© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/13 / 22. März 2013

„Kirchweyhe ist bunt“
Kriminalität: Der Prügeltod eines jungen Mannes erschüttert viele Bürger, doch Politiker mißbrauchen den Fall für den „Kampf gegen Rechts“
Ronald Gläser

Tobias S. hat die ganze Sache noch nicht verkraftet, und das wird auch lange so bleiben. „Er war mein Bruder“, murmelt er, Tränen in den Augen. Dann zieht er sich die schwarze Kapuze über den Kopf. Der 25jährige steht an der Stelle, an der sein Zwillingsbruder eine Woche zuvor getötet wurde: vor dem Bahnhof von Kirchweyhe, in der niedersächsischen Kleinstadt Weyhe mit 30.000 Einwohnern südlich von Bremen.

Hier eskalierte eine Situation, die unspektakulär ihren Anfang genommen hatte. Ein Samstagabend auf dem Land: Die Jugend trifft sich zum Trinken und Feiern. Erst geht es in die eine Disko, dann in eine andere. Sie mieten sich wie so oft einen Bus samt Fahrer, der sie von Ort zu Ort fährt. Die Clique, mit der Daniel S. an diesem Abend unterwegs ist, will in die Disco Maddox in Kirchweyhe. Sie nehmen fünf weitere Jugendliche mit, die den gleichen Weg haben und die so helfen, den Fahrpreis pro Person etwas zu senken.

Ein Fehler. Die fünf Gäste, mutmaßlich allesamt Türken, sind betrunken und auf Streit aus. Was nun geschieht, hat einer von Daniels Freunden der Bild geschildert: „Sie pöbelten mich an. Meine Freunde gingen dazwischen. Daniel wollte schlichten. Es entstand ein riesiges Geschubse und Gebrüll. Dann bekam ich mit, wie die Türken mit ihren Handys Verstärkung riefen. Sie bestellten weitere Freunde zum Bahnhof, um uns in Empfang zu nehmen.“ Der Busfahrer soll die Polizei gerufen haben. Aber die ist nicht so schnell wie die Brüder und Cousins, die Daniel in Empfang nehmen.

Er steigt nach dem Haupttäter Cihan A. (20) als erster aus dem Bus. Einen Augenblick später liegt er blutend am Boden. Cihan, ein einschlägig vorbestrafter Gewalttäter, tritt angeblich mit solcher Wucht auf sein Opfer ein, daß dessen Wirbelsäule bricht, Rückenmark und Gehirn unrettbar verletzt werden. Daniel kann zwar zunächst wiederbelebt werden, stirbt dann aber schließlich am Donnerstag in einer Bremer Klinik.

Die Nachricht von der Prügelattacke macht deutschlandweit schnell die Runde. Der Unmut ist groß, vor allem weil die Medien – wie so oft – die offensichtliche Herkunft der Täter verschweigen. Im Internetzeitalter ein aussichtsloses Vorhaben. Die Geschichte von Daniel S., der einer türkischen Jugendgang zum Opfer gefallen ist, macht daher schnell die Runde. In Internetforen tauschen sich andere Opfer von Cihans Bande aus, berichten von Pausenhofrangeleien, vom Vorstrafenregister der Täter, die bis auf Cihan alle auf freiem Fuß sind. Angeheizt wird die Empörung dadurch, daß Cihans Freunde Daniel S. bei Facebook als „Opfer“ und „Nazi“ verunglimpfen.

Mehrere Bürger, darunter auch rechte und rechtsextreme Gruppen wollen etwas tun, melden Mahnwachen oder Demos an. Als die Stadtverwaltung davon Wind bekommt, ruft sie schnell selbst zu einer Mahnwache auf und untersagt alle anderen. Und so versammeln sich zwei Tage später über 1.000 Bürger an der Haltestelle vor dem Bahnhof, um an den toten Lackierer zu erinnern, umringt von einer Hundertschaft der Polizei. Nicht nur Daniels Freunde sind gekommen. Halb Weyhe ist auf den Beinen. Die Tat war mehr als nur eine Schlägerei unter Jugendlichen: Für viele Bürger der Kleinstadt markiert sie die Ankunft in der multikulturellen Wirklichkeit.

Politik und Medien hingegen fürchten einen Dammbruch und tun alles Erdenkliche, um von den Schwierigkeiten mit Zuwanderern im Ort abzulenken. Sie handeln nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Genau durch dieses Verhalten ist die Tat jedoch binnen weniger Tage zum Politikum geworden. Die Politiker werfen anderen eine Instrumentalisierung vor. Allen vorweg Bürgermeister Frank Lemmermann (SPD). Er steht am Sonnabend mit Pastor Holger Tietz auf einer Bühne und begrüßt die angereiste Prominenz („unser Abgeordneter Axel Knoerig“). Es klingt nicht wie eine Trauerfeier, sondern wie eine Parteiversammlung. In seiner Rede kommt er schnell zur Sache: „Es gibt viele, die behaupten, die Türken seien schuld, aber das stimmt nicht: Es hätten auch andere junge Männer sein können.“ In Weyhe gebe es kein deutsch-türkisches Problem. Überhaupt Zuwanderung: „Unsere Gesellschaft wird bereichert durch fremde Kulturen und Restaurants, durch die man den Urlaub ein Stück weit retten kann.“ Die Freunde von Daniel S. schauen verständnislos, etliche Bürger klatschen. Viele, nicht alle. Etwa ein Drittel rührt keine Hand, als Lemmermann politische Konsequenzen fordert, etwa, die „Verbesserung der Integration“.

