© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/13 / 22. März 2013

Wir basteln uns eine Statistik
Brandenburg: Ministerpräsident Matthias Platzeck gibt dem Druck linker Organisationen nach und läßt die Zahl der Opfer von Rechtsextremisten neu untersuchen
Jan von Flocken

Die Brandenburger haben allen Grund, Stolz auf ihr Land und seine Errungenschaften zu empfinden. Dies zu betonen wird der amtierende Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) nicht müde. Nur hin und wieder trübt eine amtliche Statistik diese Idylle.

So mußte das Potsdamer Innenministerium dieser Tage bestürzt feststellen, daß in Brandenburg seit 1990 neun Menschen als Mordopfer von „vermutlich“ rechtsextremer Gewalt registriert wurden. Diese Zahl sei wohl viel zu niedrig, orakelte Innenminister Dietmar Woidke (SPD) öffentlich und setzte zu diesem Zweck in der vergangenen Woche eine Untersuchungskommission ein. Mehrere selbsternannte Opferinitiativen aus dem linksextremen Spektrum behaupten nämlich hartnäckig, „mehr als 30 Todesopfer“ seien seit 1990 zu beklagen. Eine Behauptung, die auch in anderen Bundesländern immer wieder von linken und linksextremistischen Organisationen aufgestellt wird.

Federführend bei der zwei Jahre dauernden Enquete ist das in Potsdam ansässige Moses-Mendelssohn-Zentrum (MMZ). Den Steuerzahler kostet das Vorhaben immerhin 240.000 Euro. Ob das MMZ mit seinem Forschungsschwerpunkt „Geschichte, Religion und Kultur der Juden und des Judentums in den Ländern Europas“ das sachkundigste Gremium für die Beurteilung juristischer Spezialfragen ist, bleibt fraglich. Zweifel sind erlaubt, denn Julius Schoeps, Direktor des MMZ, kündigte bereits an: „Wir hoffen, die große Schere zwischen amtlicher Statistik und den Angaben von Opferverbänden zu schließen.“ Mit anderen Worten, es steht von vornherein fest, daß die Zahl der möglicherweise rechtsextremen Hintergundstraftaten so stark wie möglich erhöht werden soll.

Noch bedenklicher stimmt Folgendes: An den nachträglichen Untersuchungen sind nicht nur die zuständigen Staatsanwaltschaften und die Polizei beteiligt, sondern auch Vertreter von Opferverbänden. Letztere ermitteln also in eigener Sache, was allen rechtsstaatlichen Kriterien hohnspricht. Es ist genau so, als wenn im Strafprozeß der Nebenkläger und seine Rechtsanwälte gemeinsam mit dem Staatsanwalt die Ermittlungen führen würden.

Ohnehin ist vom Aspekt des Strafrechts betrachtet die brandenburgische Aktion völlig bedeutungslos. In Deutschland gilt wie bei allen zivilisierten Staaten der bewährte römische Rechtsgrundsatz „Ne bis in idem“, das heißt niemand, darf wegen ein und desselben Verbrechens zweimal vor Gericht gestellt oder gar verurteilt werden. Dies ist im Artikel 103 des Grundgesetztes ausdrücklich festgeschrieben. Auch eine erneute Strafverfolgung ist laut Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes verboten.

Selbst wenn es dem MMZ und seinen zahlreichen Zuarbeitern gelingen sollte, bei einigen Fällen einen rechtsextremen Hintergrund aufzudecken (was wohl zu erwarten ist), ändert das an der juristischen Situation von Tätern, Opfern oder deren Verwandten nicht das geringste. Die angekündigten Vernehmungen von „Tatzeugen, Familienangehörigen und Freunden sowie Menschen aus dem sozialen Umfeld“ dürften allenfalls geeignet sein, alte Wunden aufzureißen. Mit den möglichen Tätern will man ohnedies nur in Einzelfällen sprechen, so verlautet es aus dem MMZ, denn diese hätten schließlich kein Interesse, sich neu zu belasten.

Selbst in den Brandenburger Medien erheben sich gegen das Vorhaben des Innenministeriums leise Bedenken. Die in Frankfurt an der Oder erscheinende Märkische Oderzeitung etwa verweist auf „die große Unsicherheit im Umgang mit dem Thema“ und schreibt in einem Kommentar: „Sicher reicht es als Nachweis nicht aus, daß ein späterer Mörder als Jugendlicher einmal einen Hitlergruß gezeigt hat.“

Doch genau darauf dürfte das ganze Viertelmillionen-Euro-Vorhaben hinauslaufen. Es geht vorrangig darum, die eigene Kriminalstatistik zu verschlimmbessern. Immerhin hat Matthias Platzecks gelobtes Land Brandenburg einen Ruf zu verteidigen – als größtes Reservoir gewalttätiger Neonazis in der Bundesrepublik.

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