© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/13 / 08. März 2013

Grüße aus Warschau
Umgepoltes Polen
Christian Rudolf

Mein Gesprächspartner lächelt mir mit einem unnachahmlich polnische, verschmitzten Lächeln ins Gesicht, während er blitzschnell den Kaffee für uns beide bezahlt, so daß ich nicht mal protestieren kann. „Wir leben in Zeiten, in denen die Konservativen als Revolutionäre gelten – verrückt, nicht?“ sagt Krzysztof, während er mich an einen Tisch geleitet. Frühmorgendlicher Meinungsaustausch in der Kaffeehauskette coffee heaven, dem polnischen Starbucks. Eine Wohlfühloase auf dem zur EM 2012 runderneuerten Warschauer Zentralbahnhof, welche den herben Charme der Beton-Siebziger direkt liebenswert macht.

Krzysztof, Redakteur bei einer nationalkonservativen Wochenzeitung, erklärt mir das moderne Polen, das seit über fünf Jahren von Ministerpräsident Donald Tusk regiert – „umgebaut“ wird, wie Krzysztof sagt, jetzt schon mit ernstem Blick. „Tusks liberale Bürgerplattform rückt immer weiter nach links. Die atmosphärischen Folgen können Sie überall spüren.“ Neulich im pommerschen Stargard: Ein Mann wird zu vier Monaten Haft verurteilt, weil er einen örtlichen Ratsabgeordneten der Postkommunistischen SLD – „Kommunist“ genannt hat. Vorausgegangen war eine Demonstration gegen ein Siegesdenkmal der Roten Armee. Seit Monaten streitet der Architekt für eine Entfernung des sowjetischen Herrschaftssymbols von dessen Spitze. „In Stargard fehlen Orte, die an polnische Patrioten erinnern, statt dessen thront noch immer der Sowjetstern über der Stadt.“ Krzysztof piekt mit dem hölzernen Wegwerf-Rührstäbchen in die Luft, wie um den Stern aufzuspießen.

Oder: Im schlesischen Hindenburg brachen Unbekannte den Tabernakel in einer Kapelle auf und stahlen die liturgischen Gefäße mitsamt dem Allerheiligsten Sakrament, bevor sie Feuer legten. „Begreifen Sie? Erst im Herbst letzten Jahres bewarf einer die Muttergottes in Tschenstochau mit einem Farbbeutel. Und neulich in Krakau die Zerstörung des Denkmals für eine Kämpferin der antikommunistischen Heimatarmee. Das sind die Folgen der gegen unsere Werte gerichteten Regierungspolitik und der Stichwortgeber von der Gazeta wyborcza. Und dann Tusks Vorstoß mit den Homo-Partnerschaften!“ Eine Kulturrevolution von oben sei im Gange. „Tusk sieht es als seine historische Mission, unter dem Deckmantel der Europäisierung eine Allianz zwischen Liberalen und Postkommunisten zu schmieden.“ Ich denke an Merkels Umbau der CDU und nicke wissend.

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