Nach ihm spricht der Pastor, der Wert darauf legt, nicht als Geistlicher erschienen zu sein, sondern als Vorsitzender des „Runden Tisches gegen Rechts und für Integration“. Antifaschistisches Engagement wird großgeschrieben in Kirchweyhe. Die Internetseite der Stadt verlinkt zu linksradikalen Organisationen wie Apabiz oder der Bremer Antifa. Pfarrer Tietz wendet sich gegen jene Bürger, die die Herkunft des Täters zu thematisieren wagen. Oder, wie er es ausdrückt: „Diese Leute kochen ihre schmutzige Suppe.“ Dies sei ebenso abscheulich wie die Tatsache, daß die Bürger über das Internet menschenverachtende Thesen verbreiten dürften. Auch Tietz bekäftigt die Losung des Tages: Es gibt keine Probleme mit Ausländern. „Wer das sagt, der lügt, der betreibt geistige Brunnenvergiftung.“ Und weiter: „Weyhe ist bunt.“ Viele, aber bei weitem nicht alle applaudieren.

Bei den Bürgern gehen die Meinungen auseinander. Eine Frau mittleren Alters meint, der Bürgermeister habe sich danebenbenommen und müsse zurücktreten, weil er die eigenen Bürger indirekt des Rassismus bezichtige. Eine andere Frau hingegen findet es ganz richtig, daß er „den Rechten“ das Podium genommen habe. Tatsächlich erschien zur Mahnwache nur ein Mitglied der rechten Identitären Bewegung. Danach leert sich der Platz. Doch schon am Nachmittag füllt er sich wieder mit etwa 700 Leuten, darunter sind nicht nur Weyher Bürger. Es ist der Zeitpunkt der zwischenzeitlich verbotenen Mahnwache, an der auch Angehörige aus der Kameradschaftsszene teilnehmen wollten. Einige von ihnen schaffen es tatsächlich. Viele andere werden jedoch bereits am Ortseingang von der Polizei weggeschickt. Ingesamt verteilen die Ordnungshüter 89 Platzverweise an diesem Tag.

 

Daniel S. – ein Opfer unter vielen

Thomas M.

Der Türke Onur K. prügelt zusammen mit Berhan I. 2009 in Hamburg den 44 Jahre alten Dachdecker Thomas M. tot. Dieser hatte sich zuvor geweigert, dem Täter 20 Cent zu geben. Eine Verurteilung der beiden Täter hob der Bundesgerichtshof auf. Begründung: Von der Haftstrafe gehe keine erzieherische Wirkung aus. Zudem sei die Tat kein Ausdruck besonderer krimineller Energie, da das Opfer zufällig an dem Faustschlag verstorben sei.

 

 

Johnny K.

Im Herbst 2012 prügelt eine Gruppe von sechs türkischstämmigen Jugendlichen den 20 Jahre alten Johnny K. auf dem Berliner Alexanderplatz tot. Gegen vier der sechs Täter ist mittlerweile Anklage erhoben worden, allerdings weder wegen Totschlags noch wegen Mordes. Der Haupttäter hat sich in die Türkei abgesetzt und die türkische Staatsbürgerschaft angenommen. Trotz eines europäischen Haftbefehls lehnt die Türkei seine Auslieferung ab.

 

 

Giuseppe M.

Im September 2011 wird der italienischstämmige Berliner Giuseppe M. in der Nähe des U-Bahnhofs Kaiserdamm in Berlin in den Tod gehetzt. Zuvor hatten zwei Jugendliche Giuseppe in der U-Bahn aggressiv nach Zigaretten gefragt. Nach dem Aussteigen flüchtete dieser in Panik vor den Tätern und rannte dabei vor ein Auto. Die beiden Täter wurden später zu Bewährungsstrafen verurteilt.

 

 

Marcel R.

Vier Schüler im Alter zwischen 15 und 18 Jahren prügeln im Februar 2011 an einem U-Bahnhof im Berliner Stadtteil Lichtenberg den 30 Jahre alten Maler Marcel R. ins Koma. Er überlebte mit schweren Hirnverletzungen. Die Täter wurden zu Haftstrafen zwischen vier und sechs Jahren verurteilt. Sie stammen aus Kenia, dem Kosovo und Bosnien-Herzegowina. Bei einem handelt es sich um einen irakischstämmigen Deutschen.

 

 

Hubert N.

In der Münchner U-Bahn wird 2007 vier Tage vor Weihnachten der 76 Jahre alte Rentner Hubert N. von zwei jugendlichen Südländern mit Schlägen und Tritten gegen den Kopf lebensgefährlich verletzt. Hubert N. hatte Serkan A. und Spyridon L. zuvor auf das Rauchverbot hingewiesen. Die Täter wurden zu zwölf Jahren Haft beziehungsweise acht Jahren Jugendstrafe verurteilt. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat angekündigt, beide Täter nach drr Haft abzuschieben.

www.deutscheopfer.de

Foto: Tobias S., der Bruder des Opfers, mit seiner Freundin bei der Mahnwache: Einschlägig vorbestraft

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