© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/13 / 22. Februar 2013

Mit modernster Technik in die Tiefe
Wo einst Lucullus seine Kräuter pflegte: Zur Wiedereröffnung der Bibliotheca Hertziana in Rom
Paola Bernardi

Es war, als wäre die Zeit stehengeblieben: als gäbe die legendäre deutsche Mäzenin und Kunstsammlerin Henriette Hertz (1846–1913) wie einst ihren berühmten Jour fixe in ihrem Palazzo Zuccari oberhalb der Spanischen Treppe in Rom.

Alle waren an diesem Tag gekommen, voran die römische Prominenz und zahlreiche internationale Wissenschaftler. Die zu diesem Zeitpunkt noch im Amt befindliche deutsche Forschungsministerin Annette Schavan war ebenso vertreten wie der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Peter Gruss; umrahmt von vielen Ex-Professoren, ehemaligen Studenten und natürlich Deutsch-Römern. Sie alle feierten an diesem Tag gemeinsam in der berühmten deutschen Stiftung Bibliotheca Hertziana – dem Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte – den Neubau für die Bücherschätze. Ein wahres architektonisches Wunderwerk ist entstanden, von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, da das Publikum keinen Zugang in diese hehre deutsche Geistesstätte hat.

Schon Mitte der neunziger Jahre klagte man in der Hertziana über Platzenge. Die räumlichen Kapazitäten waren nahezu erschöpft. Die Wissenschaftler mußten sich mit einem Provisorium behelfen, viele Bücher waren ständig ausgelagert. Ein Neubau mußte her, wenn die Bibliothek mit dem Schwerpunkt auf italienische und römische Kunstgeschichte weiter wachsen sollte. In einem internationalen Architekturwettbewerb gewann der Spanier Juan Navarro Baldeweg.

Er wagte sich an das schier Unmögliche, nämlich einen Neubau im historischen Zentrum von Rom zu beginnen. Man weiß: Ein Spatenstich in den Boden von Rom und schon erfolgt der offizielle Stopp durch Denkmalschützer. Denn egal, wo man gräbt, immer befindet sich im Grund historische Substanz. Bedingung war außerdem, daß weder die Fassaden des Palazzo Zuccari noch des benachbarten Palazzo Stroganoff, den die Max-Planck-Gesellschaft 1963 erworben hatte, durch den Neubau in Mitleidenschaft gezogen werden dürften. Nach langen, endlosen Debatten mit den römischen Behörden konnte der erste Spatenstich im Jahre 2002 getan werden. Im Garten des Palazzo, auf dem Grund des abgerissenen Vorgängerbaus verwirklichte Baldeweg dann sein bahnbrechendes Projekt.

„La luz es materia“ (Licht ist das Material), so seine Devise. Und so baute er einen zentralen offenen Lichthof über einer trapezförmigen Grundfläche, eine unglaubliche bauliche Herausforderung. Zehn Jahre lang entwickelte Baldeweg gemeinsam mit dem italienischen Architekten Enrico da Gai diese kühne statische Konstruktion: Ein gegossenes Fundament war wegen wertvoller antiker Relikte im Untergrund nicht möglich. Also wurden schlanke Mikro-Stahlpfähle, 170 insgesamt, bis zu einer Tiefe von fünfzig Metern in die Bohrlöcher gerammt, so daß das Fundament quasi über der archäologischen Zone „schwebt“. Eine „Schachtel“ aus Stahlbeton trägt nun den Neubau, der sich treppenartig in filigraner Leichtigkeit um einen trichterförmigen Lichthof in die Höhe windet.

Immer wieder gab es Rückschläge: So verhinderten mitunter Kies und Schlamm die Verankerung der Stahlpfähle. Dann stellten sich die italienischen Behörden quer, machten immer wieder neue Auflagen. Während die Ingenieure den Neubau langsam in die Höhe schraubten, trugen die Archäologen in der Tiefe das Erdreich ab. Und sie wurden immer wieder fündig. Denn unter dem Palazzo Zuccari entdeckte man nicht nur prächtige Mosaiken und eine antike Brunnenanlage, sondern auch die gemauerten Fundamente eines Landschaftsgartens, der dem Feldherrn und Feinschmecker Lucullus gehörte. Er hatte sich um 60 v. Chr. hier hoch über Rom niedergelassen. Sogar Töpfe mit lukullischen Gewürzkräutern kamen bei den Ausschachtungsarbeiten ans Licht.

