© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/13 / 08. März 2013

Der „Ring“ für Kindische
Oper: Richard Wagners Tetralogie eingedampft in Erfurt und Leipzig
Sebastian Hennig

Nach der Zerstörung des Neuen Theaters am Augustusplatz war das Varieté Dreilinden in Lindenau die Nachkriegsspielstätte der Leipziger Oper. Bis zur Eröffnung des Neubaus im Stadtzentrum gingen hier neun Neuinszenierungen allein von Richard Wagners Werken über die Bretter, darunter auch „Walküre“ (1949) und „Siegfried“ (1955). Das war also eine ganz anders geartete Notzeit, als wir sie heute haben. Entweder leidet man noch nicht genügend oder nimmt sich nicht mehr ausreichend zusammen.

Der „Ring für Kinder“ an der Leipziger Musikalischen Komödie im alten Dreilindentheater bleibt beschränkt auf die aufblitzende Schönheit einzelner Stücke. Der Nachwuchs der Wagnersänger hat hier seine Werkstatt aufgeschlagen. Josefine Weber (Brünnhilde) und James Allen Smith (Siegmund/Siegfried) bringen immerhin etwas Stimme und jugendlichen Glanz auf die Bühne der Dreilindenoper. Während sich die Ensemble-Mitglieder mehrheitlich ihren Aufgaben schlecht gewachsen zeigen.

Es kommt zu einer Rückverwandlung des Musikdramas in ein naives Singspiel und die Aufdröselung der von Wagner angestrebten Homogenität des Mythos in disparate Episoden. Ein stimmlich recht schmächtiger Hagen (Kostadin Arguirov) bekommt keine Antwort von den Mannen, weil der Chor eingespart wurde. Dieses Ringlein kommt auch ohne Fricka, Erda und ohne Gunther und Gutrune aus. Dabei hätte man eher den Wotan streichen sollen, denn Milko Milev ist nach den Maßstäben des Wagnergesangs kein einäugiger Wanderer, sondern ein stummer Gesell.

Zur Überleitung zwischen den musikalischen Höhepunkten wird derbste Alltagsprosa gegeben, in Wendungen wie „Wotans Plan scheint ja zu funktionieren“ oder „Sie brachten das Schwert nicht einen Millimeter aus dem Stamm“. In der bestürzenden Pause nach Siegfrieds Ermordung, bevor der Trauermarsch anhebt, ist dann auch das Geplapper von Kinderstimmen zu hören. Hätte man die mit dem Verlauf der Handlung gefesselt, dann wäre es mucksmäuschenstill. Und nichts wäre leichter gewesen, als das mit einem solchen Stoff zu bewirken.

Aber in welcher Zeit leben wir eigentlich? Was mich als Zehnjährigen beeindruckt hätte, wäre ein niederbrennendes Walhall gewesen, eine starke Brünnhilde, die geradezu ins Feuer reitet, und eine Sintflut des Rheins, die sich gewaschen hat. Stattdessen bekommen zum Schluß drei quengelnde Mädchen ihr Spielzeug zurück. Eine große Weltschau heruntergebrochen zum bunten Ökomärchen. Das ist kein „Ring für Kinder“, allenfalls ein „Ring für Kindische“. Entsprechend groß war dann auch die Anzahl des unreifen, erwachsenen Publikums.

Bei aller Grobheit ist der Versuch einer Abbreviatur des „Ringes“ in Leipzig dennoch weit erträglicher geraten, ja fast schon liebenswürdig, gegen den ambitionierten „Ring an einem Abend“ den die Erfurter Oper gibt. In Leipzig ist eine Instrumentierung zu hören, welche in etwa proportional den Wagnerschen Orchesterklang auf die Maße des vorhandenen Grabens verkleinert. In Erfurt ist dagegen ein Konzert für Kammerorchester mit Wagnertuben und Pauken solo zu hören. Das Klangbild wirkt somnambul und zerrissen. Gegen „Bumbumbum“ und „Tätätä“ können sich die Streicher und alles was feiner ist nicht behaupten.

Die Idee, mit japanischen Bunraku-Puppen die Figuren zu spielen, bleibt eine Idee, die auf der Bühne keine Realität gewinnt. Die Puppen werden teilweise von mehreren Spielern geführt im Gefolge des Sängers. Doch zu dramatisch stellt sich der Akt des Gesangs selbst dar, als daß die flatterhaften Puppen einige Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnten. Hinzu kommt, daß auch die Führung der Puppen nervös und unbestimmt bleibt. Das aufrichtige Bemühen, der beabsichtigten Theaterillusion als Betrachter mit Aufmerksamkeit gegenzukommen, mißlingt.

Ein schlenkriges Gezipfel bieten schon die Rheintöchter der Anfangszene. Brünnhilde trägt ein albernes Schlabberkleid in Regenbogenfarben, als würde sie für den Weltfrieden demonstrieren, anstatt gefallene Helden aus dem Schlachtgetümmel nach Walhall zu entführen. Es bleibt das Gefühl eines eitlen Destruktionswillens. Zwar werden einzelne Stellen mit rührender Affirmation dargestellt. So der riesige Lindwurm, dem Siegfried Notung in die Kehle treibt. Zuvor hat er schon den Amboß glatt in zwei Teile gespalten und streift nun das Drachenblut mit der Hand von der Klinge. Das sind im einzelnen schöne Bilder. Aber um sie ganz zu entfalten, hätte man die Sänger ganz verbergen müssen, und es hätten zwei Klaviere ausgereicht, anstatt eines Kammerorchesters. Die Intrumentation von Juri Lebedev wirkt wie schwerer farbiger Nebel. Die strenge Geschmeidigkeit von Wagners Musikerfindungen kommt so nicht zur Geltung.

Nächste Vorstellungen: „Der Ring für Kinder“ in der Musikalischen Komödie Leipzig, Dreilindenstraße 30, am 12. und 13. März sowie 21. Mai. Telefon: 03 41/ 1 26 12 61

http://oper-leipzig.de

„Der Ring an einem Abend“ in der Oper Erfurt, Theaterplatz 1, am 21. März, 21. April und 14. Mai. Telefon: 03 61 / 22 33 155

www.theater-erfurt.de

Foto: Siegfried (James Allen Smith) im Kampf mit dem Drachen: Jugendlicher Glanz auf der Bühne

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