© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/13 / 15. Februar 2013

Das Falsche hat Bestand
Das Auswärtige Amt hält an umstrittener Studie fest
Stefan Scheil

Seit fast zwei Jahren tobt inzwischen der Streit um „Das Amt und die Vergangenheit“ einer von Außenminister Joschka Fischer eingesetzten Historikerkommission zum Verhältnis von Auswärtigem Amt und dem NS-Regime. Die ausgewählten Historiker und Kommissionsmitglieder Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann präsentierten ein gewünschtes Ergebnis. Es sprach bei reichlich Fehlern und wenig Kompetenz viel von Verbrechen und wurde in der Fachwelt weitgehend verrissen oder belächelt (JF 16/11). Dessen ungeachtet hält das Auswärtige Amt am Bericht fest. Präsentationen von Jerusalem bis Washington haben dessen Sicht verbreitet, während sich die Kommissionsmitglieder mit jedem Rechtfertigungsversuch ein wenig mehr blamierten.

So legten die Autoren im Vorwort der 2012 erschienenen Taschenbuchausgabe des „Amts“ noch einmal nach, um dem Auswärtigen Amt samt seinem damaligen Chef, Joachim von Ribbentrop, nichts Geringeres als den Holocaust zur Last zu legen. Dies wird mit einer Spekulationskette begründet, in der zwei Elemente eine Hauptrolle spielen: Einmal sind es Anmerkungen von Carltheo Zeitschel, eines Mitarbeiters der Botschaft in Paris, zu dem Buch „Germany must perish“ des amerikanischen Autors Theodore N. Kaufman. Zeitschel schlug Otto Abetz, dem deutschen Botschafter in Frankreich, als mögliche Reaktion auf Kaufmans Pamphlet die tödliche Verfolgung europäischer Juden vor. Das soll Abetz dann am 16. September 1941 seinem „Führer“ vorgetragen haben. Zum anderen heben die Autoren ein Treffen des Außenministers von Ribbentrop mit Hitler hervor, das am 17. September 1941 stattgefunden hat. An diesem Tag und mit diesem Treffen, betonen die Autoren nochmals, sei „das Ende des deutschen Judentums besiegelt“ worden.

Die Autoren behaupten, Kaufmans Pamphlet sei 1940 erschienen und sofort von der deutschen Botschaft an Goebbels übermittelt worden. Dies ist einer von zahllosen Fehlern und Ungenauigkeiten, die sich durch das „Amt“ ziehen. Tatsächlich ist „Germany must perish“ erst im Frühjahr 1941 erschienen und wurde von Goebbels am 22. Juli 1941 erstmals nachweislich zur Kenntnis genommen. Die von Theodore N. Kaufman propagierte Vernichtung des deutschen Volks durch Sterilisation schien Goebbels dann mit einigen Tagen Verzögerung wichtig und ernstgemeint genug, um propagandistisch ausgeschlachtet zu werden.

Er ließ eine Broschüre anfertigen, die in ganz Deutschland in Millionenauflage verbreitet werden sollte und deren Inhalt vorher, am 19. August 1941, die Billigung von Hitler persönlich fand. Der laufende Krieg wurde darin als versuchte Ausrottung des deutschen Volkes dargestellt. Das Auswärtige Amt spielte bei dieser Entwicklung keinerlei nachweisbare Rolle. Insbesondere die erst Mitte September angefertigten Notizen Zeitschels für Abetz können dies schon aus zeitlichen Gründen nicht getan haben. Zum Treffen Ribbentrop-Hitler am 17. September 1941 wird sicherheitshalber behauptet, daß es keine Aufzeichnung der Unterredung gibt. Damit lassen sich dann Angaben über einen Gesprächsinhalt, der sich mit Judenverfolgung beschäftigt und außerdem noch vom Minister des Auswärtigen an Hitler herangetragen worden sei, möglicherweise schützen.

Es gibt allerdings recht präzise Angaben, was damals besprochen wurde, was der Kommission offenbar unbekannt ist. Hintergrund des Treffens war in der Tat ein Ereignis in den USA, allerdings ein ganz anders geartetes. Am 15. September 1941 hatte der US-amerikanische Marineminister Frank Knox in drastischen Worten neue Maßnahmen angekündigt. Die US-Flotte habe den Befehl, deutsche Kriegsschiffe im Nordatlantik ab dem 16. September „mit allen verfügbaren Mitteln aufzubringen oder zu zerstören“. Präsident Roosevelt ergänzte dies in allgemeiner Form, die USA würden den gegen Deutschland kriegführenden Staaten „nicht nur das Schild, sondern auch das Schwert anbieten, um den Sieg zu erringen“.

Die deutsche Marineführung und der Außenminister grübelten daraufhin, ob und wie man auf diesen Schritt reagieren sollte. Beim Zusammentreffen am 17. September 1941, so die Aktenlage, „war der Reichsaußenminister mit Großadmiral Raeder und dem Chef der U-Bootwaffe Dönitz beim Führer, um die durch die amerikanische Erklärung über den bewaffneten Geleitschutz nach Island entstandene Lage und sich daraus ergebenden Folgen für den Krieg im Atlantik zu besprechen“.

Die Autoren geben an, auch vom Treffen Hitlers mit Abetz am 16. September, bei dem Zeitschels mörderisch-antisemitische Vorschläge nach ihrer Ansicht überbracht worden sein sollen, gebe es „kein Protokoll“. Kein Protokoll? Jedes historische Seminar hält für das Studium der Außenpolitik des Dritten Reichs die „Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik“ (ADAP) bereit. Dort findet man im zweiten Teil von Band 13 der Serie D genau das eineinhalbseitige Protokoll des Gesprächs Abetz-Hitler von diesem Tag, das es laut der Kommission nicht geben soll. Von Judenverfolgung ist darin keine Rede. Hitler gab an, von Frankreich keinesfalls mehr als Elsaß-Lothringen zu fordern und das Land nach dem Krieg auch wieder militärisch räumen zu wollen, mit Ausnahme eines Stützpunkts am Pas de Calais.

Was bedeutet das? Vier Professoren, ein umfangreicher Mitarbeiterstab und ein Millionenzuschuß des Auswärtigen Amts haben offenkundig nicht genug Sorgfalt generiert, um auch nur den Mindeststandard einer studentischen Seminararbeit zu sichern. Das ist auch für die bisher aufgetretenen Kritiker des Kommissionsberichts eine peinliche Angelegenheit, da sie den Blick auf das Offensichtliche ebenfalls versäumt haben. Nicht zum ersten Mal wurde mit Blick auf das Dritte Reich mehr gedeutet als gewußt. Es wäre Zeit, den Kommissionsbericht endlich auch offiziell zurückzuziehen.

„Das Amt“: Widerlegte Studie

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