© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/13 / 22. Februar 2013

Merkels Täuschungsmanöver
EU-Haushalt: Deutschen Milliardentransfers gehen weiter / Weiterhin größter EU-Nettozahler
Christian Schreiber

Am Ende lag es wieder einmal an Deutschland. Das Tauziehen um den EU-Haushalt ist vorerst beendet, und Angela Merkel mußte wieder in der Kutte des Büßers auftreten. Es liege auch am finanziellen Engagement Deutschlands, daß das Finanzbudget nicht nur zustande kommt, sondern auch „Wachstumsakzente“ setzen kann, hieß es unlängst in mehreren europäischen Hauptstädten. Denn während die meisten EU-Staaten mit Rekordschulden und Rezession zu kämpfen haben, verzeichnet Deutschland vergleichsweise gute Wirtschafts- und Finanzzahlen.

Bislang jedenfalls. Denn beim Geld hört die Freundschaft bekanntermaßen auf. Daher ging es bei den Gipfeltreffen der EU auch mächtig zur Sache. Auf Betreiben von Kanzlerin Merkel und vor allem durch die konsequent nationale Interessen verfolgende Position des britischen Premierministers David Cameron (JF 6/13) hat sich die EU zumindest offiziell einen Sparkurs verordnet. Die Bewährungsprobe steht allerdings noch aus. Wünschenswert wäre es allemal. Denn seit der Wiedervereinigung hat Deutschland rund 200 Milliarden Euro Nettozahlung geleistet. Das sind rund 45 Prozent der gesamten Nettobeiträge aller zehn EU-Nettozahler – weit überproportional zu Deutschlands Wirtschaftsleistung. Franz-Ulrich Willeke, bis zu seiner Emeritierung Volkswirtschaft an der Uni Heidelberg lehrte, hat Details in seinem Buch „Deutschland, Zahlmeister der EU“ vorgerechnet (JF 26/11).

Nettobeiträge sind de facto eine nationale Gewinn- und Verlustrechnung bei den Transferleistungen an die EU. Demnach hat Deutschland in den vergangenen 22 Jahren 200 Milliarden Euro mehr gezahlt als an Förderungen zurückflossen. Die Staats- und Regierungschefs haben erbittert gestritten und erst im zweiten Anlauf die Einigung über den EU-Finanzrahmen 2014 bis 2020 erzielen können. Dieser soll auf 960 Milliarden Euro begrenzt werden. Für EU-Parlamentspräsident Martin Schulz ist dies nicht genug. Der SPD-Politiker nannte die Haushaltseinigung ein „unglaubliches Täuschungsmanöver“, weil die Obergrenze nicht voll ausgeschöpft werde und weniger Ausgaben vorgesehen sind. Die EU-Abgeordneten in Straßburg könnten das Ganze noch stoppen. Legt eine Mehrheit der 754 Parlamentarier ihr Veto ein, würde der alte Finanzrahmen fortgeschrieben und jährlich um weitere zwei Prozent erhöht.

Die deutsche Öffentlichkeit hat von all den Themen in den vergangenen Monaten nur am Rande Notiz genommen. Zwar sind nach übereinstimmenden Meinungsumfragen rund die Hälfte der Deutschen der Meinung, die Bundesrepublik zahle zuviel Geld an europäische Institutionen, in Wahlkämpfen thematisiert wird dies von den Bundestagsparteien aber kaum. Dafür versuchen Vertreter anderer EU-Länder den deutschen Beitrag kleinzurechnen.

So beanspruchte Italiens zurückgetretener Ministerpräsident Mario Monti kürzlich diesen Titel, weil sein Land im Jahr 2011 einmal die höchsten Nettozahlungen – 0,38 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) – überwiesen hat. Die Niederländer und die Belgier haben in den letzten Jahren ebenfalls vergleichsweise hohe BNE-Anteile an Brüssel überwiesen. Künftig wird der deutsche Beitrag allerdings weiter steigen. Neu ist, daß Deutschland dann auch relativ zur Wirtschaftsleistung größter Nettozahler wird. Im Verhältnis zu seinem Bruttonationaleinkommen (BNE) steigt der Beitrag von durchschnittlich 0,35 Prozent auf zwischen 0,37 und 0,38 Prozent. Es folgen die Niederlande (0,37 Prozent) und Schweden (0,35 Prozent).

Der Nettobeitrag Frankreichs, Österreichs und Großbritanniens beträgt in der Finanzperiode 2014 bis 2020 nach dem Kompromiß vom Freitag durchschnittlich 0,31 Prozent des BNE. Zu berücksichtigen ist, daß es sich bei den vorgelegten Zahlen um Prognosen handelt. Wie sich der genaue Beitrag letztlich entwickelt, hängt davon ab, wie der Zugriff auf die EU-Mittel erfolgt und wie die wirtschaftliche Entwicklung in den Mitgliedsländern ist.

Im Jahr 2011 hatte Deutschland einen Nettobeitrag von neun Milliarden Euro nach Straßburg und Brüssel überwiesen. Es folgten Frankreich mit 6,4 Milliarden Euro und Italien mit 5,9 Milliarden Euro. Nach den Berechnungen des Ökonomen Willeke über den Zeitraum 1991 bis 2011 ist Deutschland sowohl absolut als auch relativ mit Abstand der größte Zahler: „Die EU ist damit eine ganz erhebliche Transfer- und Umverteilungsunion, in der nicht erst im Zuge der ‘Euro-Rettung’ Hilfspakete in Milliardenhöhe an die Peripherie gereicht werden“, kritisierte Willeke in der FAZ. „In den kommenden Jahren wird der deutsche Nettobeitrag zum EU-Haushalt steigen, weil die Förderung für viele Regionen in den ostdeutschen Bundesländern gekürzt wird und mehr Geld nach Ost- und Südeuropa fließt.“

Während die Deutschen die Zahlen aus Brüssel gewohnt teilnahmslos hinnahmen, regt sich in Österreich mehr Widerstand. Dort standen bislang die FPÖ und BZÖ mit dezidierter EU-Kritik alleine da. Mit der Neugründung „Team Stronach für Österreich“ könnten bald drei parlamentarische Kräfte ihre Stimme gegen Brüssel erheben.

Details des EU-Finanzrahmens 2014–2020: consilium.europa.eu

Franz-Ulrich Willeke: Deutschland, Zahlmeister der EU. Olzog Verlag, München 2011, broschiert, 160 Seiten, 19,90 Euro

Foto: Verladekran in Berliner Hafen: Täglich fließen im Schnitt über 50 Millionen Euro aus Deutschland in den EU-Haushalt, nur wenig kommt zurück

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen