© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/13 / 08. März 2013

Viel Lärm um nichts
Linker Protest gegen angeblichen Abriß der berühmten „East Side Gallery“ in Berlin – Sorge um Mauer nur vorgeschoben
Lion Edler

David Hasselhoff ist sauer. „Wie können Sie die Mauer niederreißen, die Freiheit, Ausdauer und das Opfern von Menschenleben bedeutet?“ twitterte der weltbekannte US-Sänger wegen der jüngsten Berliner Aufregung um die Mauergalerie.

Nicht nur Hasselhoff, sondern halb Berlin scheint sich sicher zu sein: In der Hauptstadt werden gerade aus Geldgier und Kulturbanausentum die verbliebenen Reste der Berliner Mauer abgerissen, um „Luxuswohnungen“ (was für ein Reizwort!) zu schaffen. So suggerierten und vermeldeten es zahlreiche Medien in alarmistischem Tonfall. „Der geplante Abriß der East Side Gallery sorgt weiter für Empörung“, schreibt etwa die Berliner Morgenpost auf ihrer Titelseite. „6.000 demonstrieren gegen Mauer-Abriß“, meldet auch die B.Z.

Daß es sich tatsächlich nicht um einen Abriß, sondern um die Versetzung eines 22-Meter-Mauersegments der weltweit größten Freiluftgalerie bei einer Gesamtlänge von über 1,3 Kilometern handelte, gehört dabei noch zu den geringsten medialen Irreführungen.

Während nicht nur die Boulevardpresse kein Halten kennt und einen internationalen Aufschrei produzierte, der sogar zu Hasselhoff über den großen Teich reichte, war es ausgerechnet ein nun im Internet kursierender Kommentar der linken taz, der sich wohltuend unaufgeregt zeigt – und dabei die taz-Leser provoziert. Autor Sebastian Heiser merkt im Artikel „Desinformation – Mauer in Geiselhaft“ an, daß die kürzliche Entfernung eines Mauersegments gar nichts mit den verpönten „Luxuswohnungen“ zu tun hatte, wie viele Medien behaupten. „Die ‘East Side Gallery’ soll Luxuswohnungen weichen“, wußte etwa die FAZ. Soviel zum Qualitätsjournalismus!

Tatsächlich, klärt die taz auf, soll das Loch in der Mauer der Erreichbarkeit der geplanten Brommybrücke dienen. Für die Wohnhäuser soll dagegen nur ein bereits bestehendes Loch, das derzeit dem Erreichen einer Strandbar dient, von fünf Metern auf 12,80 Meter vergrößert werden.

Ohnehin hat die Mauergalerie seit der Wende bereits fünf Löcher bekommen, ohne daß es darüber nennenswerte Empörung gegeben hätte. taz-Autor Heiser glaubt daher, daß viele Demonstranten den Vorwurf des Mauerabrisses nur als heuchlerischen Vorwand benutzten, um ganz eigene Interessen zu verfolgen – also die Hochhauswohnungen zu verhindern. So sei die linke Initiative „Mediaspree versenken“ stets gegen die Bebauung des Spreeufers gewesen und habe 2008 mit einem Bürgerentscheid über die Brommybrücke durchgesetzt, daß anstatt einer Straßenbrücke „ein Rad-/Fußgängersteg über die Brücke gebaut wird“. Eine Broschüre der Initiative aus dem Jahr 2010 zeigt klar, daß für die Brücke auch ein Loch in der Mauer entstehen soll, ohne daß dieses Loch aber in der Broschüre explizit problematisiert würde.

Die taz schließt mit bissiger Kritik ausgerechnet an der linken Initiative „Mediaspree versenken“: Daß für die Bebauung „jetzt auch eine Mauerlücke um 7,80 Meter vergrößert werden soll, ist ihnen willkommener Anlaß, den Untergang eines historischen Baudenkmals auszurufen. Und zwar genau des gleichen Baudenkmals, bei dem es ihnen herzlich egal ist, wenn es auf 22 Metern für eine Brücke fallen soll. Und alle fallen darauf rein.“

Auch der 22jährige Berliner Markus warb auf Facebook für die Demonstration gegen die Durchlöcherung der Mauer. Als ihm der taz-Artikel gezeigt wird, ist er nur zum Teil überzeugt: „Da steht tatsächlich viel Neues, unglaublich, wie unkritisch Medien so was übernehmen. Trotzdem soll das Wohnhaus an die Stelle, wo jetzt eine coole Strandbar ist. Also, dagegen!“

taz-Autor Heiser hatte indessen in ein Wespennest gestochen – in der Kommentarspalte hagelte es persönliche Angriffe gegen ihn. Neben dem Vorwurf des „Verrats“ und Mutmaßungen, ob Heiser „selber schon eine der neuen Luxuswohnungen gekauft“ habe, äußert man immer wieder giftige Vergleiche mit der dunklen Seite der Macht, dem Springer-Verlag. „Vielleicht sollten Sie sich um einen Job innerhalb des Axel-Springer-Verlages bemühen, man wird Sie mit 100%iger Garantie dort mit Kußhand einstellen!“ schreibt etwa ein Michael Klein, während ein „DJ Tüddel“ dem Autor „Bild-Zeitungs-Stil“ unterstellt. Dabei waren es doch nicht zuletzt Springers Blätter, deren Falschdarstellungen Heiser anprangern wollte. Wie man’s macht, macht man’s verkehrt.

Petitesse am Rande: Der Bebauungsplan für die neuen teuren Wohnungen wurde vom grünen Bezirksbürgermeister Franz Schulz genehmigt. Wo er und seine Partei sonst immer als erste ganz laut gegen Gentrifizierung schreien.

Foto: Die Mauer bleibt – fast: Die geplanten Wohnungen („Mediaspree“) haben mit dem Teilabriß der „East Side Gallery“ rein gar nichts zu tun

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