© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/13 / 08. März 2013

„Er war unser bester Freund“
Großbritannien: Der neunjährige Aaron Dugmore wurde in Birmingham von Einwandererkindern in den Tod getrieben / Pakistaner schon größte Volksgruppe
Marc Zöllner

Was von Aaron Dugmore bleibt, sind nur Fotos und die Erinnerung. Das Bild eines frechen Knaben, der der Welt noch einmal beweist, daß er doch der Stärkere ist, sich nicht unterkriegen läßt. Der fröhliche Junge, der breit aus seinen Zahnlücken grinst, den Weihnachtsmann neben ihm und in der Hand die Einkaufstüte voller Geschenke aus einem jener Groschenläden in der Nachbarschaft. Der stolze Bruder, der sich sanft an seine vor zwei Jahren geborene Schwester kuschelt. Was Aaron hinterläßt, sind Fotos, Tränen und die Frage, die viele Briten sich dieser Tage nun stellen: Wie konnte es geschehen?

„Wer Aaron kennt, der sollte wissen, wie großartig er war“, so beginnen seine Klassenkameraden ihren Nachruf auf ihren verlorenen Spielgefährten. „Er mochte Fußball und andere Dinge. Er war unser bester Freund. Rowdies haben ihn in den Tod getrieben, als er nur neun Jahre alt war.“

Aarons Martyrium begann, als er zum Jahreswechsel auf die Grundschule von Erdington wechselte. Drei Viertel aller Schüler stammen hier aus dem Ausland. Von den ersten Momenten an wird Aaron gehänselt, aufgrund seiner Hautfarbe schikaniert. „Er erzählte uns, daß er von einer Gruppe asiatischer Kinder gemobbt würde“, berichtet seine Mutter später. „Zur Mittagszeit hatte er sich auf dem Spielplatz vor ihnen verstecken müssen.“ Doch die Schulleitung sah sich nicht genötigt einzugreifen. „Einer der Jungen bedrohte ihn sogar mit einem Plastikmesser. Als Aaron sich verteidigte, drohte man ihm, das nächste Mal würde es ein richtiges sein.“ Fünf Wochen hielt Aaron sein Leiden durch. Dann erhängte er sich in der Wohnung seiner Eltern. Zu diesem Zeitpunkt war Aaron tatsächlich erst neun Jahre alt.

Schon lange leidet Aston, jener 30.000-Seelen-Bezirk im Nordosten Birminghams, unter gravierenden Problemen. Sozialwohnung reiht sich an Sozialwohnung. Die Arbeitslosigkeit beträgt über 20 Prozent. Bewaffnete Banden wie die Johnson Crew und die Burger Bar Boys treiben nachts auf den Straßen ihr Unwesen. Vor zehn Jahren erst erlangte Aston landesweit traurige Berühmtheit, als drei junge Mädchen auf offener Straße von Gangmitgliedern erschossen wurden. Aston besitzt die höchste Kriminalitätsrate der gesamten britischen Insel.

Hinzu kommen wachsende ethnische Spannungen. Über 70 Prozent der Bewohner Astons weisen einen Migrationshintergrund auf, mit rund 27 Prozent stellen pakistanische Einwanderer die größte ethnische Gruppe noch vor den sogenannten „weißen“ und „schwarzen“ Briten, die mit je 26 und 22 Prozent aufgelistet werden. Gewalttätige Exzesse sowie ein latenter Rassismus zählen mittlerweile zu den Alltagsphänomenen dieses einst beschaulichen Universitätsstädtchens.

„Mein Vater sagt immer, alle Weißen sollten getötet werden“, hört Aaron die anderen Kinder in der Schule erzählen und berichte davon seiner Mutter. Geschichten von antiweißem Rassismus und Verachtung, die in den ärmsten Vierteln Großbritanniens auf reichen Nährboden selbst unter den Jüngsten stoßen, dienten jedoch kaum jemandem als Warnung. Nun fanden sie in Aaron ihr erstes Opfer, in jenem kleinen Jungen, der lieber den Tod wählte, als in einer Welt aufzuwachsen, in welcher bereits Kinder Kinder zu hassen lernen.

Aarons Schule wurde von den Behörden mittlerweile mit dem Prädikat „ungenügend“ abgestraft. Seine Peiniger werden jedoch einmal mehr ungeschoren davonkommen. Sie sind ja selbst auch noch Kinder.

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