© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/13 / 15. Februar 2013

Studentische Billionenbombe
US-Finanzpolitik: Ökonomen warnen vor dem Platzen der Studiendarlehen-Blase / Parallelen zur Immobilien-Krise?
Elliot Neaman

Die föderale Verschuldung in den USA könnte von derzeit über 16 Billionen Dollar in den kommenden zehn Jahren auf 26 Billionen Dollar ansteigen. Das prognostiziert der vorige Woche veröffentlichte „Budget and Economic Outlook“ des Congressional Budget Office (CBO) für die Fiskaljahre 2013 bis 2023. Angesichts dieser Zahlen der Finanzprüfbehörde des US-Kongresses verblassen Meldungen aus dem einstelligen Billionenbereich – doch auch die haben es in sich.

Derzeit häufen sich die Warnungen der Wirtschaftswissenschaftler vor dem Platzen der Studiendarlehen-Blase, neben der sich die immobilienbasierte Subprime-Krise von 2007/2008 ausnehmen werde wie ein Sturm im Wasserglas. Regierungsangaben zufolge hat der Berg alter Studentenschulden kürzlich die Billionen-Dollar-Grenze überschritten. Jeder fünfte Haushalt ist davon mit einer durchschnittlichen Verschuldung von 23.000 US-Dollar betroffen. Hinzu kommen weitere 150 Milliarden an Studiendarlehen, die von Privatinstitutionen gewährt wurden. Nach Angaben der New Yorker Notenbank haben 40 Prozent aller Amerikaner unter 30 und 25 Prozent der zwischen 30 und 39 Jahren Altschulden aus ihren Studienzeiten.

Noch mehr Anlaß zur Beunruhigung gibt die Tatsache, daß die Rückzahlungsrate für Studiendarlehen mittlerweile niedriger liegt als bei allen anderen Schuldenarten, etwa Kreditkarten, Autokäufen oder Hypotheken. Elf Prozent aller Rückzahlungen von Studiendarlehen sind mehr als 90 Tage überfällig, bei Kreditkarten liegt diese Quote „nur“ bei zehn Prozent. Selbst diese Zahlen spiegeln noch nicht den ganzen Ernst der Lage wider, gewährt doch die US-Regierung – ähnlich wie im deutschen Bafög-System – die verschiedensten Fristverlängerungen, Abzüge und Tilgungen auf Studiendarlehen, so daß notleidende Kredite teilweise erst Jahre später überhaupt als solche in den Statistiken auftauchen. Das US-Bildungsministerium erfaßt seit kurzem die Ausfallquoten für Drei-Jahres-Kohorten und mußte dabei feststellen, daß die Ausfallquote für die 2009/2011-Kohorte eine alarmierende Höhe von 13,4 Prozent erreicht hat. Unter denjenigen, die an Privatuniversitäten studierten, war sogar jeder fünfte im dritten Studienjahr in Verzug geraten.

Aus makroökonomischer Sicht sind langfristige Auswirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu befürchten. Ein erheblicher Anteil der Gehälter jener glücklichen Uni-Absolventen, die überhaupt eine gutbezahlte Stelle finden, wird für die Rückzahlung von Altschulden aufgewandt werden müssen. Das Geld fehlt dann bei den Konsumausgaben oder bei privaten Investitionen, die zum Wirtschaftswachstum beitragen.

Interessanterweise sind die beiden Enden des wirtschaftlichen Spektrums proportional stärker von hohen Verschuldungsquoten durch Studiendarlehen betroffen als die Mittelschicht. 2010 betrug der Anteil einkommensschwacher Haushalte an der Gesamtschuld 13 Prozent, der des einkommensstärksten Fünftels der Bevölkerung 31 Prozent.

Zwei kürzlich in einem Blogbeitrag porträtierte Beispiele sollen die Tragweite des Problems illustrieren. „Elizabeth“ und „Mindy“ schlossen vor kurzem ihr Studium der Ozeanographie mit dem Master ab, beide mußten Schulden aufnehmen, um ihr Studium finanzieren zu können. Elizabeth lebte in einer kleinen Wohnung und gönnte sich auch sonst wenig, während Mindy eine teure Privatuni besuchte, deren Studiengebühren sie sich genausowenig leisten konnte wie den damit einhergehenden Lebensstil mit Restaurantbesuchen und 200-Dollar-Frisuren. Elizabeths Verschuldung hielt sich in überschaubaren Grenzen, Mindy hingegen brauchte nicht nur länger, um ihr Studium abzuschließen, sondern hatte auch Schulden in Höhe von 150.000 Dollar.

Natürlich hätte sie vernünftiger sein sollen, aber wer wollte ihr einen Vorwurf aus ihrem unverantwortlichen Lebenswandel machen? Der Staat machte es ihr mit attraktiven Konditionen für Studiendarlehen sehr einfach. Und wenn sie mit der Rückzahlung in Verzug gerät, kommt der US-Steuerzahler dafür auf. Daß Schulden aus Studiendarlehen aber anders als gewöhnliche Privatkredite auch bei einer US-Privatinsolvenzerklärung (Bankruptcy Code) nicht getilgt werden, verschlimmert das Problem noch, zumal die unzähligen „Mindys“ in den Vereinigten Staaten nicht nur zur Erhöhung des nationalen Schuldenbergs beitragen, sondern auch große Schwierigkeiten haben, überhaupt eine Stelle zu finden, um einen Beitrag zum Wirtschaftswachstum zu leisten.

