© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/13 / 01. März 2013

Sexspiele in der Gerüchteküche
Mit Skandalberichten ins Konklave: Bis zum Osterfest kann ein neuer Papst gewählt sein
Paola Bernardi

Ausgerechnet der zurückgetretene Papst Benedikt XVI., der ein entschiedener Verfechter der Transparenz ist und war, ihn überrollte nun noch zu seinem Abschied eine Welle wilder Gerüchte um ein Geheimdokument. Während tausende und abertausende Gläubige aus aller Welt in diesen letzten Tagen seines Pontifikats nach Rom kamen und die Ewige Stadt zur gewaltigen Pilgerstätte machten (siehe Seite 8 dieser Ausgabe), veranstalteten linke und laizistische Publikationen eine wilde Medienkampagne mit dem Ziel, nicht nur den Papst und den Vatikan zu diffamieren, sondern auch Einfluß auf das anstehende Konklave zu nehmen.

Die linksliberale Zeitung La Repubblica veröffentlichte in Fortsetzung Berichte über Sex, Geld und Erpressung im Vatikan. Diese Berichte sollen suggerieren, daß der Papst letztendlich an den Intrigen und Skandalen im Vatikan gescheitert sei und deshalb zurücktrat, weil er Aufgaben auf sich zukommen sah, wofür seine Kräfte nicht mehr ausreichen würden.

Auslöser dieser wilden Spekulationen, ist die Vatileaks-Affäre im letzten Jahr. Anfang 2012 waren geheime Dokumente und Briefe in TV und Zeitungen publik gemacht worden. Als dann noch das Buch „Sua Santità“ (Seine Heiligkeit) des Journalisten Gianluigi Nuzzi, der den italienischen Geheimdiensten nahestehen soll, erschien, in dem zahlreiche direkt an den Papst oder seinen persönlichen Sekretär, den damaligen Prälaten Georg Gänswein, gerichtete Briefe veröffentlicht wurden, handelten die Behörden. Die Untersuchungen führten schnell zum Erfolg. Der 46jährige Kammerdiener des Papstes, Paolo Gabriele, wurde verhaftet, verurteilt – und zu Weihnachten vom Papst begnadigt.

Doch die Suche nach Hintermännern und Auftraggebern ging weiter. Papst Benedikt XVI. selber erteilte den Kardinälen Julián Herranz (82) aus Spanien, Jozef Tomko (88) aus der Slowakei und dem Süditaliener Salvatore De Giorgi (82) den Auftrag zur rückhaltlosen Aufklärung. Am 17. Dezember übergaben die Kardinäle die Endfassung ihrer Befragungen und Untersuchungen in einem knapp 300 Seiten starken Dossier. An diesem Tag soll Papst Benedikt XVI. auch endgültig für sich entschieden haben, von seinem Amt zurückzutreten.

Kein Außenstehender kennt bisher den Inhalt. Das umfangreiche Papier soll dem neuen Papst übergeben werden. La Repubblica veröffentlichte nun angebliche Details aus diesem Geheimdossier, die weit über die Vatileaks-Affäre hinausragen. Die Rede ist von einem verborgenen Schwulen-Netzwerk, das hinter den Mauern des Vatikans Sextreffen veranstaltet habe, von homosexuellen Beziehungen und Erpreßbarkeiten, Verletzungen des sechsten und siebten Gebotes. Das sechste lautet: „Du sollst nicht die Ehe brechen“, das in der katholischen Kirche auch gegen die gleichgeschlechtliche Liebe interpretiert wird.

Das siebte Gebot lautet: „Du sollst nicht stehlen“. In diesem Zusammenhang werden Verbindungen mit den Geschäften der Vatikanbank IOR angedeutet. Am Freitag voriger Woche versetzte der Papst jedenfalls den im Staatssekretariat des Vatikans einflußreichen Monsignore Ettore Balestrero (46). Balestrero war für die Beziehungen zu ausländischen Staaten und zur Vatikanbank zuständig. Seine Ernennung zum Apostolischen Nuntius in Kolumbien wird als Degradierung verstanden. Offizielle Stellungnahmen dazu gab es bis zum Redaktionsschluß dieser Zeitung nicht. Den Spekulationen um Sex und Geld im Vatikan sind nun Tür und Tor geöffnet.

Tatsache ist, daß schon seit langem ein Machtkampf im Vatikan herrscht. Nach der Berufung des Nichtdiplomaten Kardinal Tarcisio Bertone (78), einem Salesianer, durch Papst Benedikt XVI. zum Staatssekretär des Kirchenstaates, verhehlte die „alte Garde“ unter dem früheren Staatssekretär und heutigen Kuriendekan Angelo Sodano (85) ihren Unmut nicht. Sodano stammt im Gegensatz zu seinem Nachfolger aus der renommierten Diplomatischen Akademie an der Piazza Minerva. Auch der Führungsstil von Kardinal Bertone – weniger Diplomatie, mehr Evangelium – mißfiel vielen. Als noch gravierende Fehler unter seiner Führung hinzukamen, war der Machtkampf entbrannt. Die „Vatileaks“ hatten nur ein Ziel, den amtierenden Kardinalsstaatssekretär zu diskreditieren und vor allem den Papst zu treffen.

Auch diese jüngsten Zeitungsberichten zielen wiederum nur darauf ab, bestimmte Kandidaten für das anstehende Konklave in Stellung zu bringen. Wieder gibt es einen Machtkampf zwischen „Fortschrittlichen“ und „Konservativen“.

Umgehend hat das vatikanische Staatssekretariat die Berichte und den öffentlichen Druck im Vorfeld des Konklaves scharf kritisiert. Es sei beklagenswert, daß vor diesem geistlichen Ereignis plötzlich viele Nachrichten auftauchten, „die nicht überprüft, nicht überprüfbar oder schlicht falsch sind und Personen und Institutionen schweren Schaden zufügen“. Für die Papstwahl sei wichtig, daß das Kardinalskollegium frei beraten und entscheiden könne. Waren es in der Vergangenheit politische Mächte, die Einfluß nehmen wollten, so versuche man heute, „das Gewicht der öffentlichen Meinung ins Spiel zu bringen“, so die Verlautbarung aus dem Staatssekretariat.

Das Konklave beginnt voraussichtlich am 10. oder 11. März. Ende und Ergebnis offen.

Foto: Abschied von Papst Benedikt XVI.: Den Spekulationen, ob er an Intrigen und Skandalen im Vatikan gescheitert sei, sind Tür und Tor geöffnet

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