© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/13 / 22. Februar 2013

Millionengrab am Schwarzenbergplatz
EU-Jobmaschinerie: In der Mitte Wiens kämpft die EU-Grundrechteagentur vor allem gegen „Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz“
Sverre Schacht

Europäische Agentur für Grundrechte? Kaum einer kennt die European Union Agency for Fundamental Rights (FRA). Die EU-Agentur verfügt über ein Jahresbudget von 20 Millionen Euro. 90 feste Mitarbeiter arbeiten in dem repräsentativen Gebäude am Wiener Schwarzenbergplatz 11, vis-à-vis der französichen Botschaft. Doch nicht der „Schutz der Grundrechte von in der EU lebenden Menschen“, nicht der „Schutz der Grundrechte von Migrantinnen und Migranten in einer irregulären Situation“ – also Personen, die die Einreise-, Aufenthalts- oder Niederlassungsbedingungen in der Europäischen Union nicht erfüllen –, nicht die Bereitstellung von Informationen für EU-Einrichtungen und -behörden oder die „Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Grundrechtsfragen“ stehen immer im Mittelpunkt der Arbeit.

Schwerpunkt der FRA-Arbeit ist ebenso die „Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und damit einhergehender Intoleranz“. Zudem wird die Notwendigkeit gesehen, den Antisemitismus in der EU „verstärkt zu bekämpfen“. Vor diesem Hintergrund hat die FRA für das Jahr 2013 die Veröffentlichung von Ergebnissen einer Forschungsarbeit zu „Haßverbrechen“ vorgesehen, ebenso einen Jahresbericht über Antisemitismus in der EU, Umfragen zu „Haßverbrechen gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender-Personen“ (Mai 2013) und zu Gewalt gegen Frauen (Oktober 2013).

Ein weiteres Kernanliegen der FRA sind Roma. Gut 20.000 Roma zwischen Ungarn und Frankreich befragte nun die FRA, aber nur 7.500 Angehörige der jeweils umgebenden Mehrheitsbevölkerung. Solche Unausgewogenheit erntet Kritik. Der Aktivist Valeriu Nicolae, Leiter des von ihm mitgegründeten „Policy Center for Roma and Minorities“ in Rumänien, lehnt das Werben der FRA um Zusammenarbeit strikt ab: „Ich sagte dem Direktor und seinen Mitarbeitern wiederholt, daß Treffen in Fünf-Sterne-Hotels zu Fragen der Roma mindestens eine Verschwendung von Geld seien und daß, wenn die FRA eine Wirkung erzielen wolle, sie ihre Veranstaltungen dort abhalten solle, wo die Roma leben.“

Die Grundrechteagentur wurde im März 2007 im Wiener Palais Niederösterreich feierlich eröffnet und ist Nachfolgerin der 1997 gegründeten „Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“. Voller Europaeuphorie begrüßte der Vizepräsident der Kommission, der Italiener Franco Frattini, die Errichtung: „Wir müssen die Grundrechte fördern, wenn wir ein Europa schaffen wollen, auf das wir stolz sein können. Ein Europa, das von Vielfalt geprägt und integrierend ist, wo Menschen miteinander leben und geschlechtsspezifische und ethnische Unterschiede oder sonstige Ungleichheiten überwunden sind.“

Problem bei der Arbeit der FRA ist aber deren begrenztes Mandat. Schon die Erweiterung um die Grundrechtearbeit war politisch wegen befürchteter Doppelzuständigkeiten umstritten. Um diese zu vermeiden, ist der Europarat im Aufsichtsrat der FRA vertreten. Die Agentur darf im Gemeinschaftsrecht festgelegte Befugnisse der EU nicht überschreiten, so der Gründungsgedanke. Entsprechend ist für Beschwerden in konkreten Fällen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (JF 8/12): „Im Zweifel gegen die Abschiebung“) zuständig, was die Wiener Behörde zu einem vordergründig zahnlosen Tiger macht. Trotzdem flossen vergangenes Jahr 9,3 Millionen Euro des Budgets allein an Juristen, Sozial- und Politikwissenschaftler, Statistiker sowie Experten für Kommunikation.

