© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/13 / 22. Februar 2013

„Faktisch nazifrei“
Dresden: Das Gedenken an die Toten des Bombenkrieges wurde auch dieses Jahr durch politische Instrumentalisierung überschattet / Blockade und Gewalt von Linksextremisten
Paul Leonhard

Die alten Dresdner sind auch an diesem 13. Februar zu Hause geblieben. Sie haben abends, Punkt 21.45 Uhr für eine Viertelstunde die Fenster geöffnet, um die Glocken der Kirchen der Stadt zu hören. Vor 68 Jahren fielen zu diesem Zeitpunkt die ersten Bomben. Traditionell erinnern die Glockentöne an die Zerstörung der Stadt durch angloamerikanische Bomber und die mehr als 35.000 Toten. Nur wenige aus der Kriegsgeneration haben sich an den von Rathausführung und Parteien – von CDU bis zu den Linken – organisierten Veranstaltungen beteiligt.

Es ist ihr stummer Protest gegen die politische Vereinnahmung ihres Leides. Davon war am anderen Morgen in den Tageszeitungen nichts zu lesen. Deren Mitarbeiter berichteten im Kriegsreporterstil lieber über die Taktik der linken Gegendemonstranten und über Blockaden an strategischen Orten. „4.000 Menschen schafften es, den Nazi-Aufmarsch in Dresden beträchtlich zu stören“, atmete die taz auf und titelte: „Schneebälle gegen rechts“.

Daß der geworfene Schnee Steine umhüllte, daß auch Flaschen geworfen und dabei drei Eingekesselte verletzt wurden, fiel unter den Tisch. Unterdessen blockierten die Sympathisanten des linksradikalen Bündnisses „Nazifrei, Dresden stellt sich quer“ rechtswidrig die geplante Demonstration der NPD-nahen Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO). Die Polizei ließ es, wie zuvor in den Medien angekündigt, geschehen. „Wir werden für die Nazis nicht kämpfen“, hatte Polizeipräsident Kroll öffentlich erklärt, was einem Freibrief für die Blockierer gleichkam. Vor dem Hauptbahnhof wurden etwa 500 Rechtsextremisten eingekesselt, 200 weitere am Lennéplatz. Die Zeit vertrieben sie sich mit Rufen wie „Die Straße frei der nationalen Jugend“.

Größere Ausschreitungen gab es diesmal nicht. Allerdings wurden drei Polizisten teilweise schwer verletzt. Über den Hintergrund der Angreifer sei zunächst nichts bekannt geworden, hieß es. Daß es Linksextremisten waren, die zwei Zivilbeamte mit Holzknüppeln krankenhausreif schlugen, wagte sich nur die Bild-Zeitung zu schreiben. Der dritte Polizist wurde am Hauptbahnhof mit einem Laserpointer attackiert und mußte sich ebenfalls stationär behandeln lassen. Auch zwei Straßenbahnen wurden beschädigt. Bei der Gedenkveranstaltung am Heidefriedhof waren es ebenfalls Störer aus der linken Ecke, die zu provozieren versuchten. „Gedenken abschaffen“, forderte ein Demonstrant.

Trotzdem fand Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) es lediglich „unerträglich, daß Rechtsextremisten aller Art versuchen, unser Gedenken an die Zerstörung unserer Stadt zu mißbrauchen für ihre Haß- und Rachefeldzüge“. Kein Wort darüber, daß sich in Dresden Rechts- und Linksextremisten seit Jahren gegenseitig aufputschen und das Bürgertum bis heute nicht weiß, wie es damit umgehen soll. Den Schlußpunkt setzte die Pressestelle der Polizeidirektion Dresden. Um 23.15 Uhr vermeldete sie auf ihrer Internetseite: „Dresden ist faktisch nazifrei.“

Dennoch: Die Resonanz auf die Aufrufe von Rechts- und Linksextremisten, am 13. Februar in Dresden zu demonstrieren, ist geringer geworden. Der Internetaufruf für den Gedenkmarsch – „Teilnahme ist Ehrensache“ – von NPD-Chef Holger Apfel fand offenbar wenig Gehör. Ebenso konnte die Menschenkette „zum Schutz der Altstadt“ mangels Beteiligung erstmals seit ihrer Initiierung 2010 nicht geschlossen werden. Der Kampf um die Deutungshoheit des Gedenkens geht derweil weiter. Aktueller Streitpunkt ist die Busmannkapelle. Sie soll Mahnmal für die Opfer der Bombenangriffe von 1945 werden.

Die historische Kapelle war Teil der im Krieg schwer beschädigten und 1963 aus politischen Gründen abgerissenen gotischen Sophienkirche. Lange hofften die Dresdner, daß das Gotteshaus wieder aufgebaut wird, aber 1999 entstand auf einem Teil der Fläche ein steriles Bürohaus. Neben diesem wird seit einigen Jahren an der Gedenkstätte Busmannkapelle gebaut. In ihr sollen die 19.000 bekannten Namen von Opfern des Bombenterrors auf Dresden genannt werden, um ein individuelles Gedenken zu ermöglichen. Das konnte im Oktober 2010 eine knappe Mehrheit der bürgerlichen Fraktionen im Stadtrat gegen den Widerstand von Linken, SPD und Grünen durchsetzen. Die Busmannkapelle könnte ein Pilgerort für Rechtsextreme werden, warnt bereits der Sprecher des Bündnisses „Dresden Nazifrei“, Silvio Lange, und prophezeit Ungeheuerliches: „Man stelle sich vor, daß der Name eines Juden, der sich versteckt gehalten hat, neben dem eines Mitgliedes der SS aufgeführt würde“.

Wer die 30 Opfer der Bombennacht waren, die im Juli bei Bauarbeiten im Stadtzentrum gefunden worden waren und die an diesem 13. Februar beigesetzt wurden, bleibt hingegen weiter unbekannt.

Foto: „Schneebälle gegen Rechts“: Auch diesmal zeigten sich linke Gegendemonstranten wenig friedlich

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