© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/13 / 08. März 2013

Im Fluß der Welt
Dichter der Sehnsucht: Zum 225. Geburtstag des deutschen Romantikers Joseph von Eichendorff
Baal Müller

Man hat Joseph von Eichendorff oft und zu Recht als Dichter des deutschen Gemüts gesehen, aber gemütlich geht es in seinem Werk deswegen noch lange nicht zu. Im Gegenteil sind seine Dichtungen vom Grundgefühl der Sehnsucht durchzogen: nach der Heimat oder der verlockenden Fremde, dem Ort der Jugend und Geborgenheit, nach den Eltern oder einer angebeteten, unerreichbaren schönen Frau, nach Liebe, Tod und göttlicher Präsenz, die sich ihm in christlicher Symbolik oder heidnischen „Marmorbildern“ zeigte. Sind die Helden seiner Romane und Erzählungen auf Wanderschaft wie meist, sehnen sie sich nach der Heimkehr; sind sie aber zu Hause, zieht es sie in ihrer „Wanderlust“ hinaus in die Ferne.

Ebensowenig ist der fromme Katholik und preußische Beamte, der nach seiner Studienzeit in Halle und Heidelberg und der Teilnahme an den Befreiungskriegen erst in Breslau, später in Danzig, Königsberg und Berlin seinen Dienst versah, ein Dichter des Naiven, trotz aller Schlichtheit und Innigkeit der immer wiederkehrenden Bilder seines schmalen poetischen Thesaurus.

Das Gedicht „Es waren zwei junge Grafen“ aus dem frühen Roman „Ahnung und Gegenwart“ (1815) entwickelt eindrucksvoll seine reflexive, philosophische Poetik. Auf den ersten Blick scheint alles verständlich zu sein: die „jungen Grafen“, die als fahrende Sänger durch die Lande ziehen, und das offenbar von ihnen getrennte „Liebchen“. Erstere sind schlaflos und „verliebt“, aber gleich „bis an den Tod“ – und womöglich gar nicht in das aus einer externen Perspektive angesprochene „Liebchen“, denn dieses wird davor gewarnt, ihnen zu „trauen“. „Die gehen wie Wind und Wellen …“ Wenn man sie von ferne „spürt“ – was eigentlich schwer möglich ist, da man nur Nahes spüren, Fernes allenfalls hören oder sehen kann –, wird einem zugleich „wohl und bang“ angesichts der berückenden Schönheit ihres Gesanges, mit dem sie „Land und Sterne“ – Irdisches und Himmlisches, also die gesamte Welt als ihre eigentliche Geliebte? – grüßen. Ein Haus besitzen sie „an keinem Ort“, und doch „reisen“ ihre Gedanken zur Heimat „ewig fort“. „Hienieden“ ist diese Heimat, zu der nur die Seele immer unterwegs ist, nicht, aber von einem Jenseits, in dem alles Sehnen zur Ruhe kommen könnte, ist auch nicht die Rede – vielleicht ist einem daher „bang“?

Trotz des Rückgriffs auf den vertrauten Vergleich des menschlichen Lebenslaufs mit einem Fluß in der fünften Strophe – man denkt an Goethes Vers „Seele des Menschen, wie gleichst du dem Wasser“ – und der Beschwörung der evokativen Macht des Gesanges bleibt ein beunruhigender Eindruck bestehen; der Strom fließt nicht, sondern er „dringt“ vorwärts, und der Gesang „ringt“, entringt sich und „tut helle Augen auf“ – die des Hörers und, synästhetisch das Visuelle mit dem Akustischen verbindend, seine eigenen, insofern der Gesang die Welt erschließt. Die nächste Strophe liefert gleichsam die Summe des ganzen: Ufer und Wolken, nah Begrenzendes und Fernes, Grenzenloses, das Äußere und das Innere („die Liebe hoch und mild“), „die ganze Welt“ verwandelt sich in diesem „Spiegel“ des Gesanges sowie des „Wasserspiegels“ des Lebensflusses, der nichts als Gesang ist, zum „Bild“. Die Welt wird ebenso wie das Ich in ein Strömen und Fließen gegenstandsloser Bilder aufgelöst.

