© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/13 / 01. März 2013

Helle Irrlichter und Blendgranaten
Familienpolitik: Nach der Entscheidung zum Adoptionsrecht für Homosexuelle bereitet die Union einen Kurswechsel bei der Homo-Ehe vor
Paul Rosen

Ratlos bleibt Rot-Grün hinter der CDU zurück. Für „völlig entkernt“ hält Grünen-Chef Cem Özdemir die ihn überholende CDU, und in die Rücklichter der Merkel-Partei starrend, ätzt SPD-Chef Sigmar Gabriel, die Kanzlerin verwandele ihre Partei in einen „Hohlkörper“.

In der Tat nimmt die Fluchtgeschwindigkeit der CDU beängstigendes Tempo an. Hatte sie sich noch Anfang Dezember auf dem Bundesparteitag in Hannover gegen das Ehegattensplitting für schwule und lesbische Paare ausgesprochen, so gilt auf einmal, was Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung wie ein Glaubensbekenntnis skandierte: „Ehe ist auch die Homo-Ehe“. Und er freute sich: „Die Merkel-Union will, wie sie das wiederholt gemacht hat, den Wind des Zeitgeistes auch in die Segel blasen lassen.“

Tatsächlich: Im Vergleich zu Merkels CDU waren die Wendehals-Gestalten der untergegangenen DDR standhafte Gesellen. Eine scharfe CDU-Drehung gab es im Dezember 2010, als die Koalition ohne Gesetz und ohne Not die Wehrpflicht abschaffte. Der 2010 beschlossene Ausstieg aus dem Atomausstieg wurde nach dem Reaktorunfall von Fukushima wieder rückgängig gemacht. Ohne gesetzliche Grundlage wurden acht Reaktoren abgeschaltet. Beim Parteitag 2011 in Leipzig warf die CDU das dreigliedrige Schulsystem inklusive der Hauptschule über Bord. Beim Mindestlohn will man ebenfalls Rot-Rot-Grün überholen. In der Steuerpolitik muß Kanzlerkandidat Peer Steinbrück nur eine abstruse Forderung aufstellen, und es dauert keine vier Wochen, bis ein ähnlicher Gesetzentwurf von Finanzminister Wolfgang Schäuble vorliegt.

Es ist wie im Märchen: Egal wie schnell die Hasen Özdemir und Gabriel rennen, die Merkelsche Igel-Familie ist schon da. Beim Thema Gleichstellung homosexueller Paare mit der Ehe konnte aber nur noch überrascht sein, wer den Parteitagsbeschluß von Hannover nicht genau gelesen hatte. Dort hatte die Antragskommission einen Kompromiß geschmiedet, nachdem zuvor die „Wilden 13“ (eine Gruppe von überwiegend homosexuellen CDU-Abgeordneten) Druck aufgebaut hatte mit dem Ziel, zu einer Beschlußfassung zugunsten der Homo-Ehe zu kommen.

Da es noch lauten Widerstand gab, kam ein Beschluß heraus, in dem die steuerliche Gleichstellung abgelehnt, aber zugleich auf ein zu erwartendes Urteil des Verfassungsgerichts im Jahr 2013 verwiesen wird. Gleichzeitig wurde den Homosexuellen zugestanden, von ihnen würden auch außerhalb der Ehe „Werte gelebt, ...die grundlegend für unsere Gesellschaft sind“.

Die Entscheidung des Verfassungsgerichts zum Adoptionsrecht für Schwule und Lesben in der vergangenen Woche, ließ die Dämme nun brechen und die CDU auf der Welle des Zeitgeistes auf das offene Meer hinaustreiben. Selbst der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, wunderte sich am Montag auf einer Veranstaltung in Berlin: „Warum gerade diese Entscheidung jetzt die Debatte auslöst, hat mich überrascht.“ Die jüngste Drehung begann mit einem Artikel der familienpolitischen Sprecherin der CDU im hessischen Landtag, Bettina Wiesmann, am Freitag vergangener Woche in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Darin wurden besonders helle Irrlichter und Blendgranaten gezündet. Das Ehegattensplitting sei kein Vorteil für die Eheleute allein, sondern komme überwiegend Eheleuten mit Kindern zugute, sei also eine Familienleistung. Wer Familien weiter fördern wolle, müsse das Ehegattensplitting erhalten, indem es auf Schwulen und Lesben ausgedehnt werden‚.

Der Anfang war gemacht, und die CDU-Granden fielen um wie die Dominosteine. Aber war da nicht noch ein Stamm im Süden Deutschlands, bekannt für heldenhaften Widerstand? Man kann die CSU getrost vergessen. Ihre Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt warnte vor „Schnellschüssen“ und sagte zum Ehegattensplitting: „Ich will das gar nicht aufschieben, aber einige Tage nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts muß man sich da schon nehmen, um diese Dinge etwas gründlicher zu diskutieren.“ Ein Nein ist das nicht und sollte es auch nicht sein.

Franz Josef Strauß hatte zur zeitgeist-affinen Politik mediokerer Gestalten ein klares Urteil parat: „Wer den Zeitgeist heiratet, wird schnell Witwer.“

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