© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/13 / 01. März 2013

Fluch der Amnestie
Grenzkriminalität: Freigelassene tschechische Straftäter sorgen für Unruhe
Paul Leonhard

Eine Welle von Kleinkriminellen überschwemmt zur Zeit Nordböhmen und sorgt auch in der sächsischen und bayerischen Grenzregion für Angst. Schuld ist Tschechiens scheidender Präsident Václav Klaus. Der hatte es zum Ende seiner Amtszeit noch einmal mit einer großen staatsmännischen Geste versucht und war so gut wie in alle Fettnäpfchen getreten, als er in seiner Neujahrsansprache eine umfassende Teilamnestie verkündete.

Begnadigt wurden unter anderem all jene, die eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr abzusitzen hatten. Das betrifft etwa ein Drittel der zu diesem Zeitpunkt in den tschechischen Gefängnissen Einsitzenden. So müssen seit Anfang Januar etwa 7.500 Kriminelle, in den meisten Fällen wegen Eigentumsdelikten verurteilt, freigelassen werden. Obwohl Richter eigentlich jeden Fall einzeln prüfen sollten, waren nach Angaben des Tschechischen Rundfunks bereits innerhalb kürzester Zeit rund 6.000 Frauen und Männer in Freiheit. Mindestens 30 nutzten die unverhoffte Chance, um sofort wieder Straftaten zu begehen. So wurden im nordostböhmischen Gitschin (Jicin) zwei gerade Entlassene erwischt, wie sie in einer neben dem Zuchthaus gelegenen Bar Geld stahlen und anschließend versuchten, ein Auto aufzubrechen. Ein 55 Jahre alter Amnestierter wurde in der Region Eger (Cheb) wegen Körperverletzung mit Todesfolge festgenommen.

Überproportional viele der entlassenen Diebe, Räuber und Einbrecher wohnen im Grenzgebiet zu Deutschland, 1.400 allein in den Grenzbezirken Reichenberg (Liberec) und Aussig (Usti nab Labem). Auf deutscher Seite sieht man den Präsidentenerlaß deswegen mit großer Sorge. Allein im ostsächsischen Dreiländereck bei Zittau ist die Zahl der (aufgeklärten) Diebstähle, die auch ohne Amnestie auf das Konto von Polen und Tschechen geht, auf 60 Prozent gestiegen. Kommunalpolitiker auf beiden Seiten der Grenze befürchten nun einen rapiden Anstieg der Eigentumsdelikte im Grenzgebiet. Mehr als 200 tschechische Bürgermeister haben aus Protest in ihren Amtsstuben die Bilder des Präsidenten abgenommen.

Es seien Verurteilte entlassen worden, die vorsätzlich Straftaten begangen haben, und gegen andere sei das Verfahren eingestellt worden, kritisierte der Bürgermeister von Schelechowitz an der Drewnitz (Zelechovice nad Drevnici), Michal Spendlik, gegenüber Radio Prag: „Wir würden verstehen, wenn jemand wegen einer nichtvorsätzlichen Tat freikommt, ihm eine zweite Chance gegeben wird und er in die Gesellschaft zurückkehren kann.“

Selbst dem sonst mit Kritik an den osteuropäischen Nachbarn sehr vorsichtigen sächsischen Innenminister Markus Ulbig (CDU) reicht es jetzt. Er sehe die Freilassung der Kleinkriminellen als sehr kritisch, da die Folgen „für unsere Bevölkerung nicht abzuschätzen sind“. Man rechne durchaus mit Problemen.

Sachsen und Bayern reagieren mit verstärkten Grenzkontrollen. Das tschechische Innenministerium kündigte an, die Polizei verstärkt patrouillieren zu lassen. Und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will zusätzliche Bundespolizisten abstellen. Denn neben dem Buntmetallklau rechnet die deutsche Seite mit dem vermehrten Diebstahl von Autos. Die Hoffnung der Minister ruht auf den soeben nach deutsch-polnischem Vorbild installierten deutsch-tschechischen Fahndungsgruppen, die grenzüberschreitend agieren dürfen. Die Wissenschaftler des tschechischen Instituts für Kriminologie und Prävention prophezeien bereits, daß rund die Hälfte der Begnadigten innerhalb von zwei Jahren erneut im Gefängnis sitzen wird.

Während die einfachen Bürger in Tschechien und Deutschland bis dahin um ihr Eigentum fürchten müssen, sieht die Opposition in Prag einen ganz anderen Hintergrund für die Amnestie. Denn offenbar fallen unter sie auch Personen, die wegen Wirtschaftsverbrechen und Korruption angeklagt, aber noch nicht vor Gericht gestellt werden konnten. Jetzt werde eine Reihe prominenter Wirtschaftskrimineller straffrei bleiben, vermutet der Vorsitzende der oppositionellen Sozialdemokraten Bohuslav Sobotka. Schon deswegen sei diese Amnestie „ungerecht und empörend“.

Der ehemalige stellvertretende Bürgermeister der Stadt Zlin, Marin Janecka, ist dabei noch ein kleiner Fisch. Er wurde wegen Beihilfe zur Bestechung eines Insolvenz-verwalters rechtskräftig zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Dank des Präsidentenerlasses muß er die Strafe nun nicht antreten.

Foto: Deutsch-tschechisches Polizeizentrum: Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) stellt mehr Polizisten ab

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