© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/13 / 22. Februar 2013

Die Abnabelung vom Alphatier
Miriam Gebhardt kritisiert Alice Schwarzer und ihre überholten Sichtweisen zur Frauenemanzipation
Ellen Kositza

Alice Schwarzer ist gemäß Cicero-Rangliste Deutschlands bedeutendste Intellektuelle. Man mag derlei für halben Ernst nehmen, immerhin: Schwarzer sitzt in Talkshows, sie initiiert und befeuert Debatten, jeder kennt sie und ein paar ihrer Kernthemen. Sie hat vor dreieinhalb Jahrzehnten mit der Emma das Zentralorgan des bundesdeutschen Feminismus gegründet und führt die Zeitschrift bis heute. Daß sich viele ihrer – seit je zahlreichen – Kritiker über den heutigen „Staatsfeminismus“ mokieren, als dessen Leitstute Schwarzer gilt, ist das eine. Solche Kritik verfing nie in den letzten vierzig Jahren. Mochte eine Antifeministin wie Eva Herman auch hunderttausendfach gelesen und bestätigt worden sein, in politischer Hinsicht gab es nie ein Zurückrudern hinter die „Errungenschaften“ der Frauenbewegung.

Daneben gärt aber ein interner Unwillen gegen die Omnipräsenz der Schwarzer. Vorgeworfen wird der Bundesverdienstkreuzträgerin und Ritterin der französischen Ehrenlegion unter anderem, daß sie „sex-negativ“ sei (wegen ihrer Ablehnung von Pornographie und Prostitution sowie ihrer kritischen Einstellung gegenüber Männern) und nicht die Belange einer jüngeren Generation im Auge habe. Pünktlich zu Alice Schwarzers 70. Geburtstag im Dezember 2012 hat die Historikerin Miriam Gebhardt einen Rundumschlag gegen die Jubilarin publiziert. Sie gibt Schwarzer die Schuld daran, daß „die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor“. Ob der Vorwurf zutrifft, sei vorerst dahingestellt. Schon weil die Autorin eloquenter und fundierter schreibt als das Gros ihrer Vorgängerinnen, lohnt sich die Lektüre des meinungsfreudigen Werks.

Gebhardt liefert einen hervorragend lesbaren Überblick über die vielgestaltige Frauenbewegung, die sie entgegen den Üblichkeiten nicht in eine erste (nämlich bürgerliche) und zweite (nach 1968) aufgeteilt sehen will, deren Ursprünge sie aber richtig im Achsenjahr 1789 ansiedelt. Die herkömmliche Unterscheidung in Differenz- und Universalfeminismus (ersterer betont die speziell weiblichen Stärken, letzterem, dem egalitären Zweig, darf man Schwarzer zurechnen) bricht sie auf, in dem sie zwei Parolen als kategoriale Kriterien einführt: Die eine Strömung baut auf ein „Erkenne dich selbst!“, die andere fordert eine Anpassung an die Welt, wie sie ist: „Ändere dich gefälligst!“ Schwarzers Schule und mithin die Doktrin des Hauptstroms möchte letzteres erreichen: eine Adaption an die liberale Marktgesellschaft.

Dabei – Gebhardt führt das entlang maßgeblicher Quellen auf – war es schon in früheren Zeiten eine Fiktion, daß alle Frauen gleiche Interessen hätten. Tatsächlich ist ins Hintertreffen geraten, daß etwa die Quotenfrage ein minimales Eliteninteresse betrifft, das mit dem Alltag von Verkäuferinnen und Kindergärtnerinnen nichts zu tun hat. Es gibt zahlreiche Großgruppen, die der Schwarzersche Feminismus nicht nur nicht im Auge hat, sondern brandmarkt. Das Verdikt des „falschen Bewußtseins“ betrifft nicht nur bekopftuchte Frauen, sondern auch stillende Mütter, Hausfrauen und Frauen, die aus ihrer Körperlichkeit Kapital schlagen.

Schwarzers Orthodoxie schrecke Jüngere ab, klagt Gebhardt. Das mag stimmen. Der sogenannte Third-Wave-Feminismus, die dritte Welle der Frauenbewegung, hat kaum Anknüpfungspunkte mit dem Emma-Spektrum. Einerseits hangelt er sich, anders als Schwarzers Club, an akademischen Theorien entlang. Possierlich war das jüngst zu beobachten, als die Emma den Neofeministinnen von mädchenmannschaft.de strammen Antifaschismus stalinistischer Manier vorwarf. Mit deren Rassismusverdacht gegen herkömmliche feministische Bestrebungen (Kampf gegen Verschleierung!) würden sie die „Frauenfrage“ als sekundär abkanzeln. Zuvor hatten die Mädchenmannschaftlerinnen den Feministinnen älteren Schlags vorgeworfen, durch das Anprangern des Schleiers „PoC“ (People of Colour) in kolonialer Manier zu diskriminieren.

Andererseits formiert sich jene Bewegung, die Gebhardt gegen Schwarzer gestärkt sehen will, als „Lipstick-Feminism“. Dessen Vorkämpferinnen in den USA inszenieren sich glamourös und sexuell herausfordernd. Gebhardt klagt, daß beides in Deutschland keinen Platz habe. Es gäbe hierzulande weder intellektuell namhafte femmes de lettres noch Diven mit dem Charme eines Feminismus, der durch Sex-Appeal besteche. Das deutsche Kontrastbild zeige einen „Fernsehphilosophen, der seit Jahren nicht beim Friseur war“.

Ja, Gebhardts Argumentationsstil ist beschwingt, doch will man ihre Analyse kaum teilen: Gibt es etwa einen Erlaß Schwarzers, wonach Redaktionsstuben verboten wäre, andere Frauenrechtlerinnen mit anderen Schwerpunkten (wie eben Gebhardt) einzuladen? Hat Alice Schwarzer wirklich „seit vierzig Jahren inhaltlich nichts bewegt“? Man könnte glatt zum gegenteiligen Fazit kommen. Gebhardt aber betrachtet den Kampf ums Abtreibungsrecht als Niederlage des Schwarzer-Feminismus, sie sieht allenthalben eine krasse Benachteiligung der Frauen, staatlicherseits stets aufs neue befördert! Wenn es in der eingeschlagenen Geschwindigkeit weiterginge, seien Frauen in „ungefähr fünfhundert Jahren“ gleichberechtigt. So viele Tränen!

Miriam Gebhardt: Alice im Niemandsland. Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor. DVA, München 2012, gebunden, 352 Seiten, 19,99 Euro

Foto: Feministinnen der „dritten Welle“ (Lena Chen, Allison Kasic, Courtney Martin, Naomi Wolf, Lesley Jane Seymour, Shelby Knox v.l.n.r.) vor „Staatsfeministin“ Alice Schwarzer: Orthodoxie schrecke Jüngere ab

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