© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/13 / 15. März 2013

Grüße aus London
Londons Stolz bröckelt
Derek Turner

Der Londoner Finanzdistrikt zählt seit dem 16. Jahrhundert zu den wichtigsten Knotenpunkten des Welthandels. Seit seinerzeit eine bunte Mischung aus Abenteurern, Seemännern, Soldaten, Kaufmännern und Piraten die Grundsteine des British Empire legten, werden dort Waren aus der ganzen Welt umgeschlagen. Heute finden sich hier altehrwürdige Gebäude neben internetbasierten Versicherungsmaklern. Der Finanzsektor zählt zu den wenigen Erfolgsgeschichten der britischen Nachkriegswirtschaft, zumal seit der Liberalisierung durch die Thatcher-Regierung in den 1980er Jahren. Londons Devisenmarkt ist mit 40 Prozent des globalen Umsatzes der größte der Welt.

Für Finanzinstitute ist London insbesondere wegen der Sprache und der historisch gewachsenen Beziehungen attraktiv, aber auch weil das Rechtswesen als stabil und unternehmensfreundlich gilt. Das bedeutet, daß Verträge einklagbar, Steuersätze niedrig sind und die Verdienstmöglichkeiten, insbesondere die nun in die Kritik geratenen Boni, um so höher sind.

Diese Boni hatten teils exorbitante Höhen erreicht und standen oft in keinem Verhältnis zu tatsächlich erbrachten Leistungen. Die Entscheidung der EU, sie künftig auf ein Jahresgehalt zu beschränken, wird Großbritannien schwerer treffen als andere Mitgliedstaaten.

Doch so sehr diese Regelung jene erfreut, die den Empfängern solcher Boni die Alleinschuld an der Finanzkrise geben, mahnen Kritiker an, daß eine „präskriptive Gesetzgebung im Bankwesen oft unbeabsichtigte Folgen zeitigt“, so der Wirtschaftsexperte Peter Hahn von der Cass Business School. Londons Bürgermeister Boris Johnson präzisierte: „Mit dieser Maßnahme wird man höchstens erreichen, daß Zürich, Singapur und New York auf Kosten der angeschlagenen EU einen Aufschwung erleben.“

Niedrigere Boni bedeuten zudem höhere Grundgehälter. Die im Londoner Banksektor gezahlten Löhne haben sich bereits verdreifacht, seit einige Banken 2010 freiwillig ihre Bonuszahlungen reduzierten. Und wenn die im Bankwesen Tätigen erfolgreich davon abgeschreckt werden, Risiken einzugehen, wird das zwangsläufig zu niedrigeren Renditen führen, was wiederum die staatlichen Steuereinnahmen reduziert. Hinzu kommt, daß das neue Gesetz nicht für Hedgefonds und private Kapitalgesellschaften gelten soll. Aus britischer Sicht ist dieser Versuch, eine Risikoursache auszuschalten, äußerst riskant.

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