© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/13 / 08. März 2013

Versöhnung im Angesicht des Abgrunds
Parteitag: Nach den Turbulenzen der vergangenen Monate hofft die FDP, im Wahljahr endlich die Trendwende zu schaffen
Christian Schreiber

Die FDP scheint kurz vor Beginn des Bundestagswahlkampfs ihre jahrelange Talsohle durchschritten zu haben. In Niedersachsen erzielte sie so Ende Januar ein Rekordergebnis. Die Sexismusdebatte um ihren Fraktionsvorsitzenden und Spitzenkandidaten Rainer Brüderle überstand sie ohne größeren Schaden, und seit einer Woche sehen die Meinungsforscher die Partei übereinstimmend erstmals seit einem halben Jahr wieder über der Fünfprozenthürde.

Das sind gute Voraussetzungen für einen harmonischen Parteitag, der am kommenden Wochenende in Berlin stattfindet. Der Parteivorsitzende und Wirtschaftsminister Philipp Rösler kann einer ungefährdeten Wiederwahl entgegensehen. Vor einigen Monaten wäre dies eine geradezu groteske Vorstellung gewesen. Parteiintern geht man sogar davon aus, daß der Niedersachse ein Ergebnis von mehr als 90 Prozent einfahren wird. Spannend wird es im Rennen um die drei Stellvertreterposten. Rösler hatte vor einigen Wochen völlig überraschend den nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Christian Lindner als einen der Stellvertreter vorgeschlagen.

Der 34jährige gilt vielen in der Partei als Kronprinz und Hoffnungsträger. Irgendwann, so heißt es, werde Lindner den Vorsitz übernehmen. Sein Rücktritt vom Amt des Generalsekretärs im Dezember 2011 galt als Höhepunkt der FDP-Krise. Nach erfolgreich bestandener Bewährungsprobe als Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Frühjahr übernahm er den Fraktionsvorsitz im Düsseldorfer Landtag.

Ein bundespolitisches Comeback hatte er bislang ausgeschlossen. Nun kommt es also doch zur Rückkehr und zur Versöhnung mit Rösler: „Wir hatten nie ein menschliches Zerwürfnis. Ich hatte politische Gründe, warum ich Philipp Rösler die Möglichkeit eröffnet habe, für sich einen neuen Generalsekretär zu bestimmen. Jetzt kandidiere ich für eine andere Rolle“, sagte Lindner der Welt.

Sich selbst bezeichnete er in Fußballersprache als „offensiven Mittelfeldspieler, der Vorlagen geben will“. Mit der Einbindung Lindners hat Rösler einen geschickten Schachzug vorgenommen. Zumal er neuerdings auch auf die Unterstützung von Schleswig-Holsteins Landeschef Wolfgang Kubicki setzen kann. Spannend wird die Antwort auf die Frage sein, wer von den bisherigen Stellvertretern für Lindner weichen wird. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gilt ebenso wie Lindner als gesetzt, so daß es zu einer Kampfkandidatur zwischen Birgit Homburger aus Baden-Württemberg und dem sächsischen Landesvorsitzenden Holger Zastrow kommen dürfte. Leidtragender der neuen Männerfreundschaft zwischen Rösler und Lindner könnte Entwicklungsminister Dirk Niebel werden, der monatelang erfolglos die Demontage Röslers betrieben hat. Er wird sich bei seiner Kandidatur um einen Beisitzerposten im Präsidium vermutlich mit der Hamburgerin Katja Suding auseinandersetzen müssen. Interessant wird zudem sein, welche inhaltlichen Impulse der Parteitag setzen wird.

Die CDU mit Kanzlerin Angela Merkel hat angekündigt, keine Koalitionsaussage zugunsten der FDP machen zu wollen. Damit könnte die Partei erneut für all jene interessant werden, die keine große Koalition auf Bundesebene wollen. Der betont soziale Unionskurs bietet der FDP zudem die Möglichkeit, sich als Vertreterin des Mittelstandes zu positionieren: „Wir haben Rekordbeschäftigung, sprudelnde Steuereinnahmen, stabiles Wachstum und einen soliden Bundeshaushalt. Gleichzeitig entlasten wir die Menschen, wie gerade durch die Abschaffung der Praxisgebühr“, sagte der Spitzenkandidat für die Bundestagswahl, Rainer Brüderle, der Berliner Morgenpost.

Das Ziel bleibe die Fortsetzung der Koalition nach der Bundestagswahl. Bei Rot-Grün, warnt er, drohten „hohe Steuern, hohe Schulden und hoher Zeigefinger mit Verboten“. Der bodenständige Pfälzer gibt sich optimistisch, auch wenn jeder in der Partei weiß, daß man immer noch meilenweit von den 14,6 Prozent aus dem Jahr 2009 entfernt ist: „Wir haben es immer noch in der Hand, ein starkes Ergebnis zu erzielen. Wir werden stärker abschneiden, als viele denken.“

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