© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/13 / 22. März 2013

Nur hören wollte keiner auf ihn
Leipziger Buchmesse: Thüringens früherer Verfassungsschutz-Chef stellt sein Buch vor
Henning Hoffgaard

Die mutmaßlich vom „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) begangene Mordserie an neun ausländischstämmigen Kleinunternehmern und einer Polizistin bewegen die Menschen. Helmut Roewer war als Präsident des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz in die ersten Ermittlungen gegen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt involviert und ganz nahe an den Geschehnissen. Am vergangenen Freitag stellte Roewer in Leipzig zusammen mit JF-Redakteur Felix Krautkrämer vor siebzig Zuhörern sein neues Buch „Nur für den Dienstgebrauch. Als Verfassungsschutz-Chef im Osten Deutschlands“ vor.

Roewer zeichnete dabei ein detalliertes Bild der ersten Fahndungen nach der 2011 aufgeflogenen „Zwickauer Terrorzelle“. Demnach hatte seine Behörde, die er bis 2000 leitete, die drei Rechtsextremisten bereits lange im Visier. Er spricht von einer „zunehmenden Radikalisierung“ der drei. „Wie ein Wüstenprediger habe ich immer wieder auf ihre Gefährlichkeit hingewiesen“, sagt Roewer. Nur auf ihn gehört habe kaum jemand.

Die Polizei hatte zwar im Januar 1998 einen Durchsuchungsbefehl für die von Beate Zschäpe angemietete Garage, jedoch keinen Haftbefehl. Das Ergebnis ist bekannt: Die Beamten finden eine mehr oder weniger intakte Bombenwerkstatt und 1,4 Kilogramm Sprengstoff, Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe können jedoch abtauchen. Danach plätscherte die Fahndung der Thüringer Polizei „gegen Null“, konstatiert Roewer. „Es wurde nichts mehr gemacht. Warum, weiß ich nicht.“

Nach der Schilderung des ehemaligen Amtsleiters hatten die Sicherheisbehörden auf drei Wegen versucht, an die Untergetauchten heranzukommen: flächendeckende Informationssammlung, Telefonabhörungen und die nachrichtendienstliche Überwachung der Familien. Zwei andere Vorschläge von ihm lauteten: ein Verbot der thüringischen und sächsischen NPD sowie großangelegte Hausdurchsuchungen. Ausführlich spricht er davon, wie sich die zersplitterte rechtsextreme Szene in Thüringen in den Auseinandersetzungen mit gut organisierten Linksextremisten immer weiter professionalisierte.

Eines allerdings läßt auch Roewer keine Ruhe. „Die Täter haben sich völlig atypisch verhalten.“ Nie habe es ein Bekennerschreiben gegeben, sagt er nachdenklich. Mit Blick auf den Prozeß gegen Zschäpe sagt er: „Ich wage zu bezweifeln, daß der Prozeß auflöst, warum es kein Bekenntnis gab.“

Auch das abrupte Ende in Zwickau läßt den erfahrenen ehemaligen Verfassungsschützer etwas ratlos sein. Der Ablauf und der mutmaßliche Selbstmord von Böhnhardt und Mundlos bleibe „erläuterungsbedürftig“.

Daß die Untergetauchten trotz der ihnen angelasteten mehr als ein Dutzend Banküberfälle nicht geschnappt wurden, hält Roewer nicht für so ungewöhnlich. „So schwer ist es nicht, eine Bank zu überfallen“, sagt er. Zudem hätten sich die drei sehr abgeschottet und nicht auf großem Fuß gelebt, wie es vielen anderen Räubern zum Verhängnis wird. Es ärgere ihn jedoch, daß die Verfassungsschützer für Fehler der Polizei haften müßten. „Die haben damit gar nichts zu tun.“

Helmut Roewer: Nur für den Dienstgebrauch. Als Verfassungsschutzchef im Osten Deutschlands. Ares Verlag, Graz 2012, gebunden, 279 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro

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