© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/13 / 29. März 2013

Russisch Roulette
Rußland: Im Strudel von Bevölkerungsschwund und stetig zunehmender Islamisierung verändert das Riesenreich sein Gesicht
Albrecht Rothacher

Rußlands Bevölkerung wächst bis 2015 um eine halbe Million“, jubelte kürzlich das Moskauer Wirtschaftsministerium. Doch kennt man nicht Geschichten von Bauern, die als letzte Bewohner eines nordrussischen Weilers die verlassenen Holzhäuser der Nachbarn zu Kleinholz machten und verfeuerten, bis es selbst ans Sterben ging? Im Kleingedruckten der Meldung der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Novosti findet man dann die Erklärung: 320.000 moslemische Zentralasiaten kommen jährlich ins Land – während russische Hochschulabsolventen und erfolgreiche Unternehmer sich zunehmend in Richtung USA und Westeuropa verabschieden.

In der Russischen Föderation lebten am 31. Dezember 2012 nach Schätzungen der Behörden 143,3 Millionen Menschen. Zwischen 2002 und 2010 nahm die Zahl der Einwohner des einst bevölkerungsreichsten Landes der Erde um 2,3 Millionen ab. Nach Prognosen der Uno werden im Jahr 2025 zwischen Beresina im Westen und Beringstraße im Nordosten Rußlands nur noch 129 Millionen Menschen siedeln. Nach anderen Hochrechnungen könnte die Bevölkerungsstärke des weltgrößten Flächenstaates bis 2050 auf unter 100 Millionen fallen. Rußland würde danach bevölkerungsärmer sein als die schnell wachsende Türkei.

Der Anteil ethnischer Russen unter ihnen wird um Größenordnungen geringer sein als heute. Der leichte Bevölkerungszuwachs um 450.000 seit 2010 geht in der Hauptsache auf nichtrussische, moslemische Einwanderer aus den zentralasiatischen Republiken zurück.

Besonders dramatisch ist die Situation auf dem Land, wo der Bevölkerungsrückgang dreimal so hoch ist wie in den Städten. In den letzten zehn Jahren sind über 8.000 russische Dörfer verschwunden. In weiteren 20.000 lebt fast niemand mehr. Die russischen Ebenen – entvölkert.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion brachen im Zuge der allgemeinen Unsicherheit die Geburtenraten dramatisch ein, während die Sterberaten massiv anstiegen, vor allem bei Männern. Von ihnen gibt es zehn Millionen weniger als Frauen. Ihre Lebenserwartung stürzte von 69 Jahren im Jahr 1995 auf 58 ab und liegt auch heute bei knapp 62. Frauen werden im Schnitt elf Jahre älter. „Der Unterschied ist Ergebnis der hohen Sterblichkeit der Männer in unserem Land. Der Grund liegt in der Krise sowohl der Wirtschaft als auch der Gesellschaft. Arbeitslosigkeit und das Fehlen von Perspektiven verursachen Depressionen, die Männer fallen in Alkoholsucht“, erklärt Alexandra Dokutschajewa vom GUS-Staaten-Institut in Moskau.

Durch den Sterbeüberschuß nimmt die Gesamtbevölkerung Rußlands in ihrer natürlichen Bilanz seit 1992 Jahr um Jahr um 100.000 bis 200.000 Menschen ab: Ganze Großstädte sterben aus. Die Geburtenrate hat sich nie wieder erholt. Sie liegt zwar bei 1,6 Kindern pro Frau – und ist damit sogar etwas besser als in Deutschland (1,3); doch ist sie ein Durchschnittswert. Im ethnisch russisch besiedelten Osteuropa und in Fernost ist sie, auch wegen der exorbitant hohen Abtreibungsraten von 120 Föten pro tausend Frauen, besonders niedrig. In den moslemischen Republiken des Nordkaukasus – vor allem bei den Tschetschenen –, Tatarstan und Baschkirien in Zentralrußland sowie bei den finno-ugrischen Völkern im Norden ist sie dagegen sehr hoch.

Bis 2030 verliert Rußland 17 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter. „Aus der Sicht der Demographie treten wir in die allerschwerste Phase ein. Die Zuwachsreserven der beruflichen aktiven Generation sind erschöpft“, so der Sekretär beim Nationalen Sicherheitsrat, Nikolaj Patruschew. „Die Situation verlangt nach Lösungen, die es ermöglichen, hochqualifizierte Arbeitskräfte anzuziehen.“

Höhere Geburtsbeihilfen sollten die demographischen Daten wieder ins Lot bringen. Experten verweisen jedoch darauf, daß in Krisenzeiten finanzielle Beihilfen in Höhe sogar eines guten Monatsgehalts für die Geburt des ersten Kindes ein zu kleiner Anreiz sind. Nicht viel her gab auch das Programm, das im Ausland lebende Russen zur Rückkehr ermuntern sollte. Ging die Regierung davon aus, daß sich bis Ende 2012 über eine halbe Million Staatsangehörige wieder in der Heimat ansiedeln würden, waren es bis März letzten Jahres jedoch nur 37.000. Als Notnagel favorisiert Präsident Putin laut Ria Novosti die Drei-Kinder-Familie. Nun gehe es darum, „die Ärmel hochzukrempeln“. „Neben Maßnahmen zur Geburtenförderung müßte die Regierung ‘die gesamte Kinderinfrastruktur entwickeln: Kindergärten, Schulen, Kinderzirkel‘“.

