Gespräche mit den betroffenen Leuten. Erst wenn die nichts nützen und die Schikanierungen über einen längeren Zeitraum andauern, kann der Bürgermeister nach Rücksprache mit dem Gericht die Maßnahme anordnen“, erklärt Boer. Für dieses Jahr rechne er gerade einmal mit etwa zehn Fällen. Die Schikanierer sollen jedoch nicht zusammengelegt, sondern in verschiedenen Gegenden am Stadtrand untergebracht werden. Doch um wen es sich dabei genau handelt, will auch er nicht so sagen. Es seien verschiedene Gruppierungen. Ja, es seien auch Marokkaner darunter, aber eben auch Niederländer. Ob bei letzteren ein marokkanischer Migrationshintergrund vorliege, könne er nicht sagen.

In Gesprächen mit Amsterdamer Mietern und Wohneigentümern wird allerdings schnell klar: Hinter den zahlreichen als „Nachbarschaftsstreitigkeiten“ verniedlichten Fällen verbergen sich knallharte ethnische Konflikte zwischen autochthonen Niederländern und marokkanischen Zuwanderern. Und bei den Opfern „mit anderem kulturellen Hintergrund“ handelt es sich zumeist keineswegs um Ausländer, sondern um die autochthonen Niederländer selbst.„Von Treiteraanpak habe ich noch nie gehört“, sagt etwa eine um die 50 Jahre alte Mieterin aus der Dijkstraat im Zentrum der Stadt. Daß es jedoch zahlreiche Mieter in Amsterdam gebe, die von ihren Nachbarn schikaniert würden, sei kein großes Geheimnis. „Jeder hier weiß doch, daß es da überwiegend um Ärger mit marokkanischen Einwanderern geht“, sagt die Frau.

„Vor allem jüdische und homosexuelle Mieter beklagen sich“, schildert ein Immobilienmakler. Die Geschichten, die ihm zugetragen werden, seien zum Teil erschütternd. Vor allem jüngere Marokkaner würden ihre Nachbarn regelrecht terrorisieren. Er spricht von Zischgeräuschen, die die Schikanierer von sich geben, wenn der jüdische Nachbar ihnen im Treppenhaus begegnet. Homosexuelle würden bespuckt, junge Frauen als Huren beschimpft. Auch vor körperlicher Gewalt würden die Täter nicht zurückschrecken.

„Marokkaner intolerant und aggressiv eingestellt“

„Zum Teil haben sie sich in Banden organisiert. Wenn es Ärger gibt, rufen sie über ihr Handy in kurzer Zeit ihre Leute zusammen.“ Im Zentrum sei das aber kaum der Fall. „Hier sind die Mieten ja viel zu hoch. Aber etwas weiter außerhalb der City haben Sie die Probleme in fast allen Stadtteilen“, erzählt er. Einer dieser Stadtteile ist Neu-West. Ein Problemviertel mit hohem Anteil an marokkanischen Zuwanderern.

Rob und Jaap kennen die Gegend. Die beiden Männer sitzen entspannt in einer Bar. Sie trinken Bier, unterhalten sich. Rob ist 27 Jahre alt, arbeitet in einer Bank. Sein Freund Jaap ist Werbetexter von Beruf. Beide sind bekennende Homosexuelle, leben ihre Neigung offen aus. Zumindest hier, in der Kerkstraat von Amsterdam, die als Schwulenstraße der Stadt gilt. Die Frage, wie sie mit Amsterdams Marokkanern auskommen, läßt ihre Mienen verfinstern. Jaap, der ältere der beiden, räuspert sich. So, als hätte sich ein dicker Kloß in seinem Hals festgesetzt. „Eines möchte ich gleich zuerst sagen“, beginnt er mit belegter Stimme zu erzählen. „Es ist nicht so, daß wir etwas gegen Ausländer haben.Aber viele hier lebende Marokkaner sind uns Homosexuellen gegenüber extrem intolerant und aggressiv eingestellt.“ Sie selbst seien in der Straßenbahn lediglich einige Male mittels Beleidigungen angegangen worden. Bekannte von ihnen seien jedoch auch bespuckt und geschlagen worden. Einem sei gar einmal die Wohnungstür eingetreten worden. Neu-West, das sei eine Gegend, die sie mieden. Der vielen Marokkaner wegen. Von Treiteraanpak haben auch sie noch nichts gehört. In den niederländischen Medien hätten sie darüber nichts lesen können, sagen sie.

Neu ist der Schikane-Ansatz, der von der Stadt als Resozialisierungsprojekt definiert wird, übrigens nicht. Der islamkritische Parlamentsabgeordnete Geert Wilders von der rechtsliberalen PVV hatte schon 2011 den Vorschlag gemacht, kriminelle Wiederholungstäter aus ihrer Nachbarschaft zu entfernen und in „Abschaum-Dörfer“ zu verbannen. Wilders Idee hatte damals zu großer Entrüstung geführt. Nun ist sie ein wenig abgewandelt von linken Politikern eingeführt worden. Gut möglich, daß dies der wahre Grund für das Schweigen in den niederländischen Medien und eine merkwürdig verklemmt-verklausulierte Berichterstattung in deutschen Medien darüber ist.

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