© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/13 / 29. März 2013

Weißer Rauch über Damaskus
Syrien: Klare Worte und seltene Einklicke über die Lage im Bürgerkriegsland
Christian Dorn

Für den einflußreichen Republikaner John McCain, Senator und Ex-Präsidentschaftskandidat, ist Syrien „ein beschämendes Kapitel in der US-Geschichte“. Der rhetorische Angriff richtet sich gegen das Zögern Obamas, der auf seiten der Rebellen endlich militärisch in den Bürgerkrieg gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad eingreifen soll.

Neuerlicher Anlaß für diese Forderung sind jüngste Nachrichten, denen zufolge das syrische Regime erstmals Chemiewaffen eingesetzt habe. Es ist eine der typischen Kriegsmeldungen, die nicht zweifelsfrei verifiziert werden können, wie schon das berüchtigte Massaker in Al-Hula, das die definitive Abkehr des Westens vom Assad-Regime markierte.

Entsprechend machen auch im aktuellen Fall beide Lager die gegnerische Seite für den Einsatz verantwortlich. Dies ist auch gar nicht verwunderlich, wie die Nahost-Expertin Susanne Koelbl darlegt. Schließlich, so die renommierte Spiegel-Korrespondentin in einem Vortrag vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), wäre eine einvernehmliche Beurteilung der Lage in Syrien unmöglich, da sie abhängig sei vom jeweiligen Standort und Zeitpunkt des Beobachters.

Koelbl selbst weilte abermals Anfang des Jahres drei Wochen in Damaskus und berichtete von der Entwicklung des Kriegsherdes, in dem sich lokale, ethnische, religiöse, regionale und geostrategische Konflikte (JF 12/13) überlagern. Dabei barg der Ort der Veranstaltung bereits selbst eine Art Politikum – ist doch der Sitz der DGAP in der Rauchstraße von Berlin-Tiergarten nur einen Steinwurf von der syrischen Botschaft entfernt, die seit der Ausweisung des syrischen Botschafters Ende Mai 2012 verwaist ist.

Seither wirkt der deutsche Politikbetrieb in der Syrien-Frage wie paralysiert. Entsprechend muteten die von Koelbl benannten Lösungsvorschläge für einen modus vivendi geradezu befreiend an – angesichts eines ausweglos erscheinenden Bürgerkrieges.

So werde die weitere Bewaffnung der Rebellen keineswegs zu einem friedlichen Ende führen, im Gegenteil. Zudem stünden noch immer Millionen Menschen hinter Assad, der sich – sollte er keinem Attentat zum Opfer fallen – noch einige Monate halten werde. Deutschland und Norwegen könnten da am ehesten eine internationale Vermittlerrolle spielen – „aber wir wollen das nicht“. Ansprechpartner sei schließlich immer noch der Präsident Baschar al-Assad. Als fatalen diplomatischen Fehler bezeichnete sie daher die Haltung der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton, die in der UN-Sitzung erklärte, daß Assad für den Westen kein Gesprächspartner mehr sei.

Dennoch könne den Krieg derzeit niemand gewinnen. Um die „nationale Tragödie“ Syriens zu stoppen, ist es nach Koelbls Auffassung vordringlichste Aufgabe, für beide Seiten Schutzzonen einzurichten. Die diplomatische Strategie, die auf die Vernichtung der einen Seite zielt, müsse aufgegeben werden. Um das Blutvergießen und die systematische Zerstörung von Syriens Infrastruktur zu verhindern, sei die mögliche Zweiteilung des Landes zumindest eine Option.

Überhaupt leugne der Westen bislang seine Verantwortung für das menschliche Leid in Syrien, schließlich habe er sich in diesem Konflikt nicht neutral verhalten und so die aktuelle Situation mit heraufbeschworen. Den Rebellen habe er unberechtigte Hoffnungen gemacht. Nun sähen sich die zunächst friedlichen säkularen Kräfte der Opposition gezwungen, sich mit islamistischen Milizen zu verbünden – in der blauäugigen Hoffnung, nach dem Sturz Assads die Islamisten zu beseitigen.

Wenngleich Syrien kein tiefreligiöses Land wie etwa Pakistan sei, werde mit der Fortdauer des Kampfes die Hinwendung zum Islam zunehmen, das liege in der Natur des Krieges. Wie akut der islamistische Terror des Bürgerkriegs inzwischen auch in Damaskus voranschreitet, dokumentierte die Korrespondentin mit diversen Fotos von hinterhältigen Anschlägen, denen immer wieder auch unschuldige Zivilisten zum Opfer fallen. Eine Aufnahme von erhöhtem Punkt zeigte das Viertel Daraya am Stadtrand von Damaskus, über dem weißer Rauch aufstieg – Zeichen für die Bombardierung und Beschießung durch Assads Armee. Dennoch sei für viele Menschen auf der Straße weniger die Frage „pro oder kontra Assad“ entscheidend, sondern de der persönlichen Sicherheit.

Sichtbarer Ausdruck hierfür ist die Flüchtlingsproblematik. So sei Koelbl in keine Wohnung gekommen, in der nicht auch Flüchtlinge waren. In dem 22,5 Millionen Einwohner zählenden Syrien sind derzeit geschätzt drei Millionen auf der Flucht, davon etwa 2,3 Millionen innerhalb des Landes. Erschütternd war zudem das geschilderte Schicksal eines aus dem Westen ausgewiesenen Diplomaten, dessen Familie – ein religiöser Querschnitt durch die syrische Gesellschaft – jetzt von den Rebellen, die gezielte Tötungen vornehmen, als Geisel auserkoren wurde, um die Freilassung inhaftierter Rebellen zu erwirken.

Bezeichnend schließlich waren Koelbls Schilderungen über die historische Stellung Deutschlands in der arabischen Welt, hier am Beispiel Syriens. Hat es doch ausgerechnet wegen seines dunklen Kapitels von zwölf Jahren bis heute einen unheimlichen Nimbus oft vor allen anderen Nationen. „Pittoresk“ in diesem Sinne waren Koelbls Fotos, etwa von der Begegnung mit dem syrischen Verteidigungsminister Mustafa Tlass vor zehn Jahren, über dessen Amtssofa zwei Aquarelle Adolf Hitlers hingen. Ähnlich stolz wie der Minister einst zeigte sich die Rezeptionistin des Hotels in Damaskus, die der deutschen Journalistin mit Begeisterung auf ihrem Smartphone das Bildnis Hitlers zeigte: „So einen starken Mann brauchen wir jetzt.“

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