© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/13 / 08. März 2013

Auch die Ziegen sind schon weg
Asylbewerber: Trotz Widerstand von Anwohnern und Politikern ist ein Berliner Altersheim geräumt worden
Ronald Gläser

Am Mittwoch wurden die Ziegen abgeholt. Die Tiere haben bis vor einer Woche auf dem Rasen vor dem Marie-Schlei-Haus gegrast. Sie dienten den Senioren in dem Alten- und Pflegeheim im Berliner Bezirk Reinickendorf als Zeitvertreib. Die alten Leute haben sie gefüttert, gestreichelt oder ihnen einfach nur zugeschaut.

Inzwischen sind die meisten Heimbewohner nicht mehr da. Sie wurden verlegt, weil die von der Arbeiterwohlfahrt (Awo) betriebene Einrichtung in ein Asylbewerberheim umgewandelt werden soll. Vor einer Woche lebten nach Informationen nur noch sechs Bewohner in dem Heim. Allerdings ist nicht ganz klar, was jetzt aus dem 2009 aufwendig sanierten Siebenstöcker wird. Denn Anwohnerproteste haben dazu geführt, daß die zuständigen Lokalpolitiker der CDU-geführten Bezirksregierung den Plan auf Eis gelegt haben, das Marie-Schlei-Haus sofort in ein Asylbewerberheim umzuwandeln: Der zuständige Baustadtrat Martin Lambert (CDU) hat den Antrag der Awo auf Einrichtung eines Asylbewerberheims zurückgewiesen.

Ende gut, alles gut? Offenbar nicht. In der Nachbarschaft grummelt es. Die Bewohner der Einfamilienhaussiedlung fühlen sich von der Politik hintergangen und fürchten, daß aufgeschoben nicht aufgehoben bedeutet. Die Lokalpolitiker spielten auf Zeit und versuchten ihr Gesicht zu wahren, heißt es. Symptomatisch sei der Kleinlaster des Gartenbauamts, der vor einigen Tagen durch die Siedlung gefahren sei, um kritische Flugblätter, die an vielen Zäunen steckten, zu entfernen. Sollen die Kritiker an der Umwidmung mundtot gemacht werden? Andererseits ist dieses Vorhaben der Awo damit noch längst nicht vom Tisch. Zunächst reagierten die Anwohner und die interessierte Öffentlichkeit mit Erleichterung, als der Beschluß bekannt wurde. Das hat die Organisation trotzdem nicht daran gehindert, auch die wenigen noch verbliebenen Bewohner der vorbildlichen Pflegeeinrichtung umzuquartieren. Auch Manfred Kiwitt, über den diese Zeitung kürzlich berichtet hatte (JF 9/13), mußte das Haus vor einer Woche verlassen. Neben den Bewohnern des Hauses und der Umgebung sind auch die Beschäftigten von der Umwidmung betroffen. Etwa 50 Mitarbeiter haben bereits ihre Kündigung erhalten, vor allem Krankenschwestern, Altenpflegerinnen und Krankenpflegehelferinnen.

Anja Z. ist eine von ihnen. Die resolute Frau ärgert sich maßlos über ihren Arbeitgeber und die Umstände ihres Rauswurfs. Sie hat jahrelang im Marie-Schlei-Haus gearbeitet und zuletzt den Mindestlohn von 8,75 Euro verdient. „Dit steht mir bis zum Hals“, schimpft sie auf berlinerisch. Unmenschlich sei es, daß „alles so zacki“ passieren mußte. „Einen alten Baum verpflanzt man doch nicht. Das würde ich meiner Oma nicht wünschen.“ Der bisherige Arbeitgeber, der Landesverband der Awo, will die Angestellten dazu bewegen, einen Aufhebungsvertrag zu unterschreiben und warnt vor einer Sperre durch das Arbeitsamt, falls jemand eine Abfindung erhielte.

Dem insolventen Awo-Landesverband scheint jedes Mittel recht zu sein, um das Objekt so schnell und kostengünstig wie möglich loszuwerden. Auf der anderen Seite ist der Awo-Bezirksverband Berlin-Mitte. Dem geht es wirtschaftlich besser, und er möchte einspringen. Allerdings nicht mit der personalintensiven Betreuung von Senioren, sondern durch die Errichtung eines Heims für 220 Asylbewerber. Reinickendorf gehört zu den wenigen Berliner Bezirken, die noch kein solches Heim haben. Ein Awo-Verantwortlicher bekräftigte, nachdem der Bescheid ergangen war, daß sein Verband an dem Nutzungsplan festhalte. „Wir gehen nach wie vor davon aus, daß wir das Objekt nutzen können. Dies könnte ohne größeren Aufwand sofort geschehen“, sagte der Awo-Chef von Mitte, Manfred Nowack, der JUNGEN FREIHEIT.

Deswegen ist Ulrich Brinsa sicher, daß am Ende doch Asylbewerber im Marie-Schlei-Haus einziehen werden. Der frühere CDU-Abgeordnete führt den Widerstand der Anwohner an. „Dieser Bescheid wird keinen Bestand haben“, sagt er der JF. Zum einen, weil er anfechtbar sei. Zum anderen, weil die Sachzwänge am Ende doch erforderten, daß die Asylbewerber dort untergebracht werden. Die selbstgeschaffenen Sachzwänge wohlgemerkt. Wenn der Bezirk wollte, dann hätte er längst jemanden gefunden, glaubt Brinsa. Ob Caritas oder Johanniter – irgendjemand wäre schon bereit, dort ein Seniorenheim einzurichten. „Schließlich haben wir einen Pflegebettennotstand in Berlin“, so Brinsa.

Über einen Plan B, eine Verwendung zu einem anderen Zweck denn als Asylbewerberheim ist nichts bekannt. Weder seitens der Awo, noch vom Bezirk. „Die sagen uns nicht, was der Träger will“, das ist auch der Eindruck von Anja Z.

Foto: Anwohner protestieren gegen die Räumung des Altenheims: „Dieser Bescheid wird keinen Bestand haben“

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