© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/13 / 08. März 2013

Zwischen Dekadenz und Faschismus
Vor 150 Jahren, am 12. März 1863, wurde der italienische Schriftsteller und Symbolismus-Vertreter Gabriele d’Annunzio geboren
Thomas Bachmann

Ende 1880 meldeten mehrere italienische Zeitungen, daß der junge, vielversprechende Dichter Gabriele d’Annunzio bei einem Sturz vom Pferd ums Leben gekommen sei. Die Todesnachricht kam jedoch beinahe ein halbes Jahrhundert zu früh. Der Internatsschüler, der gerade mit seinem ersten Gedichtband auf wohlwollende Kritik gestoßen war, hatte sie selbst mit einer Postkarte an eine Redaktion in die Welt gesetzt. Ob dahinter tatsächlich, wie manche Biographen meinen, das nüchterne Kalkül einer Absatzförderung lag oder bloß ein Jungenstreich, muß Spekulation bleiben.

Für diese Vermutung spricht, daß D’Annunzio als eine prägende Gestalt der italienischen Literatur vom Fin de Siècle bis in die faschistische Zeit hinein die Selbstinszenierung beherrschte und sie, stets von Schulden geplagt, durchaus auch um des ökonomischen Erfolges seiner Werke willen betrieb. Manche gehen sogar so weit, seiner Liaison mit der populären, fünf Jahre älteren Schauspielerin Eleonora Duse diesen Hintergedanken zu unterstellen. In ihrem Schlepptau habe er sich für seine Theaterstücke den Durchbruch auf der Bühne erhofft. Zudem durfte das neugierige Publikum seinen Roman „Das Feuer“ als indiskrete literarische Verarbeitung ihrer Beziehung verstehen.

Anders als bei so vielen anderen zeitgenössischen Autoren beschränkte sich der Hang zum Exhibitionismus bei ihm allerdings nicht auf spleenige Attitüden, pathetische Gesten, blumige Phrasen und psychologische Selbsterforschung im Werk. D’Annunzio ist zu konzedieren, daß er den „Mann der Tat“ nicht bloß proklamierte, sondern diese Maxime auch zu leben versuchte. Als junger Journalist in Rom mag sein Zugang zum Zeitgeschehen noch ein primär literarischer gewesen sein. Bereits sein kurzes Intermezzo als konservativer, mit seinem antibürgerlichen Affekt aber nicht gänzlich der Linken verschlossener Parlamentarier kurz vor der Jahrhundertwende konnte aber als Hinweis darauf verstanden werden, daß er die Zeitstimmung der Dekadenz zwar so prägnant zu erfassen und ästhetisch auszugestalten verstand wie ein Oscar Wilde oder ein Joris-Karl Huysmans, es sich in ihr jedoch nicht behaglich machen wollte. Die Chance, den Zauberberg zu verlassen und nicht länger in feinnerviger Melancholie auf ein Leben zu warten, das sich partout nicht einstellen will, bot für D’Annunzio – er hatte das fünfzigste Lebensjahr unterdessen längst überschritten – der Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Von Frankreich aus agitierte er für den Eintritt Italiens an der Seite der Ententemächte, als es schließlich soweit war, meldete er sich freiwillig.

Seine Prominenz bescherte ihm zwar außergewöhnliche Privilegien im soldatischen Alltag, doch beschränkte sich seine Rolle nicht auf psychologische Kriegführung und Stärkung der Truppenmoral aus der gesicherten Etappe heraus. Mit waghalsigen Unternehmungen sorgte er für Furore bei Freund und Feind. Am berühmtesten wurden der „Bluff von Buccari“, als er Anfang 1918 mit drei U-Booten weit in vermeintlich abgeriegelte österreichische Gewässer eindrang, sowie wenige Monate später sein unbehelligter Flug nach Wien, über dem er Propagandaflugblätter abwarf.

Da Italien zwar den Sieg mit errungen hatte, sich aber um dessen Früchte betrogen sah, verblieb „Il Comandante“ D’Annunzio auf der politischen Bühne und stürzte sich in ein Abenteuer, das ganz Europa in Aufregung versetzte: Mit ihm ergebenen Freischaren besetzte er im September 1919 die dem italienischen Staat vorenthaltene Hafenstadt Fiume, das heutige Rijeka, und errichtete dort gemeinsam mit seinem Kabinettschef, dem revolutionären Syndikalisten Alceste De Ambris, ein orgiastisches Regiment, das durch Sozialexperimente, den Faschismus inspirierende Massenaufmärsche, nationalistische Rhetorik, internationale Solidarität mit unterdrückten Völkern, aber auch Entbehrungen der durch den Zulauf auswärtiger Bekenner stark angewachsenen Bevölkerung gekennzeichnet war.

Der italienische Staat setzte ihm im „blutigen Weihnachten“ des Jahres 1920 mit einem bewaffneten Machtwort ein abruptes Ende. D’Annunzio zog sich an den Gardasee zurück – hier ist das in den Folgejahren ausgebaute „Il Vittoriale mit seinem Mausoleum noch heute eine Touristenattraktion – und blieb der Bühne der Politik fortan fern. Der Preis, zur Tat geschritten zu sein, war ein Erlahmen der zuvor atemberaubenden literarischen Produktivität gewesen, er sollte zu ihr auch in der verbleibenden Lebenszeit nicht zurückfinden. Mit seinem von aviatischer Begeisterung getragenen Roman „Vielleicht – Vielleicht auch nicht“ war er zwar noch vage in die Nähe der futuristischen Ästhetik geraten, insgesamt blieb sein Werk aber dem ausgehenden 19. Jahrhundert verhaftet.

Mit seiner Verachtung der bürgerlichen Lebensform, seiner Hoffnung auf eine neue geistige und willensstarke Aristokratie und seinem an der Größe des antiken Roms orientierten Nationalismus verkörperte er jedoch manch wesentliche Facette des italienischen Faschismus, so wie Fiume dessen Stil und dessen Vieldeutigkeit vorwegnahm. Als einen Rivalen mußte Mussolini ihn aber nicht ernsthaft fürchten. Öffentliche Wertschätzung und eine gesicherte Finanzierung seiner unverändert aufwendigen Lebensführung waren die einzigen Wünsche, die D’Annunzio dem Regime zu erkennen gab. Sie wurden ihm bis zu seinem Tod am 1. März 1938 aufmerksam erfüllt.

Foto: Gabriele d‘Annunzio, 1896: Die Hoffnung auf eine neue geistige und willensstarke Aristokratie in einem erneuerten Reich

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen