© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/13 / 29. März 2013

Wenn die Lawine ins Rollen kommt
Euro-Rettung: In Berlin wächst die Angst, daß die Politik mit der Hilfe für Zypern den Bogen endgültig überspannt hat
Paul Rosen

Offiziell geben sich Bundesregierung und Koalition unbeeindruckt und spielen vor dem Hintergrund der Zypern-Krise eine mögliche neue Konkurrenz wie die Alternative für Deutschland (AfD) herunter: Man müsse die Menschen davon überzeugen, „daß das, was wir machen, verantwortungsvoll ist“, sagte etwa Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zur Parteigründung „Alternative für Deutschland“: „Dann bleiben solche Parteien bedeutungslos.“ In Wirklichkeit könnte die Entwicklung um Zypern trotz der Einigung in letzter Sekunde der Stein gewesen sein, der die Lawine ins Rollen bringt, nach deren Niedergang der gesamte Berliner politische Komplex in Scherben liegt.

Das sei „eine Woche Europa-Chaos vom Feinsten“ gewesen, spottete die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung über die ersten Beschlüsse in Brüssel, mit denen die zypriotischen Sparer und Geldanleger trotz Einlagengarantie per Federstrich teilweise enteignet werden sollten. Sofort stellte sich für die Deutschen und Bürger anderer Staaten die Frage, wann sie wohl dran sein könnten. Der Berliner Regierungssprecher Stefan Seibert beeilte sich, die von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Beginn der Finanzkrise abgegebene Garantie für deutsche Spareinlagen zu bekräftigen: „Es ist das Merkmal einer Garantie, das sie gilt.“

Die sonst in Eurofragen lammfromme Berliner Opposition kam auf Touren. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel warf Merkel vor, Schuld am „Zypern-Desaster“ zu sein und zugelassen zu haben, „daß in Zypern Kleinsparer die Zeche zahlen sollen, aber die Bankeneigentümer ungeschoren davonkommen“. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte, auf der deutschen Seite seien „alle damit beschäftigt, Spuren zu verwischen“. Damit hatte Steinmeier recht, denn nach einem Bericht des Handelsblatts war es vor allem Schäuble, der so hartnäckig auf dem Eigenanteil von Zypern in Höhe von 5,8 Milliarden Euro bestand, daß ohne ihn der Beschluß zur Teilenteignung gar nicht gefaßt worden wäre. „Unbegreiflich“ nannte der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok, wahrlich kein Eurokritiker, die entstandene Lage, die sich nicht nur wegen des starrsinnigen Schäuble in der Woche weiter zuspitzte. Merkel versuchte, die Lage in den Griff zu bekommen: „Uns ist es ein Anliegen, daß Anleger bis 100.000 Euro nicht belastet werden.“

Als nächstes kam jedoch der Vorschlag der Einführung von Kapitalverkehrskontrollen in Zypern auf den Tisch, den das Handelsblatt als „beispiellos in der Geschichte der EU“ kommentierte. Die Deutschen kannten Kapitalverkehrskontrollen zuletzt beim Passieren der DDR-Grenze. Aber in der Koalition begriff niemand, welche Erinnerungen in der deutschen Bevölkerung wach wurden.

Im Laufe der Woche trieben es die Euro-Rettungspolitiker allerdings noch toller. Aus Zypern kam ein Vorschlag auf den Tisch, der die Berliner Politiker zur Weißglut trieb: So sollten Pensionsfonds zur Finanzierung des zypriotischen Eigenanteils herangezogen werden. Merkel stellte in einer turbulent verlaufenen Fraktionssitzung am Freitag vergangener Woche klar, daß die EU eine Verstaatlichung der Pensionsfonds ablehnen werde. Und Kauder sagte: „Wir können nicht akzeptieren, daß die Renten der Menschen verpfändet werden.“

Für die Berliner Koalition war das Kind gleich mehrfach in den Brunnen gefallen: Die Bürger hatten den Eindruck, daß man sehr wohl an ihre Sparguthaben herangehen könnte, daß an den Grenzen Devisenkontrollen eingeführt werden könnten und daß die Renten nicht mehr sicher seien. Populäre Internetseiten wie die „Deutschen Wirtschafts-Nachrichten kürten Schäuble zum „gefährlichsten Mann Europas“, und die europhile taz kommentierte: „Die Währungsunion wird zum Schreckensregime.“

Schäuble hatte zwar versichert, daß die Stabilität der Euro-Zone nicht in Gefahr sei. Glaubwürdig ist die Aussage des Finanzministers vor allem vor dem Hintergrund, daß er 2010 das Auslaufen der Euro-Rettungsschirme garantiert hatte, nicht. Und die Aufregung um Zypern ist um so unverständlicher, da das Land nur 0,2 Prozent zur europäischen Wirtschaftsleistung beiträgt und damit für die EU-Volkswirtschaft etwa so bedeutend ist wie der kleine Allgäu-Ort Bad Hindelang für die deutsche Volkswirtschaft. Fachlich kompetent und unaufgeregt machte der Wirtschaftswissenschaftler Bernd Lucke, der Chef der AfD, die geringe Dimension des Zypern-Problems deutlich, das Europas Eliten trotzdem zunächst nicht lösen konnten: „Wenn man jetzt in Zypern aufräumt, dann kann man auch gleich eine nationale Währung einführen, um die Wettbewerbsprobleme zu lösen.“

Besonders in der Unionsfraktion werden bereits Szenarien für die Bundestagswahl unter Einschluß des bisher Undenkbaren durchgespielt: Danach könnte die AfD mit bis zu zehn Prozent ins Parlament einziehen, die Union könnte knapp hinter die SPD zurückfallen, die plötzlich den Auftrag zur Regierungsbildung hätte. Merkel wäre abgewählt, wie alle europäischen Regierungschefs der Finanzkrise.

Foto: Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nach den Verhandlungen in Brüssel: Niedergang des gesamten Berliner politischen Komplexes

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