© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/13 / 29. März 2013

Gefährliche Bruchlinien
Bundeswehr I: Deutschland droht in den syrischen Bürgerkrieg hineingezogen zu werden
Martin Böcker

Die Lage in Syrien spitzt sich zu: Ein Giftgaseinsatz mit rund 25 Toten in der vergangenen Woche könnte auch die Lage der deutschen Patriot-Einheiten an der türkisch-syrischen Grenze wesentlich verändern. Bislang bezichtigen die Regierungstruppen und die Rebellen sich gegenseitig des Anschlags, eine Kommission der Vereinten Nationen soll den Fall jetzt untersuchen. Die Ermittlung der Schuldigen ist brisant. So wäre mit dem Gebrauch von Giftgas durch die Assad-Truppen aus Sicht Großbritanniens, Frankreichs und der Vereinigten Staaten eine „rote Linie“ überschritten und damit Anlaß für eine militärische Intervention.

Bislang waren die zwölfstündigen Tag- und Nachtschichten der Patriot-Soldaten aus den Flugabwehrraketengeschwadern 1 und 2 aus Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern relativ eintönig. Das Bundestagsmandat sieht ausschließlich einen defensiven Einsatz innerhalb türkischer Grenzen vor. Die größten Schwierigkeiten der Bundeswehr haben sich nicht aus ihrem eigentlichen Auftrag, sondern aus dem gespannten Verhältnis mit den türkischen Gastgebern ergeben. So monierte der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus (FDP), schlechte und unhygienische Unterkünfte, diverse Schikanen der Türken und den körperlichen Angriff eines türkischen Generals auf eine deutsche Feldjäger-Soldatin. Nach Bekanntwerden dieser skandal-trächtigen Vorgänge bemühen sich beide Seiten um Beschwichtigung und Ausgleich, seitdem scheint es keinen Anlaß für Schlagzeilen mehr gegeben zu haben.

Nach Nato-Angaben sollen die Soldaten gemeinsam mit holländischen und amerikanischen Luftabwehreinheiten türkische Städte vor Luftangriffen aus Syrien schützen. Allerdings glauben weder türkische noch deutsche Politiker ernsthaft daran, daß die Regierung Assad die Absicht, geschweige denn die Mittel hat, ausgerechnet während eines immer heftiger werdenden Bürgerkriegs den nördlichen Nachbarn anzugreifen und damit eine weitere Front aufzumachen. Der Einsatz der deutschen Luftwaffe war bis dato ein rein symbolischer Solidaritätsakt mit der Türkei. Das würde sich jedoch schnell ändern, wenn die Vereinten Nationen den Giftgaseinsatz tatsächlich dem Assad-Regime zuschrieben. Markus Kaim und Günter Seufert von der Stiftung Wissenschaft und Politik sind der Auffassung, daß die Bundesregierung bei einer solchen Eskalation de facto gezwungen wäre, das Mandat zu erweitern.

Denn bei einer Intervention durch die Amerikaner, Franzosen und Briten müßte der syrische Luftraum überwacht und Assads Luftwaffe bekämpft werden. Und dafür kämen natürlich auch die deutschen Patriot-Einheiten in Frage. In einer solchen Situation könnte die Bundesregierung die Nato-Partner wahrscheinlich nicht mit einem Hinweis auf ihr eingeschränktes Mandat vertrösten und ausgerechnet dann ihre Einheiten abziehen. Sollten zudem auch noch Bilder von Giftgas-Opfern verbreitet werden, wäre der Bundestag in der öffentlichen Wahrnehmung wahrscheinlich auch moralisch verpflichtet, aktiv zu werden.

Aus dem symbolischen Einsatz als praktisch untätige Beobachter eines Bürgerkrieges könnte damit schnell die Beteiligung an einem konventionellen Krieg werden. Deutschland würde dann gemeinsam mit der sogenannten „Freien Syrischen Armee“ (FSA) kämpfen. Seit dem Ausbruch des Konflikts im März 2012 hat sie ihr Aktivitätsgebiet stark erweitert: Anfangs beschränkte sie sich auf das Umland weniger Städte im Westen des Landes, unter anderem die Hauptstadt Damaskus, sowie die ölreiche Gegend um die im Osten am Euphrat gelegene Stadt Dair az-Zur. Bis zum März dieses Jahres vergrößerte sich dieses Gebiet zunächst über Aleppo und dann entlang der türkisch-syrischen Grenze und des Euphrats, so daß sich ein Halbkreis um die syrische Wüste im Südosten des Landes ergibt. Die FSA ist jedoch kein einheitlicher Akteur. Je länger die Kämpfe dauern, desto deutlicher werden die Konflikte innerhalb der Opposition.

Die Bundeswehr würde nicht nur Partei in einem Krieg gegen eine Armee (und indirekt gegen Rußland), sondern auch in einem Bürgerkrieg, der von externen Akteuren gesteuert und auch von Extremisten entlang ethnischer und religiöser Bruchlinien geführt wird. Derzeit ist nicht abzuschätzen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für die hier skizzierte Entwicklung ist, und ob die Bundesregierung diese Möglichkeit billigend in Kauf genommen oder doch nur übersehen hat. Es ist fraglich, inwiefern dabei deutsche Interessen zur Geltung gebracht werden, geschweige denn überhaupt souverän agiert werden kann.

Foto: Kanzlerin Angela Merkel besucht die Patriot-Einheiten in der Türkei : An der Seite der syrischen Rebellen?

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