© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/13 / 01. März 2013

Das Ende mit Schrecken
Der britische Historiker Antony Beevor hat seinen Erfolgstitel über den Untergang Berlins 1945 in überarbeiteter Form neu herausgegeben
Friedrich-Wilhelm Schlomann

Anthony Beevor ist ein weltweit erfolgreicher Verfasser von historischen Werken zum Zweiten Weltkrieg, besonders bekannt sind seine Werke „Stalingrad“ sowie „Die Schlacht um die Normandie“. Auch sein jetziges Buch, 2002 noch vor Joachim Fests Bestseller über den „Untergang“ erstmals erschienen, zeichnet sich durch erschütternde Authentizität aus, dabei legt er Hintergründe und Einzelheiten dar, die bisher allgemein eher unbekannt waren.

Die Schilderung beginnt mit der Oder-Front, wo selbst der Einsatz einer Staffel Kamikaze-Flieger gegen die über den Fluß setzenden Rotarmisten den sowjetischen Ansturm nicht aufhalten kann. Der Kampf um die Seelower Höhen beginnt mit einem einmalig massiven Artilleriebeschuß. Trotz aller Verbissenheit der Wehrmacht, deren Kampfkraft die Russen unterschätzt hatten, geht diese letzte Stellung verloren, praktisch gibt es vor Berlin keine geschlossene Front mehr. Bei der dortigen Zivilbevölkerung sieht der Verfasser eine „Mischung von fiebriger Erschöpfung, schrecklicher Vorahnung und Verzweiflung“.

Die Offensive der Sowjetarmeen gegen die Hauptstadt wird zum einen von Marschall Konjew und andererseits Marschall Schukow geleitet; beide sind geradezu besessen, als erster in Hitlers Machtzentrum einzumarschieren. Dazu werden 2,5 Millionen Soldaten, 14.600 Geschütze, 6.250 Panzer sowie 7.500 Flugzeuge eingesetzt – weitaus mehr, als Hitler 1941 für den Angriff auf die Sowjetunion besaß. In Berlin stehen ihnen noch 45.000 Soldaten der Wehrmacht und SS sowie 40.000 Volkssturmmänner mit lediglich 60 Panzern gegenüber.

Breit schildert Beevor Stalins Haupt-interesse an der Ruinenstadt: Es ist nicht Hitler, sondern das Labor für Kernphysik. Angesichts des damaligen Rückstands der eigenen Wissenschaft ist er überzeugt, wenn das dortige Uran mit den Geräten vor den Westalliierten in seine Hände falle, könnte sein Land die USA bei der Entwicklung der Atombombe überholen. Bei jeder Gelegenheit täuschte er den Bundesgenossen vor, Berlin hätte seine Bedeutung verloren, ein Vormarsch fände erst in der zweiten Maihälfte statt, seine Truppen würden sich primär gegen Dresden wenden.

Eisenhower läßt darauf seine Soldaten an der Elbe stehen, sie hätten in 48 Stunden in Berlin sein können. Zudem will Roosevelt vorerst keinen Disput mit Stalin: Die USA kennen noch nicht die Wirkung ihrer Atombombe und möchten an ihrem Japankrieg unbedingt die Sowjetunion beteiligen. Churchills Pläne, britische Fallschirmjäger über Berlin abspringen zu lassen, scheitern deshalb auch an den Amerikaner.

Am Geburtstag Hitlers fallen in der Stadt immer häufiger Strom, Gas und Wasser aus. Die NS-Propaganda fordert zum bedingungslosen Kampf auf; nicht ohne Eindruck verweist sie auf die vielen Vergewaltigungen. Selbst gefangene russische und polnische Mädchen, auch Frauen deutscher Kommunisten oder die NS-Verfolgung überlebende Jüdinnen bleiben vor Übergriffen der Soldateska nicht verschont. So kämpften die deutschen Soldaten nicht nur aus Pflichtgefühl so fanatisch. Die meisten wollen zwar überleben, fürchten jedoch die Gefangenschaft, aber auch die drohenden Standgerichte – die Zahl der Deserteure schätzt das Buch auf 10.000.

14jährige Hitlerjungen fahren zur Front per Fahrrad mit zwei Panzerfäusten, wo die meisten sterben werden. Viele NS-Bonzen denken dagegen an ihren Selbsterhalt, nicht selten verschwinden sie mit Soldbüchern Gefallener. Im Regierungsviertel befinden sich rund 10.000 Soldaten, ein beträchtlicher Teil von ihnen sind ausländische SS-Männer, viele Franzosen und Letten, die mit dem Bewußtsein ihrer Ausweglosigkeit die letzten Machtzentren im Regierungsviertel verteidigen. Zur Rettung Hitlers soll die hoffnungslos geschwächte 12. Armee (Wenck) von der Elbe nach Berlin vorstoßen. Dieser will indes einen Korridor aus der Belagerung freikämpfen, durch den dann schätzungsweise 100.000 Soldaten und ebenso viele Zivilisten dem Untergang entkommen sollen.

Die Meldung von Radio Hamburg am 1. Mai, Hitler sei tags zuvor „an der Spitze seiner Truppen kämpfend gefallen“, ist bekanntlich eine Lüge: Es war Selbstmord, den er selber stets als feige verurteilte. Verzweifelte Ausbrüche aus der Reichskanzlei hatten nur vereinzelt Erfolg. Es folgen der Waffenstillstand in Berlin und die Kapitulation. Bis zuletzt gelingt es Soldaten dieser Schlacht, schwimmend über die Elbe oder die halbzerstörte Brücke bei Tangermünde den Westen zu erreichen. Darunter befindet sich ein 16jähriger Wehrmachtssoldat, der mehrfach verwundet aus sowjetischer Gefangenschaft fliehen konnte – der Autor dieser Zeilen.

Antony Beevor: Berlin 1945 – Das Ende. Pantheon Verlag, München 2012, gebunden, 544 Seiten, Abbildungen, 16,99 Euro

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