© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/13 / 08. Februar 2013

Das Ding an sich in Stimmung
Ausstellung in der Städtischen Galerie Karlsruhe: „Natur und Poesie um 1900“
Hans-Georg Meier-Stein

Bis zum Ende des Mittelalters war die Landschaftsmalerei der figürlichen Darstellung ganz untergeordnet und allenfalls Versatz am Rande oder im Hintergrund. Erst mit Albrecht Altdorfer und Albrecht Dürer begann in der Malerei die Entwicklung autonomer Landschaften. Das Barock mit seiner üppigen Lust an festlicher Genußkultur und dem ihm eigenen ästhetischen Interesse an exotischen Bildern von fernen Ländern verlangte nach dekorativen Phantasielandschaften und grandiosen Weltpanoramen. Es waren Claude Lorrain, Nicolas Poussin und Jan Brueghel, die die Malerei dieser Epoche geprägt haben.

Auch der Überfluß an kosmographischen und kartographischen Werken in jener Zeit war Ausdruck dieser Empfänglichkeit. Die Romantiker schließlich entdeckten die pittoresken Schönheiten in Italien und am malerischen Mittelrhein; ihre Motivwahl war gewiß auch bestimmt durch den aufkommenden Tourismus und die ästhetische Landschaftswahrnehmung der Reisenden der „Grand Tour“. Es waren also zuerst immer die reizvollen und erbaulichen Ansichten der Natur, die warmen, lieblichen, sonnendurchfluteten Landschaften, die Gegenstand der Malerei waren und die aus Versatzstücken prätentiös komponiert wurden.

Einzig die großen Niederländer des 17. Jahrhunderts wie Pieter Brueghel, Jan van Geyen, Jacob von Ruisdael und Rembrandt hatten für sich eine ganz andere Wahrnehmungsweise entdeckt und sich dem Realismus zugewandt. Für sie war die weite, flache, völlig unspektakuläre Landschaft Zeugnis der Herkunft, mit ihr bekundete sich im Bild nationaler Stolz im Kampf gegen die spanische Vorherrschaft.

Auf diesen Spuren folgten ihnen die Künstler der Worpsweder Kolonie. In Deutschland entwickelten sie eine ganz neue, eigenständige Art der Landschaftsdarstellung, weitab von der klassischen Ausbildung an den Akademien: Sie suchten den direkten Kontakt mit der Natur und eine intensive Auseinandersetzung mit ihrer einfachen Formenwelt, ihren urtümlichen Erscheinungen und besonderen Lichtstimmungen.

Worpswede, ein bis dahin unbedeutender Flecken im unwegsamen Teufelsmoor in der Nähe von Bremen, wurde von Fritz Mackensen als malerisch faszinierender Ort entdeckt, und durch ihn wurden andere, seelenverwandte Künstler angezogen: Otto Modersohn, Hans am Ende, Fritz Overbeck und Heinrich Vogeler. Sie machten Worpswede zu ihrer Malheimat, denn auch ihnen hatten es die herben Schönheiten und das eigenwillige Genre des norddeutschen Küstenlandes angetan: eine urwüchsige Landschaft mit öden, weiten, oft überschwemmten Flächen, die nur von wenigen geraden Linien durchzogen wurde; von schmalen Moorkanälen mit Torfkähnen, von Wassergräben, Sandwegen und Birkenalleen; dazwischen lagen Viehweiden, Moorkaten, Reetdachhäuser, ärmliche Bauerngehöfte, Heideflächen mit schwarzbraunen Böden.

Das sich schier endlos erstreckende Land wurde von einem weiten Himmel überspannt, der Wind- und Wolkenmassen, Regenböen und Schneegestöber aus sich heraustrieb. Da war viel Kargheit und Düsternis und Shakespearehaftes in der faszinierenden Dramatik mit ihren bizarren Spiegelungen – und doch auch eine lyrische Atmosphäre, die schon bei Anette von Droste-Hülshoff, Theodor Storm und Hermann Löns eine literarische Aufwertung erfahen hatte.

1889 erschienen die ersten Maler in Worpswede, und sie gaben mit einfacher, unprätentiöser Maltechnik dem eigentümlichen Reiz dieser Landschaft und der schlichten Ländlichkeit des hiesigen menschlichen Daseins einen künstlerischen Ausdruck, über dem ein Hauch von Schwermut liegt. „Fort mit den Akademien, nieder mit den Profes­­so­ren und Lehrern, die Natur ist unsere Lehrerin und danach müssen wir handeln“, notierte Modersohn in seinem Tagebuch.

Der Stimmungsrealismus ist eng verwandt mit dem der naturalistischen Milieustudien, wie überhaupt das Kunstschaffen in Worpswede uns an die Grundlagen des Naturalismus erinnert: Intensität und Realismus; das Bestreben, die Prosa des alltäglichen Lebens darzustellen, und der Vorstoß zu innerer Wahrheit statt Formvollendung. Und es ist die Zeit der Lebensreformbewegung, die sich einer naturnahen Lebensweise zuwendet und ins Freie drängt. Allenthalben entstanden Künstlerkolonien in Deutschland, die sich vom etablierten Kunstbetrieb und der herkömmlichen Salon- und Historienmalerei mit ihrer erzwungenen Größe abwandten und „Sezessionen“ bildeten.

Die Ausstellung stellt das gesamte, sechs Jahrzehn­te umfas­­sen­­de Werk von Otto Modersohn (1865–1943), der zeitweilig in Karlsruhe studierte, in den Vordergrund. Modersohn und seine Frau Paula (1876–1907) trafen sich jeden Sonntag mit Clara und Rainer Maria Rilke, Martha und Heinrich Vogeler zu Musik, Lesungen und Theaterspiel auf dem „Barkenhoff“, der van Vogeler zum „Musensitz des Jugendstils“ künstlerisch ausgestaltet worden war.

Paula Modersohn-Becker, Knabe am Weg unter Birken, 1900: Hauch von Schwermut

Die Ausstellung „Natur und Poesie um 1900 – Otto Modersohn, Paula Modersohn-Becker und Worpswede“ ist noch bis zum 17. Februar in der Städtischen Galerie Karlsruhe, Lorenzstr. 27, zu sehen. Täglich außer montags und dienstags von 10 bis 18 Uhr, Sa./So. ab 11 Uhr.Telefon: 07 21 / 133-4401, www.karlsruhe.de/b1/kultur

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