© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/13 / 15. Februar 2013

Invasion der Versager
Niveauverlust allerorten: Der Fall Schavan und die verdrängte Krise des Bildungssystems
Uwe Völtz

Vier Tage nachdem der Düsseldorfer Fakultätsrat ihr am 5. Februar den Doktortitel aberkannt hatte, trat Annette Schavan (CDU) vergangenen Samstag von ihrem Amt als Bundesministerin für Bildung und Forschung zurück. Zugleich kündigte sie an, gegen den Titelentzug klagen zu wollen. Mit der prompten Ernennung von Schavans Nachfolgerin, der promovierten Mathematikerin Johanna Wanka (CDU), scheint dieser zweite Plagiatsfall, bei dem Angela Merkel Ballast abwirft, abgehakt.

Kommt es so, wie es hierzulande immer kommt, dann zieht die Karawane der Lemminge tatsächlich unbeirrbar weiter und schlägt die Warnung der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in den Wind, man dürfe jetzt nicht „einfach zur Tagesordnung“ übergehen.

Immerhin leuchtete in der qualvollen Debatte über eine Bildungsministerin, die sich nicht einmal elementares wissenschaftliches Handwerkszeug wie Zitierregeln hat aneignen können, hinter der marginalen Personalfrage hier und da auch die gefährlichere Systemfrage auf. Überdies läuft die Enttarnung vieler akademischer Hochstapler in politischen Spitzenämtern wohl nicht zufällig parallel mit deutschen Planungspleiten bei Großflughäfen, Bahnhöfen, Opernhäusern. Zu schweigen von der aufs Konto der Internationale der „Nieten in Nadelstreifen“ gehenden Weltfinanzkrise, die den Europäern als Schulden- und Bankenrettungskrise erhalten bleibt. Wohin man blickt: Mit dem Ruf der „Eliten“ steht es nicht zum besten.

Wie ist die Invasion der Versager in Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft zu erklären? Beschränkt man die Fehleranalyse auf den einstigen Arbeitsbereich Frau Schavans, die in Land und Bund seit 1995 für Bildung und Forschung, also auch für die Elitenreproduktion zuständig war, dann fällt die sukzessive Absenkung des geistigen Niveaus ins Auge. Ausgelöst wurde dieser Prozeß von der sozialdemokratischen Bildungspolitik der siebziger Jahre, die „Reform“-Universitäten im Akkordtempo aus dem Boden stampfte und vor allem die „Schwatzfächer“, Pädagogik, Soziologie, Politologie, in tropischer Üppigkeit erblühen ließ. Annette Schavan, Jahrgang 1955, als Erziehungswissenschaftlerin „promoviert“ 1980, gehörte zur ersten Alterskohorte, die von dieser Verbilligung intellektueller Anforderungen profitierte. Insofern ist sie kein spätes, wie Tilman Krause meint (Die Welt vom 7. Februar), sondern ein sehr frühes Opfer des „SPD-Bildungswahns“.

Eine Vorstellung von dem, was die deutsche Universität, was Bildung und Wissenschaft zwischen Humboldt und 1968 gewesen sind, ist ihr nie vermittelt worden. Darum war dieser farblose christdemokratische Apparatschik die Idealbesetzung als Vollstreckerin des „Bologna-Prozesses“, der in Deutschland noch die letzten Reservate der von „Einsamkeit und Freiheit“ geprägten Humboldt-Tradition entsorgte und das Wissenschafts- und Erziehungssystem nach betriebswirtschaftlichem Muster planierte. Ihr Dreigroschenhorizont habe sie, wie der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Frank-Olaf Radtke in seiner luziden Deutung der eigentlich relevanten Dimensionen der Affäre Schavan darlegt (FAZ vom 14. November 2012), für die „ganz dem Zeitgeist verpflichtete“ Aufgabe prädestiniert, die Hochschulen der Warenlogik zu unterwerfen und das Studium auf „globale Wettbewerbsfähigkeit“ zu trimmen. „Und es war Annette Schavan persönlich, die in bester DDR-Manier realitätsblind die Bologna- und Pisa-Reformen noch schönredete, als vor aller Augen längst deutlich war, daß die angestrebten Ziele verfehlt, die unerwünschten Nebenwirkungen der Umbauten aber zur Hauptsache geworden waren.“

