© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/13 / 22. März 2013

Im Geiste des Bettelmönchs
Hinhören, Ernstnehmen, Miteinander: Mit Papst Franziskus herrscht im Vatikan ein neuer Umgangston
Martin Lohmann

Seine Wahl zum Papst war eine absolute Überraschung, und er wird vermutlich als Pontifex immer wieder überraschen. Franziskus hat bereits in den ersten Stunden seines Pontifikats viele Zeichen, man möchte sagen: Zeichen der selbstverständlichen Normalität gesetzt. Und sogleich wird heftig diskutiert, ob er nun ein konservativer oder eher ein liberaler Bischof der Weltkirche ist. Ja, selbst seine Art, das Weihrauchfaß zu halten, regte manchen Beobachter zu Spekulationen an. Was hält er von der Messe im alten Ritus? Wird er sich überhaupt durchsetzen können im Vatikan? Kann er eigentlich Papst?

Er kann. Aber eben ganz anders, als sich das manche vorzustellen vermögen. Nach den beiden starken Pontifikaten von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. ist nun jemand Petrus, der offenbar eine etwas andere Stärke mitbringt. Johannes Paul II. war ein Mann der großen Gesten, der selbstbewußt und fromm zugleich die Kirche und den Glauben an Gott in alle Winkel der Erde trug und mit mutiger Klugheit so ganz nebenher Weltpolitik machte und – siehe Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs – Geschichte schrieb. Seine theologische Stütze wurde sein Nachfolger Benedikt XVI., der in knapp acht Jahren als Wissenschaftler und scharfsinniger Geist gleichsam den theologischen Unterbau und als Professor auf der Cathedra den Tiefgang nachlieferte. Weniger extrovertiert und gestenreich als der Papst aus Polen, faszinierte der Papst aus Deutschland mit seiner Sprache und seiner authentischen Demut. Er wird eines Tages wohl den Rang eines Kirchenlehrers bekommen.

Nach dem großen Philosophen Johannes Paul II. und dem Theologen Benedikt XVI. ist nun der persönlich bescheidene und inhaltlich anspruchsvolle Pastor Franziskus auf der Cathedra des heiligen Petrus. Jemand, der endgültig jeden Versuch der Schubladierung in konservativ oder liberal zerstören könnte, weil er beides mitbringt. Den Menschen zugewandt, hat er keine Scheu, Konventionen zu sprengen und zum Beispiel seine Rechnung in einem Hotel auch als Papst selbst zu bezahlen. Dünkel und Scheu scheinen ihm fremd zu sein. In Fragen der Armutsbekämpfung und der Gerechtigkeit hat er schon als Erzbischof von Buenos Aires eine markante und liberal-kritische Sprache gesprochen. Wenn er, der gar nicht ins Klischee passende Kirchenfürst, mit U-Bahn und Bus zur Arbeit fuhr, wirkte er wie ein moderner Mann der Kirche. Sein erstes Auftreten als gerade gewählter Papst knüpfte an diese ihm offenbar selbstverständliche Bescheidenheit an.

Doch in manchen Fragen ist er – so sieht man das wohl in vielen deutschen Kreisen – eher konservativ und geradezu unverschämt hart. Seine Klarheit etwa in Fragen des Lebensschutzes, wo er auch nach einer Vergewaltigung gegen die Tötung des ja dann schon entstandenen neuen Menschen plädiert, reizt manche ebenso wie seine ablehnende Haltung der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mit der Ehe zwischen Mann und Frau. „Eine Abtreibung ist niemals eine Lösung“, sagt er ebenso deutlich wie im Blick auf sogenannte Homo-Ehen: „Wir dürfen nicht naiv sein, es handelt sich nicht um einen politischen Kampf, sondern um einen destruktiven, gegen Gottes Vorsehung gerichteten Versuch. Dies ist ein zerstörerischer Anlauf gegen den Plan Gottes. Wir sprechen nicht von einem Gesetzentwurf, sondern von einer Intrige des Vaters der Lügen, die die Kinder Gottes verwirren und hinters Licht führen soll.“

Und im selben Kontext schrieb er: „Hier wirkt der Neid des Teufels, durch den die Sünde in die Welt kam: ein Neid, der beharrlich das Ebenbild Gottes zu zerstören sucht – Mann und Frau, die den Auftrag erhalten, zu wachsen, sich zu mehren und sich die Erde untertan zu machen.“

Kein Wunder also, daß etwa die links-alternative Berliner taz („Junta-Kumpel löst Hitlerjunge ab“) in fast schon gewohnt niveauloser Weise ihn als „reaktionären alten Sack wie sein Vorgänger“ beleidigte. Das Spektrum der Reaktionen reicht von solchen Entgleisungen bis hin zu respektvoller Anerkennung. Am besten auf den Punkt gebracht hat es vielleicht die Washington Post, wenn es dort heißt, der erste lateinamerikanische Papst verkörpere „eine kulturelle Brücke“ und sei als „überzeugter Konservativer und strenggläubiger Jesuit in Lateinamerikas sozial fortschrittlichstem Land“ als Papst „fast eine salomonische Wahl“. Als einen „Mann des Gebetes“, ungekünstelt und „ohne großes Gehabe“ wird er im belgischen De Stan-daard beschrieben.

