© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/13 / 15. März 2013

Heimgekehrt in Himmlers Reich
Wolfgang Kraushaar über den heute fast unbekannten mörderischen Antisemitismus der politischen Linken zwischen 1968 und dem „Deutschen Herbst“ 1977
Werner Ollles

Der Schriftsteller Jean Améry war einer der ersten, der die Frage nach antisemitischen Tendenzen in der deutschen Linken stellte. Améry warnte bereits 1969 vor einem neuen „ehrbaren Antisemitismus“, der sich in der Neuen Linken in Gestalt des Antizionismus ausbreite, der jedoch in Wirklichkeit eine „Ummäntelung des Antisemitismus“ darstelle, und in dessen Verlauf die Politik Israels immer wieder mit dem NS-Regime gleichgesetzt wurde. Kurz zuvor waren mehrere Vortragsveranstaltungen mit dem israelischen Botschafter Asher Ben-Natan in Frankfurt, Hamburg, Erlangen und München von palästinensischen und deutschen Studenten gesprengt und in West-Berlin zwei Szenelokale, die jüdischen Inhabern gehörten, von Linksradikalen verwüstet worden. Dabei hinterließen die Randalierer Flugblätter, auf denen zu lesen war „Israelis haben hier nichts zu suchen!“ Im Juli des gleichen Jahres flogen mehrere SDS-Gruppen von Frankfurt nach Amman, um sich in einem Lager der Fatah militärisch ausbilden zu lassen. Im Oktober folgte unter Führung von Dieter Kunzelmann eine fünfköpfige Gruppe der „Tupamaros West-Berlin“.

Wolfgang Kraushaar, der Chronist der 68er-Bewegung, der in seinem Buch „Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus“ (Hamburg, 2005) das Attentat der Berliner „Tupamaros“ auf eine Gedenkfeier der Jüdischen Gemeinde zur Reichskristallnacht im November 1969 akribisch recherchierte, legt nun mit seinem neuen Werk „Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?“ noch einmal nach. Während der Berliner Bombenanschlag um Haaresbreite fehlschlug, weil der Zünder versagte, erschüttern 1970 in München gleich mehrere antisemitische Anschläge die Bundesrepublik.

Gemeinsam mit palästinensischen Terrorkommandos eröffnen die „Tupamaros München“ im Februar die „große Frühjahrsoffensive“ mit einem Brandanschlag auf das in der Münchner Reichenbachstraße gelegene Altenheim der Israelitischen Kultusgemeinde, bei dem sieben Bewohner zwischen 60 und 71 Jahren, die meisten von ihnen NS-Überlebende, getötet werden. Nach einer blutig gescheiterten Flugzeugentführung auf eine auf dem Flughafen Riem zwischengelandete El-Al-Maschine folgen Paketbombenattentate auf zwei Verkehrsflugzeuge der Austrian Airline und der Swissair. Während die österreichische Maschine notlanden kann, stürzt die Swissair ab und reißt 38 Passagiere und neun Besatzungsmitglieder in den Tod.

Ihre negativen Höhepunkte erreichte die Terrorwelle der siebziger Jahre mit dem Anschlag auf die jüdischen Sportler bei den Olympischen Spielen 1972 und im Juli 1976 mit der Entführung einer Air-France-Maschine nach dem ugandischen Entebbe. Während Kraushaar bei der Geiselnahme im Olympischen Dorf und dem darauf folgenden Massaker in Fürstenfeldbruck zumindest von einer logistischen Unterstützung der palästinensischen Terroristen durch linksradikale deutsche Gesinnungsgenossen ausgeht, wofür unter anderem auch die begeisterte Kommentierung des Anschlags durch Ulrike Meinhof spricht, sind die Verhältnisse in Entebbe eindeutig. Hier führen die Frankfurter Winfried Böse und Brigitte Kuhlmann, beide Mitglieder der linksradikalen Revolutionären Zellen (RZ), eine Selektion der jüdischen Passagiere durch. Stalins Enkel und Maos Söhne waren nun endgültig heimgekehrt in Hitlers und Himmlers Reich.

Kraushaar deutet das Engagement junger deutscher Linksradikaler für Palästina völlig richtig als Ausdruck eines symbolischen Wiederholungszwanges, dessen verborgene antisemitische Motive umso deutlicher wurden, je mehr sich das traditionell altlinke Unbehagen an Israel auch innerhalb der gemäßigten Linken bis hinein in die Sozialdemokratie äußerte. In der Sozialistischen Internationale, aber auch im Umfeld der SPD-Führung und der österreichischen Sozialdemokratie unter Bruno Kreisky ließen sich durchaus Differenzen zwischen realitätsgerechter Wahrnehmung und antisemitischer Täuschung ausmachen.

So thematisiert der Autor beispielsweise die exzellenten Beziehungen zwischen dem sozialdemokratischen schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme und diversen Führungsfiguren der PLO. Das Dilemma der sich universalistisch und internationalistisch dünkenden Linken, sich der Palästinafrage und dem Nahost-Konflikt nicht pragmatisch, sondern vielmehr ideologisch und damit in höchster Abstraktheit im Kontext des nationalen Befreiungskampfes kolonialisierter Völker zu nähern, versperrte ihr die Sicht für die Belange des nach Sicherheitsgarantien für seine Bevölkerung strebenden jüdischen Staates.

Indem die Linke den Realkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern nicht am Ort seines Geschehens beließ, aber in längst überwunden geglaubte historische Traditionszusammenhänge stellte und so mit der berüchtigten „Judenfrage“ verband, die schon Karl Marx trotz seiner jüdischen Wurzeln zu einigen antisemitischen Äußerungen veranlaßte, holte sie die nicht vergehen wollende Vergangenheit der Deutschen zurück in das aktuelle Bewußtsein. Die letzte Steigerung war dann der linke Antisemitismus, der in der Person Kunzelmanns, der „Tupamaros“, der RAF und der Revolutionären Zellen zum manifesten Judenhaß und zum geplanten und ausgeführten Mord an Juden wurde. Auf elende Weise waren die deutschen 68er als Erben des Nationalsozialismus diesem zum Verwechseln ähnlich geworden.

Indem er das Märchen vom angeblich fortschrittlichen Charakter der 68er als Lüge entlarvt, hat Wolfgang Kraushaar eine aufklärerische Leistung erbracht, die noch für viel Diskussionsstoff sorgen wird.

Wolfgang Kraushaar: „Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?“ Rowohlt Verlag, Reinbek 2013, gebunden, 872 Seiten, 34,95 Euro

Foto: Israelische Überlebende der Entebbe-Flugzeugentführung 1976: Selektion durch bundesdeutsche Linksextremiten

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