© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/13 / 29. März 2013

„Austritt oder Spaltung“
Rechtzeitig zu Ostern hat die Welt einen neuen Papst, doch hierzulande gerät der Katholizismus immer tiefer in die Krise. Steht Deutschland vor einer Revolte gegen Rom?
Moritz Schwarz

Herr Professor Spaemann, steht Deutschland über kurz oder lang eine katholische Revolte gegen Rom bevor?

Spaemann: Es sieht so aus, aber die Erfahrung lehrt, es kommt in der Zukunft oft anders als man denkt.

Die jüngst veröffentlichte Sinus-Studie hat erschreckendes zutage gefördert: Selbst die Katholiken des bürgerlichen und konservativen Milieus kritisieren inzwischen Rom.

Spaemann: Den antirömischen Affekt gibt es seit langem. Er geht auf das Mittelalter zurück, auf den Dualismus von Kaiser und Papst. Da die Deutschen die Nation waren, die das Reich getragen hat, waren sie auch besonders anfällig dafür. Zentrum der Kirchenspaltung waren immerhin Deutschland und die Schweiz.

Moment, die Studie stellt eine Veränderung in den letzten Jahren fest – das kann mit historischen Gründen nichts zu tun haben.

Spaemann: Ich denke doch. Die Säkularisierungstendenz ist weltweit, aber wo gibt es so etwas wie das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, das aus Kirchensteuern finanziert wird? Tatsache ist, daß bei einem Kurienbischof oder Privatsekretär des Papstes kaum die Chance besteht, daß ein deutsches Domkapitel ihn als Diözesanbischof akzeptiert.

Setzt sich der Trend fort, droht tatsächlich die Basis der Kirche komplett zu erodieren: „Quer durch die Milieus sind sich die Befragten einig“, so die Studie, „daß die katholische Kirche in Deutschland, so wie sie ist, keinen Bestand haben wird.“

Spaemann: So wie es ist, hat nichts Lebendiges Bestand. Wandel gehört zum Leben. Für den aggressiven und intoleranten Liberalismus in der westlichen Welt ist nicht die Schöpfungsordnung maßgebend, sondern Emanzipation von allem, was nicht selbstgesetzt ist. Schließlich auch die Emanzipation von der menschlichen Natur. Das hat natürlich auf die Länge keinen Bestand. Aber Christen geht es um die „Rettung vor dem ewigen Verderben“, wie es in der römischen Liturgie heißt.

Oft wird von der Entchristlichung Deutschlands gesprochen, geht dieser aber also zunächst ein Entkatholisierung voraus?

Spaemann: Entkatholisierung ist Folge der Entchristlichung. Der Protestantismus erodiert schneller. Evangelische Länder waren in Deutschland schon in Weimarer Zeit anfälliger für Kommunismus und Nationalsozialismus als katholische, und sie sind heute atheistischer.

Das klingt sehr nüchtern. Bekümmert Sie das nicht?

Spaemann: Doch. Es überrascht mich nur nicht.

Inwiefern?

Spaemann: Christus spricht von dem „großen Abfall“ vor dem Ende. Im ersten Timotheus-Brief heißt es, es werden Zeiten kommen, da die Menschen die gesunde Lehre nicht mehr ertragen und sich Lehrer suchen, die ihren Ohren schmeicheln. Die Leute wollen heute eine „Wellness“-Religion. Aber, wie C.S. Lewis sagt, wenn die Frage ist, welche Religion die angenehmste ist, würde er nicht das Christentum empfehlen. Und er fügt an, um Wellness-Gefühle zu erzeugen, tue es auch eine Flasche Portwein.

Wie soll man sich die letzte Konsequenz einer solchen Entwicklung vorstellen? Kommt es eines Tages zur Abspaltung der katholischen Kirche in Deutschland von Rom?

Spaemann: Ich weiß es nicht, hoffe es aber nicht. Doch als Alternative zu einer Verdunstung des Christentums wäre die Abspaltung besser. Die allmähliche Erosion halte ich aber für wahrscheinlicher.

Warum?

Spaemann: Eine Abspaltung wird wohl auch durch das Kirchensteuersystem verhindert.

Wieso das?