Als behördliche Jobmaschine gliedert sich die Agentur in einen Verwaltungsrat, das ist die „Planungs- und Überwachungsinstanz der Agentur“, einen Wissenschaftlichen Ausschuß, einen Exekutivausschuß und den Direktor. Im Verwaltungsrat sitzen von den EU-Mitgliedsstaaten für fünf Jahre ernannte Wissenschaftler.

Vorsitzender Direktor ist seit Juni der Däne Morten Kjaerum. Er gab von Anfang an die Parole aus, die Vernetzung mit anderen Institutionen besonders zu nutzen. „Die vielen Fälle vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zeigen mir, daß wir Probleme in Europa haben“, so der Gründer des Dänischen Instituts für Menschenrechte zu seiner FRA-Amtseinführung.

Kjaerum gilt als ausgewiesener Experte für Flüchtlingsrechte, den Kampf gegen Rassendiskriminierung, gegen Ausgrenzung der Roma und Homophobie. Tatsächlich verfügt Kjaerum über lange Führungserfahrung, doch nicht nur in dem von der FRA gelobten Sinn: Als Kopf der dänischen Flüchtlings- und Asylbehörde verantwortete er von 1984 bis 1991 die Asylpolitik des Landes, die vor allem einen deutlichen Zuwachs moslemischer Einwanderung mit sich brachte.

Doch das Kind der EU, die immer darum bemüht ist, jedem Mitgliedsstaat eine prestigeträchtige Behörde zuzugestehen (siehe Infografik), ist nicht immer gut gelitten. Schon zur Gründung der Agentur sah der damalige europapolitische Sprecher der Grünen, Rainder Steenblock, keinerlei Existenzberechtigung: „Ihr Mehrwert scheint eher in einem Mehr an Berichten und Personalkosten zu liegen als in einem echten Plus für den Menschenrechtsschutz.“ Eine Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik bescheinigte der FRA 2008 zudem „nicht unumstritten“ zu sein, doch verfüge sie über ein „beträchtliches Potential für eine verbesserte Menschenrechtspolitik der EU, für mehr Synergie in einem ‘integrierten europäischen Menschenrechtsraum’“, so der Autor, Gabriel Nikolaij Toggenburg. Damals noch Funktionär der Seniorenorganisation EURAG, ebnete er sich mit dieser Expertise den Weg an die Fleischtöpfe der FRA.

Eindeutige Kritik an derart schwammig umrissener „Synergie“ kommt aber zumeist allein aus dem freiheitlichen Lager Österreichs. So fordert der FPÖ-EU-Abgeordnete Andreas Mölzer die Abschaffung der FRA anstatt des geplanten Ausbaus bis zum Jahr 2017. „Schließlich“, so Mölzer, seien für den Schutz der Menschenrechte auch Europarat und OSZE zuständig. Vor diesem Hintergrund sei es für die „Steuerzahler in Zeiten allgemeiner Sparpakete eine Zumutung, daß für die Grundrechteagentur allein heuer 20 Millionen Euro ausgegeben werden“.

Neben hohen Ausgaben und Überschneidungen von Kompetenzen erntet der wissenschaftliche Anspruch der FRA jüngst massive Kritik. Eine mit 370.000 Euro aus Steuermitteln der EU-Bürger finanzierte FRA-Studie vom vergangenen April erforschte die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts.