Sodann wechselt die Perspektive wie schon mehrfach in diesem Gedicht, und das „Liebchen“ wird neuerlich angesprochen. Es soll sich nicht vom „Rauschen“ verlocken lassen – der Vergleich von Fluß und Lebenslauf ist nun einer Identifikation gewichen – und wird ermahnt, „der Bilder Wunder“, das unerfaßbare Walten der Welt, nicht festhalten zu wollen. Der Lebensstrom „darf“, wie die letzte Strophe mitteilt oder vorschreibt, „kein Bett finden“; er ist also, wie man mit Hans Henny Jahnn sagen könnte, ein „Fluß ohne Ufer“, der sich in den Tälern „windet“, dabei das Gold der sich in ihm spiegelnden Sonne glänzen läßt, und sich „plötzlich meerwärts“ dreht, im Ozeanischen von Tod und Transzendenz verliert.

Als Dichter der Heimat kann man Eichendorff bei aller Liebe zur schlesischen Landschaft und seinem Schloß Lubowitz bei Ratibor, auf dem er am 10. März 1788 geboren wurde, nicht bezeichnen; eher als Dichter des Heimwehs, wie Adorno herausgestellt hat, und mehr noch als Dichter einer sich bald an dieses, bald an jenes Ziel heftenden, letztlich unstillbaren Sehnsucht, die mit der Verzeitlichung von Innen- und Außenwelt korrespondiert.

Sehr deutsch und sehr romantisch ist diese Depotenzierung des von der Aufklärung sowie den philosophischen Systemen Kants und Fichtes zum obersten, sich selbst durchsichtigen Prinzip erklärten Ich indes allemal, und Eichendorff tritt damit, als bedeutendster Vertreter der Spätromantik, dem frühromantischen Dichterphilosophen Novalis an die Seite. So sehr es der romantisch-idealistischen Bewegung um die Verzeitlichung des Ich ging, um den Nachweis, daß dieses sich nicht reflexiv erfassen könne und auf einen unvordenklichen, immer nur fühlbaren, aber sich ewig entziehenden Existenzgrund verwiesen sei, so weit war sie doch von der postmodernen Subjektlosigkeit und dem Dogma vom „Tod des Autors“ (Foucault) entfernt. Ihr Ziel lag in der „Rückbindung“ oder Religion – nach Laktanz von lat. religare (rückbinden) abzuleiten –, auch wenn die Reintegration des unbehausten modernen Menschen in Natur, Kosmos und Transzendenz „hienieden“ nicht möglich ist. „Wohin gehen wir? Immer nach Hause“, heißt es in Novalis’ „Heinrich von Ofterdingen“ – auch wenn wir hier, jetzt und von selbst nie ankommen.

Am 26. November 1857 ist Eichendorff in Neiße verstorben; heute ist sein Schloß eine Ruine. Zum Lebensgefühl und zur philosophischen Grundhaltung der Romantik paßt das Ruinenhafte, auf eine vergangene oder metaphysische Ganzheit Verweisende, freilich besser als ein perfekt restauriertes Museumsschloß mit Multimediaraum, Shop und Tagungsstätte.

 

Es waren zwei junge Grafen

Es waren zwei junge Grafen

Verliebt bis in den Tod,

Die konnten nicht ruhn, noch schlafen

Bis an den Morgen rot.

O trau den zwei Gesellen,

Mein Liebchen, nimmermehr,

Die gehn wie Wind und Wellen,

Gott weiß: wohin, woher. –

Wir grüßen Land und Sterne

Mit wunderbarem Klang

Und wer uns spürt von ferne,

Dem wird so wohl und bang.

Wir haben wohl hienieden

Kein Haus an keinem Ort,

Es reisen die Gedanken

Zur Heimat ewig fort.

 

Wie eines Stromes Dringen

Geht unser Lebenslauf,

Gesanges Macht und Ringen

Tut helle Augen auf.

 

Und Ufer, Wolkenflügel,

Die Liebe hoch und mild –

Es wird in diesem Spiegel

Die ganze Welt zum Bild.

 

Dich rührt die frische Helle,

Das Rauschen heimlich kühl,

Das lockt dich zu der Welle,

Weil’s draußen leer und schwül.

 

Doch wolle nie dir halten

Der Bilder Wunder fest,

Tot wird ihr freies Walten,

Hältst du es weltlich fest.

 

Kein Bett darf er hier finden.

Wohl in den Tälern schön

Siehst du sein Gold

sich winden,

Dann plötzlich

meerwärts drehn.

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