© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/13 / 01. März 2013

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Angesichts all der Schleicher, Schleppchen und Stiefeletten, mit denen Männlein wie Weiblein durch Schnee und Eis trippeln, hüpfen und Feuchtigkeit wie Schmutz verzweifelt auszuweichen suchen, wird die Versuchung übermächtig, Menschen wieder nach ihrem Schuhwerk zu beurteilen.

Zu den nervtötenden Eigenheiten des Antifaschismus gehört die Stilisierung der eigenen Aktionen zu „mutigen“, „widerständigen“, „zivilcouragierten“, so als ob irgendein Heldentum dazu gehört, sich allgemein beklatscht mit ein paar tausend Gleichgesinnten hinzustellen und ein paar dutzend oder hundert Gegnern, geächtet und isoliert, die Versammlung oder den Aufmarsch unmöglich zu machen. Wenn es eines Beweises bedarf, daß keine „Gefahr von rechts“ besteht, dann sind es diese Vorgänge. Umgekehrt ist klar, daß sich keiner findet, „Gesicht zu zeigen“, sobald es um tatsächliche Bedrohungen geht. Wer hätte je von Massenprotesten gegen Einrichtungen religiöser Fanatiker gehört, von Lichterketten gegen die Gewalt von Jugendbanden oder von Schweigeminuten angesichts wuchernder Drogenkriminalität oder wenigstens von einer klitzekleinen Demonstration gegen die Niederlassung notorisch gewalttätiger Motorradclubs? Aus gegebenem Anlaß: In einem niedersächsischen Provinznest wurde jüngst tatsächlich zu einer entsprechenden Aktion aufgerufen – aber keiner ging hin.

Der Skandal um das als Rindfleisch deklarierte Pferdefleisch ist nicht mit dem Verweis auf Betrug oder Hygiene zu erklären. Da spielt auch das kollektive Unbewußte mit: das von den frühen Missionaren verankerte Verbot, Pferdefleisch zu verzehren einerseits, dessen hohe Bedeutung bei den Pferdeopfern der indogermanischen Völker andererseits.

Das Ende der Kommune war überfällig. Nach dreißig Jahren hat wahrscheinlich jede Zeitschrift das Verfallsdatum überschritten, zumindest gilt das für die weltanschaulich ambitionierten. Da hilft auch keine Häutung und keine Anpassung und keine bessere Einsicht. Organe dieser Art sind – bei Erfolg – immer Generationenprojekte, und verlieren ihre Leserschaft und ihren Zugang zum Zeitgeist auf organische Weise.

Beschneidungsdebatte, Schlußbemerkung: Eine Untersuchung des International Journal of Men’s Health (Ausgabe 2, Juli 2011) besagt, daß in einer Gruppe von beschnittenen wie nichtbeschnittenen Männern die Beschnittenen signifikant häufiger unter Alexithymie leiden, einer Art von Gefühlsblindheit infolge Traumatisierung. Der Zusammenhang mit der Beschneidung wurde schon länger vermutet, weil diese Störung bei Männern in den USA deutlich verbreiteter ist als bei Männern in Europa und etwa siebzig Prozent aller Jungen in Nordamerika aus medizinischen Gründen schon im Kindesalter beschnitten werden.

Selbstverständlich ist die Hauptsorge angesichts der bevorstehenden Armutsmasseneinwanderung, daß das „fremdenfeindliche Kräfte“ auf den Plan rufen wird, die den „sozialen Frieden“ stören.

Man würde den neuen Enthüllungen über den Hintergrund des Olympia-Massakers von 1972 viel interessierter folgen, wenn dahinter nicht so erkennbar die Absicht stünde, den Antisemitismus zum handlungsleitenden Prinzip der gewaltbereiten Achtundsechziger zu machen, sie solchermaßen auf Nazi umzuschminken und letztlich auch diesen Strang der deutschen Geschichte in das ewig gleiche braune Elend münden zu lassen.

Bildungsbericht in loser Folge XXXIV: Für den Mai ist die deutsche Übersetzung von John Hatties Buch „Visible Learning“ angekündigt. Das weckt ein gewisses Maß an Hoffnung, daß es gelingen könnte, die Schuldebatte auf jenen Stand zurückzuführen, den wir vor PISA schon einmal erreicht hatten. Denn der Ruf des neuseeländischen Bildungsforschers beruht auf einer Metastudie, die radikal mit dem ganzen reformpädagogischen, Unesco-/OECD-/Bertelsmann-Unsinn aufräumt: die besten Lernerfolge von Jugendlichen haben nichts zu tun mit selbständigem, offenem, jahrgangsübergreifendem Unterricht, sie haben kaum zu tun mit Klassengröße oder Schulorganisation, sie hängen vielmehr wesentlich ab von der Anstrengungsbereitschaft des Schülers und zuerst und vor allem von der Fähigkeit des Lehrers zu lehren – und zwar bevorzugt in Gestalt von „instruierendem“ Lehren, sprich: Frontalunterricht.

„Der Islam überlebt. Seine Religion ist unbeschädigt; deshalb könnte seine physische Stärke wiederkehren. Unsere Religion ist in Gefahr (…) Wir haben ein totales Chaos in bezug auf unsere religiöse Lehre (…) Der Islam hat keinen spirituellen Verfall erlitten; und im Kontrast zwischen der religiösen Gewißheit, die nach wie vor die islamische Welt bestimmt, und unser Unsicherheit liegt die Ursache unserer Bedrohung.“ (Hilaire Belloc, 1937)

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 15. März in der JF-Ausgabe 12/13.

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