© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/13 / 01. März 2013

Wie Meinungen monopolisiert werden
Marionetten statt Priester: Linksintellektuelle und Journalisten im Dienste des neoliberalen Kapitalismus
Thorsten Hinz

Heribert Prantl genierte sich. Der Innenpolitikchef der Süddeutschen Zeitung war Interview-Gast in der „Kulturzeit“-Sendung auf 3 sat. Man fragte ihn, ob er angesichts des Zeitungssterbens für staatliche Beihilfen an die Presse plädiere. Prantl lavierte. Nun ja, die Gesellschaft müsse sich natürlich überlegen, was ihr die Qualitätspresse wert sei, wegen der Demokratie und so. Aber Fremdfinanzierung bedeute auch Staatsnähe und Eingriffsmöglichkeiten. Vielleicht dachte Prantl einen Moment sogar an die Stimmlosen, denen er und seine gleichgesinnten Kollegen – gefühlte 95 Prozent – ständig über den Mund fahren, weil ihnen das aufgeklärte, höhere Bewußtsein fehle. Nicht, daß er deswegen ein schlechtes Gewissen hätte, aber mit Hilfe des Staates jetzt noch die Steuergroschen der Entmündigten abzugreifen hieße, den Ruf der Journalisten als schreibende Marionetten respektive Büttel zu bestätigen.

Es geht um das Außen- und Selbstbild eines Berufsstandes und darüber hinaus um Funktion und Stellung einer sozialen Gruppe, die unter dem Begriff „Intellektuelle“ zusammengefaßt wird: Medienleute, Politik-, Sozial- und Geisteswissenschaftler, Angehörige des Kulturbetriebs, Sinndeuter und Welterklärer, die politisch links bis linksmittig stehen und die öffentliche Meinungsbildung monopolisiert haben. Die Journalisten bilden ihren Stoßtrupp.

Vordergründig erscheinen sie mächtiger denn je. Sie entscheiden, was in den Medien vorkommt, was in der Öffentlichkeit zur Wirklichkeit wird und was nicht. Von ihnen hängt ab, welche Erfahrungen, Erwartungen und Wünsche dem einzelnen erlaubt sind, welche ihn mit anderen verbinden oder ihn gesellschaftlich isolieren. Sie legen fest, welche neue Partei gehätschelt, niedergemacht oder ignoriert wird. Journalisten können Minister verhindern, stürzen oder stützen. Selbst Bundespräsidenten müssen zittern. Permanent halten sie die Gesellschaft in Atem und Bewegung. Bis in die letzten Winkel spüren sie falsche Gesinnungen auf, prangern „Ausländer-“ und „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ an, den „Sexismus“, das „heteronormative Familienbild“, den „Extremismus der Mitte“, die Atomkraft, die katholische Kirche. Wenn Bürger sich über Steuerraub und Ausländerkriminalität empören, erklären sie ihnen, daß das Problem nicht in der Wirklichkeit, sondern in der falschen Wahrnehmung liegt. Die Intellektuellen, allen voran die Journalisten, scheinen die Gesellschaft voll im Griff zu haben.

Arnold Gehlen nannte sie eine „Gegen-Aristokratie“, Helmut Schelsky konstatierte ihre „Priesterherrschaft“. Beide Soziologen sahen sich in den sechziger Jahren mit marxistisch inspirierten Studenten und Akademikern konfrontiert, die beanspruchten, als Revolutionäre zu agieren, ohne eine revolutionäre Masse hinter sich zu haben. Die Revolution fand daher nicht, wie die marxistisch-leninistische Theorie das verlangt, an der ökonomischen Basis, sondern im Überbau, im Kultur-, Medien- und Universitätsbetrieb statt, als Kulturrevolution. Das veränderte Bewußtsein sollte den Kapitalismus schließlich zum Tanzen bringen.

Doch der erwies sich als stark und flexibel. Er absorbierte die Kulturrevolution und machte sie für sich nutzbar. Aus der „sexuellen Befreiung“, welche die Menschen aus der gesellschaftlichen Entfremdung lösen sollte, wurde die Freiheit, die Sexualität legal und öffentlich zu bewirtschaften und so die Entfremdung in neue, raffiniertere Dimensionen zu treiben. Der Zusammenbruch des Ostblocks 1989 machte den Triumph vollkommen.

