© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/13 / 15. März 2013

Ins Knie geschossen
Irak: Zehn Jahre nach der amerikanischen Invasion fällt die Bilanz verheerend aus
Günther Deschner

Zum zehnten Mal jährt sich dieser Tage der Beginn eines Krieges, den die Amerikaner und ein paar ihrer „willigen Verbündeten“ gegen den damals von Diktator Saddam Hussein mit Gewalt regierten Irak vom Zaun brachen. Den Anlaß für diesen Krieg erfanden Präsident George W. Bush sowie sein Vize Dick Cheney samt ihrem Regierungsapparat selbst. Sie behaupteten, Saddam Husseins Diktatur besitze Massenvernichtungswaffen und Verbindungen zur Terrororganisation al Qaida – und vor dieser Gefahr müsse Amerika sich selbst und natürlich „die ganze Welt“ schützen.

Unter Berufung auf eine neue „Nationale Sicherheitsstrategie“, die eine Selbstmandatierung der USA für Präventivschläge („Bush-Doktrin“) enthielt, stellte Wa-shington einen direkten Zusammenhang zwischen dem „Krieg gegen den Terrorismus“ und Saddam Hussein her. Der Vorwurf wurde schon damals skeptisch aufgenommen und ließ sich auch später nicht erhärten.

Schon fünf Wochen nach dem Beginn des Überfalls, nach massiven Bombardements und der Invasion mit Bodentruppen verkündete George W. Bush in einer theatralisch-medienwirksamen Inszenierung das erfolgreiche Ende des Krieges im Irak. Unter dem Banner „Mission accomplished“ („Mission erfüllt“) erklärte er auf einem Flugzeugträger im Predigerton: „Als die irakischen Zivilisten in die Gesichter unserer Soldaten blickten, sahen sie Stärke, Freundlichkeit und guten Willen. In den Bildern feiernder Iraker haben wir die zeitlose Anziehungskraft der Freiheit gesehen. Wo immer sie Einzug hält, frohlockt die Menschheit.“

Verständlich, daß das Weiße Haus heute nicht mehr an das „Mission accomplished“ erinnert werden will, dieses Symbol für amerikanische Fehleinschätzungen und Fehler. Denn darüber zu „frohlocken“, was aus dem Irak geworden ist, wäre nichts als eine zynische Parodie: 4.500 amerikanische Gefallene und 32.000 Verwundete haben für Bushs Krieg bezahlt – und Hunderttausende getötete irakische Zivilisten.

Amerika hat die Werte verdüstert, für die es angeblich kämpfte. Die Folterexzesse à la Abu Ghraib, das scheinheilige „Outsourcen“ Terrorverdächtiger in Folterstaaten und die „Käfighaltung von Gefangenen“ (Jürgen Todenhöfer) in Guantánamo – dies und anderes hat die „Anziehungskraft der Freiheit“ fragwürdig gemacht.

Bushs Nachfolger Obama, der als Senator den „dummen Krieg“ von Anfang an abgelehnt hatte, räumte kürzlich ein, Amerika habe auch wirtschaftlich „einen hohen Preis“ bezahlt. Nie zuvor wurde den Bürgern das ganze Ausmaß der Kriegskosten so ungeschminkt vor Augen geführt: „Wir haben mehr als eine Billion Dollar im Krieg ausgegeben, meist finanziert mit im Ausland geliehenem Geld.“ Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz kommt sogar auf Kriegskosten von drei Billionen Dollar. In der Dekade des Krieges habe das Land notwendige Investitionen versäumt, was sich jetzt „dramatisch räche“.

Das eigentliche Drama jedoch spielt sich im Irak selbst ab. Seit 2004, dem Jahr nach der amerikanischen Invasion, nach Auflösung der staatstragenden Baath-Partei des besiegten Diktators Saddam, der Armee und Polizei, begann das Land in einem Wirtschafts- und Verwaltungschaos, in Aufständen und Bürgerkrieg zu versinken. Wieder einmal befanden sich US-Truppen in einem Land, von dem sie wenig bis gar nichts wußten. Sie wähnten sich als Befreier und Glücksbringer – und sahen sich mehr und mehr einem Guerillakrieg gegenüber, in dem sie fünfzig Mann pro Monat verloren.

Die meisten Bilanzen der Invasion sowie der zehn Jahre danach konzentrieren sich auf die inneren Auswirkungen im Irak und auf die Last, die sich Amerika damit aufgebürdet hat Doch schwerer noch als alle menschlich-moralischen und wirtschaftlich-finanziellen Verluste dürften perspektivisch die außenpolitischen Folgen wiegen, die sich aus dem Irak-Abenteuer entwickelten. Die wichtigste regionale Folge – und neue Herausforderungen für die USA – wird oft ausgeblendet: der Aufstieg Irans. Hatte es vor der amerikanischen Invasion noch ein regionales Gleichgewicht zwischen den arabischen Mächten und Teheran gegeben, hat der von Washington erzwungene Regimewechsel in Bagdad das regionalstrategische Gewicht zugunsten des Iran verlagert. Saddam hatte die kurdische Minderheit und vor allem die große schiitische Bevölkerungsmehrheit des Irak mit Hilfe der sunnitischen Minderheit, der er angehörte, unterdrückt. Sein Sturz brachte die Schiiten an die Macht, die im Zweifel zumeist die Partei der iranischen Mullahs ergreifen.

Eine Studie der Rand Corporation spricht sogar von einem regelrechten „Irak-Effekt:“, der „neue Herausforderungen und Probleme für die USA“ erst geschaffen und „das Aufwachsen der iranischen Macht in der Region gefördert hat“. Außerdem habe das Zurückgehen des regionalen Vertrauens in die Amerikaner Rußland und China die Möglichkeit geboten, ihren Einfluß zu erweitern. Wie auch immer sich die innere Lage des Irak entwickeln möge, so die Rand-Analytiker, die Kriegsfolgen würden in der weiteren Region noch jahrzehntelang zu spüren sein.

Aus dem Abstand von zehn Jahren gesehen, dürfte es sich bei Amerikas Iraksieg von 2003 eher um eine Niederlage handeln. Die „einzig verbliebene Weltmacht“ hat sich ins eigene Knie geschossen.

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