© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/13 / 15. Februar 2013

Seht, welch ein Mensch!
Benedikt XVI.: Der Papst hat großes geleistet und hinterläßt eine heikle Aufgabe
Gernot Facius

Das hat sich seit dem unglücklichen, überforderten Eremiten Coelestin V. (1294) kein Papst mehr getraut: freiwillig den Stuhl Petri zu verlassen. Der Rücktritt von Benedikt XVI. zum 28. Februar schlug ein wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Aber konnte man wirklich so überrascht sein? Dem Pontifex aus Deutschland sah man seit langem an, daß er am Ende seiner körperlichen Kräfte war.

Wer sich in vatikanischen Interna auch nur ein wenig auskennt, mußte die Erhebung von Benedikts Sekretär Georg Gänswein zum Erzbischof als Signal deuten, daß ein Pontifikat seinem Ende entgegengeht; wie weltliche Staatsmänner sorgen auch Päpste vor ihrem Abschied für ihre engsten Mitarbeiter. Zudem hat Joseph Ratzinger das schriftstellerische Werk vollendet, das dem ehemaligen Tübinger und Regensburger Theologieprofessor viel bedeutet: eine Jesus-Trilogie.

Vergessen wurde in der allgemeinen Überraschung, daß Ratzinger seine Bereitschaft zum Rücktritt nie verhehlt hat. Pius XII., Paul VI. und Johannes Paul II. hatten auch über einen solchen Schritt nachgedacht. Sie gaben ihrer engsten Umgebung geheime Anweisungen, ließen aber nichts an die Öffentlichkeit dringen. Ratzinger ist der erste, der über eine Demission als konkrete Möglichkeit sprach – gegenüber seinen Biographen Peter Seewald. Und der Vatikanist Marco Politi schrieb, Benedikt hege eine starke Abneigung gegen die Vorstellung eines schmerzhaften körperlichen Verfalls, wie ihn sein Vorgänger Karol Wojtyla erlebte. Das wurde in der öffentlichen Wahrnehmung aber verdrängt.

Die Schlagzeile „Wir sind Papst“ wird nun Makulatur. Spätestens am 20. Tag nach dem offiziellen Rücktritt müssen die 118 wahlberechtigten Kardinäle ins Konklave einrücken, und es ist so gut wie ausgeschlossen, daß die Wahl wieder auf einen deutschen (oder deutschsprachigen) Purpurträger fällt (siehe Seite 8). Als Präfekt der römischen Glaubenskongregation hatte es der damalige Kurienkardinal Joseph Ratzinger 2002 in einem Welt-Interview für denkbar gehalten, daß nach dem Polen Johannes Paul II. ein Lateinamerikaner oder Afrikaner in den Apostolischen Palast einzieht. Und tatsächlich war beim Konklave 2005 lange der Argentinier Jorge Mario Bergoglio im Rennen, sogar Ratzinger soll für ihn gestimmt haben. In Lateinamerika lebt etwa die Hälfte aller Katholiken, hier und in Afrika wächst die Zahl der Gläubigen, ebenso in Asien. Ein Pontifex aus diesen Regionen wäre ein Symbol für die Globalisierung der Kirche. Spricht man heute hohe kirchliche Würdenträger darauf an, ob das Ratzinger-Szenario von vor elf Jahren noch realistisch sei, bekommt man allerdings ausweichende Antworten. „Wir wollen das dem Heiligen Geist überlassen“, sagt Erzbischof Robert Zollitsch, der Vorsitzende des deutschen Episkopats. Zollitsch sieht keinen Kardinal, der ein „geborener Nachfolger“ wäre.

Die Zurückhaltung ist verständlich. Deutschland ist das Mutterland der Reformation, Katholiken und Protestanten sind zahlenmäßig fast gleich stark, „Ökumene“ steht an der Spitze des Dialogs der beiden großen Konfessionen. Würde ein Papst aus Übersee überhaupt die Sensibilität für dieses Thema aufbringen, wird allenthalben gefragt. Wo doch weltkirchlich gesehen der deutsche Katholikenanteil nur zwei Prozent beträgt.

Was wird von Benedikt XVI. bleiben? Joseph Ratzinger, der lange eher als Papstmacher denn als aussichtsreicher Kandidat betrachtet worden war, wurde von den Kardinälen 2005 gewählt, weil er während des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 bis 1965) als Berater des Kölner Kardinals Josef Frings eine gewichtige Rolle gespielt hatte. Ihm traute man zu, die Kirche aus nachkonziliaren Irrungen und Wirrungen zu führen. Ein Thema, das bis heute, 50 Jahre nach dem Vatikanum, aktuell ist. Man sah in ihm den geeigneten Mann, um der zunehmenden Säkularisierung entgegenzutreten; einen intellektuellen Papst, der sich gegen das Überhandnehmen von Subjektivität und Verweltlichung aller Lebensbereiche zur Wehr setzen kann. Benedikt kam auf allen seinen Reisen auf das Problem der Säkularisierung zurück.