Was passiert, wenn diese Studiendarlehen-Blase irgendwann platzt, wagt man sich kaum auszumalen. Demnächst wird die 1,3-Billionen-Marke überschritten sein – das entspricht etwa dem gesamten EU-Haushalt 2014 bis 2020. Die Studiendarlehen-Verschuldung wird dann die Größe der Hypothekenblase vor ihrem spektakulären Platzen 2007/2008 erreicht haben. Seinerzeit ging man bei den Subprime-Hypotheken von einer Ausfallquote von 20 Prozent aus – heute sind bereits über 22 Prozent der Studiendarlehen im privaten Sektor als notleidend einzustufen. Ist dies der sprichwörtliche Kanarienvogel im Bergwerk, dessen Tod als Frühwarnsystem vor Grubengas diente? In der Hypothekenkrise blieb den Banken wenigstens die Möglichkeit, einen Teil ihrer Verluste durch Beschlagnahmung der betroffenen Immobilie wiedergutzumachen. Was für einen Vermögenswert verkörpert dagegen ein hochverschuldeter ehemaliger Kunststudent?

Andererseits konnte die Hypothekenblase auch deshalb derartige Ausmaße erreichen, weil die Preise jahrelang immer weiter stiegen und die Kreditnehmer ihre Immobilien der schnellen Gewinne wegen verkauften. Auch dafür sind Studiendarlehen ungeeignet. Der damit erworbene Vermögenswert, Bildung, soll zu einer gutbezahlten Stelle führen, die es den Betroffenen letztlich ermöglicht, ihre Schulden zurückzuzahlen, auch wenn der Kumulationseffekt wachstumshemmend ist. Derzeit wird unter Bildungsexperten heiß darüber diskutiert, ob sich die Investition in einen teuren Universitätsabschluß letztlich „auszahlt“ oder nicht.

Wie die zitierten Zahlen belegen, stimmen einkommensstarke Familien mit der Kreditkarte ab und sind nach wie vor bereit, Schulden aufzunehmen in der Überzeugung, dadurch die zukünftige Kaufkraft ihrer Kinder zu erhöhen. Wenn diese Rechnung aufgeht, dann ist der Vergleich mit der Immobilienblase wenig aussagekräftig. Wenn nicht – wenn Universitätsabschlüsse in Zukunft nicht mehr zu höheren Einkommen führen –, dann wird es dem Vermögenswert Bildung früher oder später genauso ergehen wie ab 2007 dem Vermögenswert Immobilienbesitz.

Die Immobilienblase entstand, weil viele US-Haushalte Schulden aufnahmen, deren Rückzahlung ihre Einkommen nicht zuließen. Zwei Drittel derjenigen, die 2011 ein Collegestudium abschlossen, hatten Schulden, die sich im Durchschnitt auf 26.000 Dollar beliefen. Die Arbeitslosigkeit für ihre Kohorte liegt bei 8,1 Prozent – weniger als halb so hoch wie bei den High-School-Absolventen im gleichen Jahr (19,1 Prozent). Angesichts dessen lohnt sich die Investition in den Bachelor-Abschluß offenbar doch noch. Und die Mehrzahl der Studenten zahlt ihre Darlehen nach wie vor zurück. 26.000 Dollar mag abschreckend klingen, stellt jedoch in Wirklichkeit keine höhere Belastung dar als der Kauf eines deutschen Autos oder eine ähnliche größere Anschaffung.

Der US-Kongreß scheint sich des Problems durchaus bewußt zu sein und bereitet Gesetzesänderungen bezüglich der Auswahlkriterien und Rückzahlungsmodalitäten vor. Der Schreck der Immobilienkrise sitzt den politisch Verantwortlichen noch tief in den Knochen, und angesichts der Erkenntnis, daß durch allzu lasche Regeln bei der Vergabe von Studiendarlehen ein weiteres Risiko entstanden ist, das sowohl die Staatskasse als auch die gesamte Volkswirtschaft bedroht, wird man alles daransetzen, eine Neuauflage zu verhindern. Ob es sich dabei um eine Zeitbombe handelt, die früher oder später explodieren muß, oder eher um eine weitere Bleiplatte, die auf der Wirtschaft lastet und eine Erholung von dieser Großen Rezession verhindert, muß sich erst noch herausstellen.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco.

 

US-Schuldenprognose 2013 bis 2023

Vorige Woche unterzeichnete US-Präsident Barack Obama das Gesetz zur Aussetzung der staatlichen Schuldenobergrenze. Damit wird das Limit von 16,4 Billionen Dollar (12,1 Billionen Euro) bis zum 18. Mai ausgesetzt, um weiterhin Bundesausgaben tätigen zu können. Doch egal was in den nächsten drei Monaten beschlossen wird, die Defizite werden in den kommenden zehn Jahren weiter steigen. Das geht aus der aktuellen Prognose der Finanzprüfbehörde des US-Kongresses (CBO) hervor. Das Etatdefizit könnte in diesem Fiskaljahr zwar erstmals seit fünf Jahren wieder unter einer Billion Dollar liegen, doch selbst wenn dieser Trend anhalte und das Defizit ab 2015 unter 500 Milliarden falle, ist 2023 mit einer bundesstaatlichen Verschuldung von über 26 Billionen Dollar zu rechnen. Nicht enthalten sind in der Rechnung die Schulden der 50 Bundesstaaten sowie der lokalen Gebietskörperschaften von bald drei Billionen Dollar.

CBO-Bericht „The Budget and Economic Outlook – Fiscal Years 2013 to 2023“: cbo.gov

Foto: Immer mehr US-Studenten in der Schuldenfalle gefangen: 40 Prozent aller Amerikaner unter 30 Jahren haben Altschulden aus Studienzeiten

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