Spaemann: Die „Modernisten“ in der Kirche könnten diese doch bereits jetzt verlassen und zwar in Richtung evangelische Kirche. Denn dort finden sie so gut wie alle ihre Forderungen bereits erfüllt. Aber das wollen sie nicht.

Warum nicht?

Spaemann: Man verläßt nun einmal nicht gerne die Fleischtöpfe Ägyptens. Genauer gesagt: Diese Gruppen repräsentieren in der katholischen Kirche etwas, das sie nicht mehr repräsentieren könnten, wenn sie evangelisch wären. Und sie profitieren von der Kirchensteuer, da sie von der „Amtskirche“ finanziert werden. So zum Beispiel das Zentralkomitee der deutschen Katholiken oder der Bund der katholischen Jugend.

Sie würden wirklich die Spaltung begrüßen?

Spaemann: Nicht Spaltung, aber den Austritt von Leuten, die die katholische Lehre ablehnen und mit der katholischen Kirche nichts anfangen können.

Gibt es nicht aber vielleicht theologische Gründe, die diese Gläubigen doch vom Protestantismus trennen?

Spaemann: Ich weiß nicht, ich habe nicht den Eindruck. Denken wir zum Vergleich an die Reformation: Ihr Impuls war tatsächlich ein frommer. Luther ging es um Gott, nicht darum Katharina von Bora zu heiraten. Und so sind die Schätze an Frömmigkeit, die wir der Reformation und dem Protestantismus verdanken, auch reich und ihr Geist gar nicht zu vergleichen mit der Mentalität der Leute, die sich heute an der katholischen Kirche reiben. Sie ist meist nicht von Frömmigkeit geprägt, sondern von Autonomie – also Emanzipationswünschen.

Gefragt nach der Reform der Kirche antwortete jüngst ausgerechnet die Ressortleiterin „Christ und Welt“ der „Zeit“, sie erwarte von Papst Franziskus erst mal, daß er „so von Gott erzählt, daß es die Menschen fasziniert“.

Spaemann: Das ist erfreulich. Aber auf der liberalen Reformagenda kommt das, worum es im christlichen Glauben geht, gar nicht vor. Statt dessen geht es um Sexualität, „Gender“, Ökumene, Demokratisierung etc. Es mögen keine unwichtigen Fragen sein, aber ganz sicher sind es keine „letzten Fragen“. Wem es um diese geht, den langweilen die meisten der Reformforderungen. Also um die Frage der Beziehung zu Gott, um Sinn, Erlösung, Hoffnung, Seelenheil, ewiges Leben, ewigen Tod.

Warum interessieren sich selbst die Katholiken in Deutschland mehr etwa für Fragen der Sexualität als für die Frage nach Gott?

Spaemann: Das ist nicht nur in Deutschland so – das Emanzipationsprogramm ist in der ganzen westlichen Welt führend. Mit Rationalität hat das wenig zu tun, so wie der Szientismus mit Wissenschaft nicht viel zu tun hat.

Was ist die Antwort darauf.

Spaemann: Ganz ehrlich?

Ja, bitte.

Spaemann: Ich weiß es nicht.

Aber Sie gelten doch als Vertrauter Benedikts XVI. und als einer der renommiertesten katholischen Gelehrten Deutschlands!

Spaemann: Ich kann Ihnen sagen, was ganz sicher nicht die richtige Antwort ist. Nämlich, sich in einen Wettlauf um die Liberalisierung der Kirche zu begeben.

Warum nicht?

Spaemann: Es gäbe dann kein Halten mehr. John Henry Newman, der aus der anglikanischen zur katholischen Kirche konvertierte, kommentierte diesen Schritt einmal mit der Bemerkung, er sehe in letzter Konsequenz kein Mittleres zwischen Atheismus und Katholizismus. Ich zitiere noch einmal Paulus, der sagt, wenn eine Trompete keinen deutlichen Klang mehr gibt, wie solle sie dann noch zum Kampfe aufrufen? Das Johannes-evangelium berichtet: Als die Massen die Lehre Jesu, man müsse, um gerettet zu werden, seinen Leib essen und sein Blut trinken, als Zumutung empfanden und sich von ihm abwandten, war seine Reaktion nicht, eine Konferenz zur Revision dieser Zumutung einzuberufen, sondern das Wort Jesu zu seinen Aposteln: „Wollt ihr auch gehen?“

Kritiker würden entgegnen, die Orthodoxie, die Sie verteidigen, ist keineswegs die der eineinhalbtausendjährigen katholischen Kirche, sondern die hundertjährige der Piuspäpste, wie sie im 19. Jahrhundert im Kampf gegen den Liberalismus entstand.