Während seines offiziellen Deutschlandbesuchs im September 2011 trat er für die „Entweltlichung“ der Kirche ein. Dieses Plädoyer sorgt noch immer für erregte innerkirchliche Debatten, es bestimmt die Programme katholischer Akademien ebenso wie Benedikts permanente Warnung vor einer „Diktatur des Relativismus“ – ein Thema, dem angesichts der Debatten in ganz Europa über „Homo-Ehe“, Familie und Lebensschutz Priorität zukommt. Die Furcht vor dem Verlust katholischer Identität hat diesen Papst geprägt, da war er noch Universitätstheologe. Er mutierte vom Konzilbegeisterten zum Konzil-Skeptiker, der marxistische Ansätze der Befreiungstheologie bloßlegte, die Fehlentwicklungen in Liturgie und Theologie beim Namen nannte und 2007 der „alten Messe“ wieder einen größeren Platz im kirchlichen Leben zugestand. Den von den Bischöfen in seinem Heimatland initiierten Dialogprozeß betrachtete er distanziert.

Hingegen ist er den traditionalistischen Piusbrüdern entgegengekommen: Er hat die Exkommunikation der vier Bischöfe der Bruderschaft, ausgesprochen 1988 von Johannes Paul II., aufgehoben und Lehrgespräche mit den „Schismatikern“ in Gang gesetzt. Der Erfolg, sprich eine Versöhnung, ist ausgeblieben. Damit hinterläßt er seinem Nachfolger eine heikle Aufgabe. Denn Bischöfe und Kardinäle in aller Welt haben die Versöhnungsofferte kritisch kommentiert. Es sah so aus, als hätte sich ein Riß in der Kirche aufgetan, zumal unter den vier Pius-Bischöfen der Brite Richard Williamson war, der mit einer Relativierung des Holocaust von sich reden machte.

Die päpstliche Geste sei ein Geschenk, das einer Kapitulation gleichkomme, urteilten die Kritiker. Jüdische Organisationen gingen auf Konfrontationskurs mit Rom. Die Verteidiger des Papstes gaben sich dagegen überzeugt: Benedikt sei aus Sorge um die Einheit der Kirche das Versöhnungswagnis eingegangen; nur ein Pontifex wie er, der in seinem Denken Tradition und Reform verbindet, könne ein endgültiges Schisma verhindern. Nach dem Rücktritt Benedikts bleibt vorerst offen, wie es mit den Traditionalisten weitergeht. Und ob der Faden zwischen Rom und Econe, Sitz der Bruderschaft, überhaupt wieder aufgenommen wird. Das gehört zu den spannenden Fragen der Zeit nach Benedikt.

Das Bild, das die Medien von dem feingliedrigen, zerbrechlich wirkenden Gendarmensohn aus Marktl am Inn zeichneten, war nie einheitlich. Als oberster Glaubenswächter war Joseph Ratzinger der „Panzerkardinal“, hart gegen Reformer in den eigenen Reihen. Einige Kommentatoren sprachen von einem „verzagten Charakter“, ängstlich und mißtrauisch gegenüber der modernen Welt. Dieses Urteil ist zumindest nicht ganz stimmig. Mehrmals reflektierte er in Ansprachen über neue Möglichkeiten für einen freien und reifen Glauben. Er trat ein für ein gereinigtes Christentum, dessen Essenz eine „Liebesgeschichte zwischen Gott und den Menschen ist“. Ratzinger war es, der sich 2005 nicht scheute, moralische Verirrungen seiner Kirche anzuprangern: „Wieviel Schmutz gibt es in der Kirche und gerade auch unter denen, die im Priestertum ihr ganz zugehören sollten.“ Das war fünf Jahre vor der Aufdeckung der Fälle sexuellen Mißbrauchs in Deutschland. Daß sich in dieser Causa ein neues Denken ausbreitete, daß Schluß gemacht wurde mit der Praxis der Vertuschung, ist Ratzinger zu verdanken.

Mit seiner engagierten Rede am 22. September 2011 unter der gläsernen Kuppel des Reichstags in Berlin über die Grundlagen der Politik und das Verhältnis von Recht, Gerechtigkeit und Wahrheit hat er auch Kirchenferne in seinen Bann gezogen. Zur europäischen Identität, schärfte er seinen Zuhörern ein, gehöre der innere Zusammenhang zwischen der Verantwortung des Menschen vor Gott und der Anerkennung der unantastbaren Würde des Menschen, eines jeden Menschen. Benedikt formulierte eine Magna Charta einer gerechten Gesellschaft. Natürlich, so sagte er, müsse ein Politiker den Erfolg suchen. Aber der Erfolg sei „dem Maßstab der Gerechtigkeit, dem Willen zum Recht und dem Verstehen für das Recht untergeordnet“.