Die Intellektuellen erlitten einen Schock. Die Alternative, auf die sie sich – mehr oder weniger kritisch – bezogen hatten, war dahin. Den drohenden Machtverlust aber wendeten sie ab, indem sie ihr „humanistisches Ideal“ einer solidarischen Weltgesellschaft mit der kapitalistischen „Eine Welt“-Vision des grenzenlosen Konsums kurzschlossen. Das Bindeglied bildete das „pathetische Bekenntnis zu den ‚Menschenrechten‘“ (Panajotis Kondylis), das den Sieg des Westens im Kalten Krieg begleitet hatte.

Die Linksintellektuellen, die seither im Namen der Menschenrechte die den Menschen tragenden und schützenden Strukturen – Nation, Kultur, Heimat, Familie usw. – zerlegen und delegitimieren, erzeugen die ideologische Begleitmusik zur Erschaffung des atomisierten, gleichgeschalteten, androgynen, totalen Konsumenten. Indem sie das Geschäft des neoliberalen Kapitalismus besorgen, sind sie selber völlig von ihm abhängig geworden. Schließlich sind auch Intellektuelle und Journalisten brutal auf die Produktionsverhältnisse verwiesen, die sie affirmieren.

Als Schelsky vor vierzig Jahren die „Priesterherrschaft der Intellektuellen“ behauptete, hatte er die expansive Hochschulpolitik der SPD vor Augen, die den Kündern der sozialen Heilslehren eine institutionelle und soziale Verankerung sicherte. Heute sind die Hochschulen dem Diktat der Ökonomie unterworfen und akademische Posten und Gelder rar. Jetzt geht es um die befristete Mitarbeit an „Projekten“, die externen Wunschvorstellungen – politischen, ideologischen, ökonomischen – unterworfen sind. Die Priester sind zu käuflichen Dienstleistern geworden.

Gleiches gilt für Journalisten. Der Medien- und Pressemarkt ist unter wenigen Dinosauriern aufgeteilt: Neben den öffentlich-rechtlichen Sendern sind das vor allem die Großverlage Springer, Madsack, WAZ, DuMont, Holtzbrinck, Burda und natürlich Bertelsmann. Hinzu kommen die Stiftungen von Spiegel und FAZ. Die Dinosaurier operieren international, gehören transnationalen Netzwerken an, hängen mit Stiftungen und Lobbygruppen zusammen. Daraus ergeben sich synchrone Interessen, die zur synchronen Berichterstattung und Wortwahl in den Medien führen. Die belanglose Piratenpartei wurde kollektiv hochgeschrieben, um das Euro-treue Parteiensystem zu stabilisieren. Die dumme, von der Bosch-Stiftung mitfinanzierte Studie zum „Kiezdeutsch“, die der Verschleierung des Ausländerproblems in Deutschland dient, wurde flächendeckend mit identischen Worten gefeiert. Die Berichterstattung über den NSU unterliegt ohnehin der faktischen Gleichschaltung. Die Macht der Journalisten reduziert sich in Wahrheit auf die Effizienz, mit der sie den erteilten oder erspürten Auftrag erfüllen.

Richtig bleibt, daß Intellektuelle nach Herrschaftsrollen suchen. Diese finden sie nicht in ihrer sozialen Stellung, sie ergeben sich erst aus der Verbindung mit externen Machtquellen. Diese liegen heute vor allem in den internationalen Zirkeln, die eine neue internationale Ordnung planen. Sich ihnen unterzuordnen, verspricht Teilhabe an der Herrschaft. In dienender Funktion dürfen Journalisten dann auch Druck auf die Politik ausüben wie im Fall des Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff, der den in den Augen der Globalisierer unverzeihlichen Fehler beging, die Rechtmäßigkeit der EZB-Geldpolitik anzuzweifeln. Wenn es demnächst um den finanziellen Bestandsschutz für den sogenannten Qualitätsjournalismus geht, sind allerdings wieder die Politiker im Vorteil: ein possierliches Bäumchen-wechsel-dich-Spiel, mehr nicht. Denn ob „Vorteil Prantl – Nachteil Wulff“ oder umgekehrt – Marionetten sind sie beide.

Foto: Ins Visier genommen: Die Macht von Journalisten besteht in der Effizienz, mit der sie den erteilten oder erspürten Auftrag erfüllen

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