Die Ergebnisse fielen denkbar einseitig aus, urteilt die gemeinnützige Nichtregierungsorganisation European Dignity Watch. Sie verfolgt nach eigenen Angaben ständig Brüssels Gesetzgebung mit Blick auf Grundrechte. Das Ergebnis der FRA-Studie sei schon durch die Fragestellung vorgegeben, so diese Kritiker. Nicht nur das Meinungsforschungsinstitut Gallup, sondern auch die mehr als parteiische Schwulen-Lobbygruppe ILGA-Europe habe von der FRA den Zuschlag und damit die Steuergelder erhalten. ILGA sei zudem öfter Kunde von EU-Instanzen. Diese Aktivisten erhielten grundsätzlich „rund 70 Prozent ihrer Mittel von der EU-Kommission, zusätzlich Geld der niederländischen Regierung und von drei wohlhabenden Einzelpersonen“ – darunter demnach der schillernde US-Investor und Polit-Aktivist George Soros. Ohnehin manipulative Fragen seien dann vor allem Schwulen und Lesben gestellt worden, mit entsprechendem Ergebnis, so European Dignity Watch, was das FRA-Papier zu „Betrug ohne jedweden wissenschaftlichen Wert“ mache.

Das selbstgesteckte Ziel, „objektive, verläßliche und vergleichbare“ Informationen zu sammeln, kann die FRA so kaum glaubhaft vertreten. Fachliteratur und Zahlen anderer EU-Behörden wie der Nationalstaaten bilden allzuoft die Basis ihrer Arbeit. Das Höchstmaß eigenen Handelns besteht darin, einen sofortigen „Bericht zu einer dringlichen Grundrechtsangelegenheit“ vorzulegen. Wirksamere Mittel fehlen. 2008 kritisierte die FRA Deutschland in einem ihrer Berichte, daß noch keine Strafe wegen Diskriminierung mit rassistischem Hintergrund verhängt sei. „Die Umsetzung der EU-Vorschriften gegen Diskriminierung ist lückenhaft“, hielt Anastasia Crickley, FRA-Vorstandsvorsitzende, der Bundesrepublik vor. Wer aus welchen Motiven in den durchaus vorhandenen nationalen Gerichtsprozessen klagte, interessierte die FRA nicht.

Regelmäßige Rassismusvorwürfe gegen die sie finanzierenden Staaten gehören zum Kerngeschäft der FRA: Großbritannien schaffte es 2006 mit 65.000 in der britischen Statistik erhobenen rassistisch motivierten Straftaten auf Platz eins in Europa. Deutschland registrierte damals rund 18.000 Fälle, die sich allerdings überwiegend auf Rechtsextremismus bezogen, trotzdem verglich die FRA. Mangelnde empirische Genauigkeit werfen Kritiker der FRA daher immer wieder vor. Die betont dagegen ihr Mandat, gezielt Minderheiten zu befragen und stützt sich auf andere EU-Einrichtungen.

Auch an Kinder richtet sich die Organisation. Die „S’cool Agenda“ wirkt wie „ein Test, um das Menschenrechtsklima in deiner Schule zu testen“. Aufklärung über „Migrantinnen in einer irregulären Situation“ leistet das Papier, verbunden mit einem Aufruf: „Kennst du jemanden, der im Haushalt angestellt ist und/oder ältere Menschen und Kinder betreut?“ Kinder spricht das Papier bewußt als Melder an. Ein Verweis auf durch EU-Mitgliedsstaaten garantierte Grundrechte fehlt. Alle individuellen Rechte leitet das Faltblatt den Jugendlichen von EU- und FRA-Verlautbarungen ab. Was alles Diskriminierung sei, erläutern Beispiele: „In Deutschland wurde ein in der Elfenbeinküste geborener Mann dreimal als Bewerber um eine Stelle als Postzusteller abgelehnt – die Stelle blieb jedoch unbesetzt. Man sagte ihm, sein Deutsch sei nicht gut genug.“ Die FRA listet den Fall unter „Arbeitgeber besteht auf perfekten Kenntnissen in einer bestimmten Sprache, obwohl diese für die betreffende Position gar nicht benötigt werden“ auf.

http://fra.europa.eu/de

Foto: Gebäude der EU-Grundrechteagentur am Wiener Schwarzenbergplatz: Mehr Schein als Sein

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