In London, 2010, variierte er seine Vorstellung eines Bündnisses von Religion und Vernunft im Namen einer wechselseitigen Reinigung: „Die Religion ist für die Gesetzgeber nicht ein Problem, das gelöst werden muß, sondern ein äußerst wichtiger Gesprächspartner im nationalen Diskurs.“ Deswegen wäre es verhängnisvoll, das Christentum an den Rand zu drängen. Benedikt bezog sich auf Forderungen, christliche Feste, etwa Weihnachten, nicht mehr öffentlich zu begehen. Oder den Anspruch, Christen in einem öffentlichen Amt müßten gegebenenfalls gegen ihr (christliches) Gewissen handeln. Das war zwar konkret auf Großbritannien gemünzt, aber so unbekannt ist das Problem in Deutschland nicht. Erzbischof Zollitsch hat recht: Nicht die Herkunft des Ratzinger-Nachfolgers wird wichtig sein, „wichtig wird es sein, daß er seinen Dienst in Kontinuität zu seinen beiden Vorgängern sieht“.

 

„Was sagen Sie zum Amtsverzicht?“

„Papst Benedikt wird als großer Deutscher und überragender Theologe in die Geschichte eingehen. Seine geistig-moralische Kraft entfaltet sich still und untergründig; sie wird ihre volle Wirksamkeit entfalten, wenn die verrückten Zeitgeister an ihren Widersprüchen scheitern.“ Prof. Dr. Wolfgang Ockenfels, Publizist und Professor für christliche Sozialethik an der Theologischen Fakultät Trier

„Auf diesen Papst traf der Satz zu: Aliis lucendo consumor – ich verbrauche mich im Leuchten für andere. Papst Benedikt hat seine Kraft für die Kirche und für alle Menschen guten Willens verbraucht. Für Katholiken ist der Papst Stellvertreter Christi auf Erden. Das Forum Deutscher Katholiken stand in Loyalität zu Papst Benedikt. Es wird in der derselben Loyalität zum Nachfolger stehen.“ Dr. Hubert Gindert, Vorsitzender des Forums Deutscher Katholiken

„Es muß gerade für diesen Papst eine bittere Erkenntnis gewesen sein, nicht mehr dienen zu können, weil zwar nicht der Geist, aber doch der Körper und die Psyche kraftlos werden. Kraftlos und seelisch erschöpft ein für die Welt so bedeutsames Amt in dieser Zeit zu führen – das erschien diesem Papst der Vernunft sinnlos. Vor Jahren schon schrieb er: „Wo es nichts mehr gibt, wofür zu sterben sich lohnt, da lohnt sich auch das Leben nicht mehr.“ Benedikt XVI. fürchtet nicht den Tod, aber die Sinnlosigkeit, und ohne Sinn für das Amt zu leben oder zu sterben, ist kein Dienst, dafür ist der Stuhl Petri zu bedeutsam für die Geschicke der Welt. Deshalb vollzog er diesen letzten Dienst, solange er die Kraft noch dafür hatte.“ Jürgen Liminski, katholischer Publizist

„Wie kaum einer der Vorgänger gilt Benedikt XVI. als Kopf und Seele seiner, unserer Kirche, die beide große Gewinner seiner Amtszeit gewesen sein werden. Und das beruhigt bei seiner Entscheidung: der Papst resigniert nicht, er will ausruhen. Vielleicht verschafft uns das die Zeit, ihm da oder dort geistig und geistlich zu folgen.“ Thomas Goppel, Sprecher der Gruppe „Christsoziale Katholiken“ (CSK) und Mitglied des Bayerischen Landtags (CSU)

„Es bleibt das Pontifikat eines demütigen und sensiblen Petrusnachfolgers mit viel Tiefgang, einer klaren Theologie und dem so wichtigen Versuch, Glaube und Vernunft miteinander zu versöhnen. Das Amt wird künftig wohl von vielen etwas anders verstanden werden als bisher, weil sie sich nicht vorstellen konnten, daß ein Heiliger Vater, seine Vaterschaft zurückgibt. Dennoch: Die schwere Rücktrittsentscheidung Benedikts XVI. kann viel Gutes für die Kirche in den vor uns liegenden Stürmen bewirken, weil es jetzt einen starken und jüngeren Papst braucht, der klare Orientierung zu vermitteln versteht. Darauf deutet die Begründung des Noch-Papstes hin.“ Martin Lohmann, Chefredakteur des katholischen Fern-sehens K-TV

Foto: Papst Benedikt XVI.: Geprägt vom Kampf gegen den Verlust der katholischen Identität

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