Der Direktor des Moskauer Instituts für Probleme der Globalisierung, Michail Deljagin, sagt vor diesem Hintergrund voraus, daß in Rußland bei einem Weiterführen der gegenwärtigen Tendenzen in spätestens 20 Jahren Einwanderer aus dem Kaukasus und Mittelasien die Herrschaft übernommen haben werden: „Wenn sich die ökonomische Situation nicht verbessert, wird aus Moskau ein Nord-Duschanbe oder ein Nord-Grosny“, so der frühere Berater von Premier Putin.

Das klingt zugespitzt – doch die Wirklichkeit ist nicht weit hinterher. Die Migrationsströme aus dem Süden bereiten großes Kopfzerbrechen. Zunächst waren es ethnische Russen und Ukrainer, die aus den verarmten zentralasiatischen Republiken und dem Nordkaukasus, wo sie mit zunehmender Islamisierung sich immer unwillkommener und gefährdet fühlten, zu Millionen nach Kernrußland abwanderten. Jetzt kommen fast nur noch Moslems. Unter den neun Millionen registrierten Immigranten sind zwei Millionen Usbeken, eine Million Tadschiken und mehr als 500.000 Kirgisen. Auch die 1864 von den Zaren vertriebenen Tscherkessen kehren jetzt zu Tausenden aus ihrem syrischen Exil in ihre nordkaukasische Urheimat zurück.

Als Ergebnis dieser Migrationen und der höheren Geburtenrate wuchs die Zahl der Moslems in Rußland binnen zehn Jahren von 14 Millionen auf offiziell 20 Millionen, ein Siebtel der Gesamtbevölkerung also – ohne die vielen Illegalen mitzuzählen, die im Zensus nicht aufscheinen. Allein in Moskau sind von zwölf Millionen Einwohnern unübersehbar zwei Millionen Moslems. Moscheen, verschleierte Frauen und usbekische Restaurants, die Fleischpasteten, Pilaf und Fladenkuchen anbieten, sind Teil des Straßenbildes geworden. Für Niedrigstlöhne arbeiten Immigranten auf Baustellen, als Putzpersonal, Straßenverkäufer und als Fahrer illegaler Taxen, im Volksmund „Dschihad-Taxi“ genannt.

Vorhersehbar sind die Beziehungen zwischen Moslems und den orthodoxen Russen nicht spannungsfrei. Am unpopulärsten sind neben den Tschetschenen die Großfamilien aus dem schiitischen Tadschikistan. Russen werfen ihnen, wie andernorts auch, mangelnden Integrationswillen, die Neigung zur Gewalt, die Unterdrückung der Mädchen und Frauen sowie abstoßende Sitten wie das öffentliche Schächten von Hammeln vor. Rassisch motivierte Gewalttaten und Morde beider Seiten sind an der Tagesordnung.

Alexej Nawalny, Führer der nationalistischen Opposition, verlangte im Präsidialwahlkampf 2012, den gewalttätigen islamischen Nordkaukasus als „Gaza-Streifen Rußlands“ politisch zu isolieren. Die Subventionsmilliarden, mit denen die kremltreuen Regimes in Inguschetien, Tschetschenien und Dagestan nach dem zweiten Tschetschenienkrieg zur Befriedung der Region an der Macht alimentiert werden, sind in Rußland zunehmend unpopulär. Nach dem Meinungsforschungsinstitut Lewada-Zentrum stimmen 59 Prozent der Bürger der Parole „Rußland den Russen“ zu. Doch Präsident Putin lehnt die Aufteilung in nationale Enklaven und regionale Autonomierechte ab. Er bekundet, keine Abweichungen von der russischen Leitkultur dulden zu wollen, aber tatsächlich gibt es nur Pläne zur Wiedereinführung von Schuluniformen, um der Verschleierung moslemischer Schülerinnen Einhalt zu gebieten.

Doch Leitkultur hin und Schuluniformen her. Moskau kämpft auch auf anderem Gebiet um seine Landeskinder. Umfragen zufolge sind mehr als ein Fünftel aller Russen auswanderungswillig. Nicht alle werden es tun. Von den in den USA studierenden Wissenschafts- und Ingenieurstudenten wollen 77 Prozent nicht zurück.

Stattliche 88 Prozent der Millionäre gaben in einer Umfrage des Schweizer Bankvereins an, sie hätten ihr Geld im Ausland veranlagt und seien bereit, ihre russischen Firmen zu verkaufen. Niemand dachte daran, sie den eigenen Kindern zu vererben, da diese ohnehin schon meist im Ausland lebten. Es sind also nicht die Armen oder Verzweifelten, die ins Ausland wollen, sondern Studenten, Unternehmer und Mittelschichtler mit überdurchschnittlichen Gehältern, die für sich in Rußland keine Perspektive mehr sehen. Ihre Motive sind Umfragen zufolge die hohen Lebenshaltungskosten, schlechte medizinische Dienste, die hohe Verbrechensrate, die allgegenwärtige Korruption, die Vielzahl der Immigranten, der miserable Zustand des Bildungssystems, der schwache Eigentumsschutz und begrenzte Aufstiegsmöglichkeiten.

In Summe wirken alle Faktoren gegen Rußland: Geburtenstreik, Todesraten, die Abwanderung der Besten, die Unfähigkeit produktiv zu wirtschaften, die hohe Fruchtbarkeit der Moslems und die Massenimmigration unqualifizierter, integrationsunwilliger Zentralasiaten.

Foto: Islamisches Opferfest in Moskau: Während der Anteil ethnischer Russen mehr und mehr abnimmt, präsentieren sich die moslemischen Zuwanderer zunehmend selbstbewußt

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