Aber damit nicht genug. Legten ihre Unterstützer aus dem Wissenschaftsmanagement doch bestürzend euphorische Bekenntnisse zu diesem „Schawahnsinn“ ab. Die Kapitäne der wichtigsten Forschungseinrichtungen und der Hochschulrektoren-konferenz wollten ihren Rücktritt bis zur letzten Minute verhindern, offenbar weil sie den marktgängigen Bildungsbegriff der Ministerin teilen. Christoph Markschies, Kirchenhistoriker und Ex-Präsident der HU Berlin, verstieg sich zu der entlarvenden Erklärung, wenn Schavan ihren Doktortitel verliere, müßten ihn auch „Hunderte“ anderer Titelträger abgeben.

Das stimmt und offenbart, da es eher „Zehntausende“ sein könnten, unfreiwillig das Kaliber der Malaise. Auch der amtierende HU-Präsident und Pädagoge Jan-Hendrik Olbertz zeigte sich solidarisch. Schließlich hat er mit Schavans Bildungsniveau die geringsten Probleme. Kritikern zufolge sei in seiner DDR-Dissertation von 1981 wie in der Gesinnungslyrik der „marxistisch-leninistischen“ Habilitationsschrift von 1989 kaum eine Passage zu finden, die ihm heute nicht peinlich sein müßte. Für den Aufstieg in die 1990 bereits reichlich herunterreformierten bundesdeutschen Institutionen, vom Professor in Halle bis an die Spitze der Universität Humboldts und Hegels, war dieses Lippendienst-Training natürlich von Vorteil.

DDR-Dissertationen sind wissenschaftlich so wertlos wie viele juristische, politologische und sonstige geisteswissenschaftliche Doktorarbeiten BRD-Ursprungs, oder eben gleichrangig mit jener „beflissenen Schülerarbeit“ Schavans, die – wie Heike Schmoll höhnt (FAZ vom 7. Februar) – nie als Dissertation hätte angenommen werden dürfen. Aber der Sturz ihrer Verfasserin, als später Fluch der bösen Tat, erfolgt in einer Zeit, in der sich Minimalstandards als Norm für 25.000 Promovenden jährlich betonhart etabliert haben. Nicht zuletzt durch ideologisch erwünschte Kultivierung der „Wissenschaft des Nichtwissenswerten“ (Ludwig Hatvany) im Fächerdschungel von „Gender“ und „Multikulti“. Hier hat der Umbau der Universität zum Narrenhaus das Richtfest schon hinter sich. Dissertationen mit dem Arbeitstitel „Ästhetische Entwicklung von Vibratoren und Dildos“, wie sie Tanja Brümmer, Mitarbeiterin des Erotik-Versands Orion, demnächst an der Universität Flensburg einreichen wird (Schleswig-Holsteinische Landeszeitung vom 10. Januar), sind deswegen keine exotischen Ausnahmen mehr.

Ob eine „teutonische Titel-Teuerung“ Remedur schafft, die Zugangshürden zur Doktorwürde erhöht und sich am britischen Maß von 15. 000 Promotionen pro Jahr orientiert, wie sie Wolfgang Münchow auf Spiegel Online (6. Februar) anregt, ist zu bezweifeln. Denn unser faules Promotionswesen indiziert eine Systemkrise, der nicht mit kosmetischen Korrekturen, sondern allein mit einem Leitbildwechsel beizukommen ist.

Foto: Annette Schavan am 15. Juni 2012 in Bonn mit dem damaligen Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Matthias Kleiner (l.), und dem Vorsitzenden des Wissenschaftsrates, Wolfgang Marquardt: Elementares wissenschaftliches Handwerskzeug fehlte

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