Zehn Jahre lang dauerten die Arbeiten zu diesem kühnen Erweiterungsbau. Die Finanzierung der gesamten Baukosten in Höhe von über 20 Millionen Euro erfolgte zu zwei Dritteln aus öffentlichen Mitteln der Länder und des Bundes sowie zu einem Drittel aus privaten Spenden.

Durch eine raffinierte Konstruktion können die Besucher der Bibliothek, mit nunmehr 290.000 Büchern, sogar die archäologische Zone durch eine verglaste unterirdische Galerie bewundern. Antike und Postmoderne wurden kühn miteinander verzahnt. Ausblicke gibt es auch in den einzelnen Stockwerken auf die bunt freskierten Säle des Palazzo, die der Barockmaler Federico Zuccari (1540–1609), der damals den Höhepunkt seiner Malerkarriere erreicht hatte, selbst ausgestaltete und bewohnte.

Nach seinem Tode wechselten mehrmals die Besitzer. Der Palazzo Zuccari, über der Spanischen Treppe thronend, wurde zum kosmopolitischen Mittelpunkt Roms, wo sich die geistige Elite Europas gern versammelte. So verkehrten hier auch der Schriftsteller und gescheiterte Freischärler Gabriele D’Annunzio und die berühmte Theaterschauspielerin Eleonora Duse. Bis heute verspürt man noch die illustre Vergangenheit dieses Ortes, wenn man durch die Räume wandert.

Auch Henriette Hertz, die mit ihren Freunden die Wintermonate in Rom verbrachte, verliebte sich in diesen hochgelegenen Palast, von dem aus der Blick weit über die Kuppeln der Kirchen von Rom schweifte. Hier führte die vermögende Kölnerin jüdischer Herkunft einen Salon, in welchem jahrelang die kunstsinnige, kosmopolitische Gesellschaft Roms verkehrte. Und in diesem Ambiente kam ihr auch die Idee zur Gründung eines „Römischen Instituts für Kunstgeschichte zur Erforschung der Kunst und Cultur von der Renaissance aufwärts in besonderer Beziehung auf Rom als Ausgangspunkt der europäischen Cultur“. Ein Jahr vor ihrem Tod vermachte sie den Palazzo Zuccari plus 5.000 Bücher und einem Stiftungskapital als „Bibliotheca Hertziana“ der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, der Vorgängerin der Max-Planck-Gesellschaft.

Es ist sicher ganz im Sinne von Henriette Hertz, daß seit 2001 zwei Direktorinnen an der Spitze des Instituts stehen: Elisabeth Kieven für Architekturgeschichte und Sybille Ebert-Schifferer mit Forschungsschwerpunkt Malerei und Bildkünste der Frühen Neuzeit, insbesondere der bolognesischen und römischen Malerei. Diese beiden Wissenschaftlerinnen hatten nicht nur den Mut, sondern vor allem das Durchhaltevermögen, den epochalen Neubau Baldewegs durchzuziehen. Rom ist damit um eine Attraktion reicher.

Kontakt: Bibliotheca Hertziana, Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, Via Gregoriana 28, I-00187 Rom. Telefon: 00 39 / (0)669 / 993 1

www.biblhertz.it

 

Ausstellung zur Hertziana

Aus Anlaß des hundertjährigen Bestehens der Bibliotheca Hertziana zeigt die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) bis zum 21. April 2013 eine Ausstellung über die wechselvolle Geschichte dieser Institution. In acht Kapiteln spannt sich der Bogen von dem Barockmaler Federico Zuccari über die Stifterin Henriette Hertz und den Gründungsdirektor Ernst Steinmann bis in die Gegenwart zum spanischen Architekten des Erweiterungsbaus, Juan Navarro Baldeweg. Geöffnet ist die Schau in der SLUB, Zellescher Weg 18, täglich von 8 bis 24 Uhr, sonntags von 10 bis 18 Uhr. Telefon: 03 51 / 46 77-390

http://blog.slub-dresden.de

Foto: Neubau der Bibliotheca Hertziana: „Erforschung der Kunst und Cultur von der Renaissance aufwärts“

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