Spaemann: Dieser Einwand ist keineswegs völlig, aber er ist doch im wesentlichen falsch. Richtig ist, daß der Katholizismus des 20. Jahrhunderts stark noch von den Päpsten des 19. Jahrhunderts geprägt wurde, wodurch sich auch gewisse Engführungen ergeben haben. Aber die heutige Kirche darauf zu reduzieren, das macht den Einwand dann eben im wesentlichen falsch. Und übrigens gelang es dieser Kirche, die heute gerne als verstaubt und unattraktiv erscheint, zu ihrer Zeit in Frankreich eine große Hinwendung unter den Intellektuellen zu ihr zu bewirken. Der katholische Liberalismus zieht die Geister nicht an, obwohl er einschlägigen Beifall findet. Martin Mosebach schreibt, daß in seiner Jugend in den Kreisen seiner Eltern eine Reform der Meßliturgie – Abschaffung des Latein etc. – als unbedingt nötig erschien. Daß aber danach keiner mehr einen Grund fand, in die Messe zu gehen.

Aber wenn nicht in der Reform, worin kann dann die Antwort liegen?

Spaemann: Natürlich in der Reform! Ecclesia semper reformanda – die Kirche muß immer reformiert werden! Aber die Reform muß geistlicher Natur sein, sie muß dazu führen, daß mehr gebetet wird. Und da habe ich nun große Hoffnungen auf den neuen Papst.

Inwiefern?

Spaemann: Zum einen ist ein Papst in der Nachfolge des heiligen Franz von Assisi, der sich also besonders um die Natur und die Armen kümmert und der gleichzeitig die katholische Tradition und Rechtgläubigkeit verteidigt, nicht so leicht als „Reaktionär“ zu verunglimpfen, wie das beim Denker Benedikt XVI. leider der Fall war. Übrigens: Der „Kardinal der Armen“, wie er in Buenos Aires genannt wurde, war überhaupt kein Freund der sogenannten Befreiungstheologie. Und: Es ist vielleicht wenig bekannt, daß der heilige Franz in seinem Testament die Priester der Kirche höher ansiedelt als die Engel, unbedingte Verehrung für sie verlangt, sowie größte Kostbarkeit für den Ort, wo die Eucharistie aufbewahrt wird. Aus der Hinwendung zu den Armen kann eine Erweckung der geistlichen Perspektive entstehen, der Perspektive die auf das ewige Leben gerichtet ist.

 

Prof. Dr. Robert Spaemann, „Spaemann zu lesen ist ein großes Vergnügen“, urteilt die Frankfurter Rundschau, und für die Zeit ist er gar „der einzige bedeutende konservative Philosoph der Bundesrepublik ... kein Anwalt der herrschenden Verhältnisse, sondern ein echter Liebhaber von Tradition und Natur, überzeugt vom Absoluten ... von Gott.“ Die Bundestagsfraktion der Grünen lädt ihn ebenso zu Beratungen ein wie Benedikt XVI. Die Neue Zürcher Zeitung zählt ihn gar zu den „Stichwortgebern des Papstes“ und sieht etwa die Rede Benedikts 2011 im Bundestag maßgeblich vom Denken des „Ökophilosophen“ (taz) Spaemann beeinflußt. Geboren 1927 in Berlin, lehrte Spaemann in Stuttgart, Heidelberg, München, Salzburg, an der Sorbonne und in Rio de Janeiro. Er veröffentlicht in FAZ, Zeit, Welt, Cicero und vielen anderen Publikationen. Seine zahlreichen Bücher sind in 13 Sprachen übersetzt. Zu seinen interessantesten Werken zählt „Das unsterbliche Gerücht. Die Frage nach Gott“ (2005).

Foto: Kirche im Sturm: „Die Bibel spricht vom ’großen Abfall’ vor dem Ende. Als Alternative zur Verdunstung des Christentums wäre Abspaltung besser.“

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