Aber ist er jetzt konservativ oder progressiv? Wie wenig solche Etikettierungen passen würden, verrät ein Zitat des neuen Papstes zum Thema „Traditionalisten“: „Paradoxerweise wandelt man sich gerade dann, wenn man sich treu ist. Man bleibt nicht, wie die Traditionalisten oder die Fundamentalisten, dem Buchstaben treu. Treue ist immer Wandel, Aufkeimen, Wachstum. Der Herr bewirkt Veränderung in dem, der ihm treu ist. Das ist die katholische Glaubenslehre.“

Offenbar wieder ganz „modern“ wirkt er, wenn er bei seiner ersten Ansprache auf der Loggia des Petersdomes vom gemeinsam zu gehenden Weg spricht. Oder auch, wenn er die vielfach zunehmende Klerikalisierung in der Kirche markiert und Laien ernst nimmt: „Ihre Klerikalisierung ist ein Problem. Die Priester klerikalisieren die Laien, und die Laien bitten uns, klerikalisiert zu werden.“ Das sei eine „sündige Komplizenschaft“.

Es wäre nunmehr nicht verwunderlich, wenn mit Franziskus, dessen Namenswahl als Jesuit ja einem mutigen Programm gleicht, wie einst der Bettelmönch mit der Zustimmung des damaligen ausgesprochen mächtigen Papstes die Kirche neu aufzubauen, ein neuer Umgangston Einzug hält und vieles so herrlich normal würde. Das Hinhören, das Ernstnehmen, das entschlossene Miteinander. So gesehen könnte sich das Pontifikat dieses nicht mehr ganz jungen Petrusnachfolgers als eine logische Fortsetzung der beiden vorherigen Pontifikate erweisen, in dem manches jünger und frischer wird und die Glaubwürdigkeit der Kirche Jesu Christi einen Zugewinn bekäme. Der mutige und demütige Rücktritt Benedikts XVI. und sein Hinweis darauf, daß nun ein Stärkerer das inhaltlich und glaubensstabil ausgestattete Schiff Petri steuern sollte, könnte sich rückwirkend als weitsichtig erweisen. Es sieht so aus, als sei Franziskus genau der richtige Nachfolger von Benedikt. Diesen selbstbewußten und unprätentiösen Weltenpastor, der sicher nicht immer bequem und politisch korrekt ist, doch stets korrekt auf Christus verweist, braucht die Kirche gerade jetzt. Und die Welt wohl auch.

Ob man dazu freilich in Deutschland, das längst nicht der Nabel der Weltkirche ist, die richtigen Koordinaten des Denkens schon (er)kennt, ist fraglich. Es ist zu hoffen, daß Franziskus, der aus dem besonders wachsenden und lebendigen Teil der Weltkirche kommt, wo knapp die Hälfte der 1,3 Milliarden Katholiken leben und glauben und ihren Glauben leben, besser im alten Europa verstanden werden wird als der luzide Geist aus Bayern in seiner deutschen Heimat.

Jesuiten sagt man einen hellwachen Geist und einen scharfen Verstand sowie eine intelligente Bildung nach. Franziskus ist einer von ihnen. Und jemand, der sich der Klugheit des alles andere als naiven Franz von Assisi stellt. Denn dieser hat die Kirche zu einer Reform bewegen können, die keine Spaltung nach sich zog. Aber viel Segen. Ein Blick auf den Petersplatz mag symbolisch verdeutlichen, was Franziskus alles zu tun hat – bis hin zur Kurienreform: Die eine Seite des symbolträchtigen Platzes erstrahlt in neuem benediktinischen Glanz. Die andere Seite ist noch hinter Bauplanen verborgen und wartet auf die Renovierung in franziskanischem Geist. Später einmal wird dann alles gut zusammenpassen und als Gesamtwerk leuchten können.

 

Martin Lohmann ist Theologe, Historiker, Publizist und Chefredakteur des privaten katholischen Fernsehens K-TV.

 

Jorge Mario Bergoglio SJ

Geboren am 17. Dezember 1936 in Buenos Aires. Vier jüngere Geschwister, die Eltern sind Einwanderer aus Norditalien. Ausbildung zum Chemietechniker, Tangoliebhaber, eine Verlobte. Mit 22 Jahren dann die spirituelle Wende: Jorge Mario Bergoglio will Priester werden. 1958 Eintritt in den Jesuitenorden, Studien in Chile und in Frankfurt am Main, daher stammen seine Deutschkenntnisse. 1969 empfängt er die Priesterweihe, Professor für Literatur und Psychologie, später für Theologie, mit 37 Jahren für sechs Jahre Jesuiten-Provinzial für Argentinien. Pfarrer im Bistum San Miguel, 1992 Ernennung zum Weihbischof von Buenos Aires, 1998 Erzbischof der Hauptstadt. Sechs Jahre lang Präsident der Bischofskonferenz von Argentinien. Medienscheu, nah an den einfachen Leuten, liebt Hölderlin, Dostojewski und Beethoven, sensibel, aber durchsetzungsfähig. Ehrenbezeichung: „Kardinal der Armen“. Wahl zum Papst am 13. März 2013.

Foto: Papst Franziskus vorigen Samstag im Vatikan: „Paradoxerweise wandelt man sich gerade dann, wenn man sich treu ist“

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