© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/13 / 29. März 2013

Politik darf nicht nur „auf Sicht fahren“
Erinnerungen an einen Querkopf: Josef Schunders Biographie des langjährigen Stuttgarter Oberbürgermeisters Manfred Rommel
Dirk Wolff-Simon

Seit der Bundestagswahl 2009 konnte die CDU keine einzige der 27 Wahlen gewinnen, aus der ein Großstadt-Oberhaupt hervorging. Die baden-württembergische Landeshauptstadt Stuttgart fiel im Oktober 2012 gar an den Grünen Fritz Kuhn. In der Kontroverse um die richtige Strategie in der Kommunalpolitik ist die CDU inzwischen versucht, dem Zeitgeist hinterherzulaufen. Daß es für einen CDU-Politiker auch in einem großstädtischen Biotop gelingen kann, Kommunalwahlen zu gewinnen, zeigt das Beispiel von Manfred Rommel, der fast 22 Jahre erfolgreich die Geschicke Stuttgarts lenkte. Der Stuttgarter Journalist Josef Schunder setzt sich in seiner Biographie über Manfred Rommel mit dem Phänomen des legendären Oberbürgermeisters auseinander.

Obgleich Manfred Rommel zeit seines Lebens mit dem historischen Mythos seines Vaters, des Weltkriegsgenerals Erwin Rommel, assoziiert wird, hat er sich bereits früh zu einer eigenständigen, aber auch eigensinnigen Persönlichkeit entwickelt. Nach dem verspäteten Abitur beginnt Rommel sein juristisches und staatswissenschaftliches Studium in Tübingen. 1956 legt er das zweite juristische Staatsexamen mit der Note „gut“ ab und tritt im gleichen Jahr seinen Berufsweg in der Landesverwaltung in Baden-Württemberg an. Es folgt ein kurzes Gastspiel beim Verwaltungsgericht und beim Verwaltungsgerichtshof, bevor Rommel auf eine Position im Innenministerium gelangt, wo er seine ersten Erfahrungen im Verwaltungsdienst sammelt.

Eine Zäsur ergibt sich für Rommel, als eine CDU/FDP-Koalition unter Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger 1960 die regierende SPD ablöst. Hans Filbinger übernimmt das Innenministerium, und Manfred Rommel wird sein persönlicher Referent. Nach einem Wechsel als Referent für Grundsatzfragen und Planung ins Stuttgarter Staatsministerium fällt ihm die Aufgabe zu, eine mittelfristige Finanzplanung für Baden-Württemberg zu entwickeln. Rommel legt früh den Finger in die Wunde einer Politik zu Lasten kommender Generationen und mahnt eine verläßliche und seriöse Finanzpolitik an. Ihm widerstrebt das Tagesgeschäft einer klientelorientierten Politik, die lediglich „auf Sicht“ fährt: „Unangenehme Tatsachen, die eigentlich offenkundig sind, werden gerne geleugnet in der Hoffnung, sie würden von selber verschwinden. Diese Verleugnung dauert an, bis die unangenehmen Tatsachen eine solche Größe und Aktualität erreicht haben, daß sie sich nicht mehr verbergen lassen“.

Anfang der siebziger Jahre wird Rommel ins Finanzministerium berufen und steigt dort 1972 zum beamteten Staatssekretär auf. Der weitere Kariereweg in der Landespolitik scheint vorbestimmt zu sein, doch es kommt anders. Im August 1974 stirbt überraschend der parteilose Stuttgarter Oberbürgermeister Arnulf Klett. Die Parteifreunde bedrängen den jungen Rommel, für die CDU ins Feld zu ziehen. Dieser zögert zunächst, gibt aber dem Drängen nach. Sehr schnell wird für Rommel deutlich, daß sein Hauptherausforderer von der SPD, Peter Conradi, eine ernstzunehmende Konkurrenz darstellt: Conradi ist bestens mit allen Problemlagen der Kommunalpolitik vertraut und kann sich wesentlich eloquenter präsentieren als der bisweilen heiter-gelassene und manchmal schelmisch auftretende Rommel.

Widerstrebend akzeptiert Rommel die Wahlkampagne, die auf seinen Namen zugeschnitten wird – „Schultes wird bloß einer: dem Wüstenfuchs sein Kleiner“. Rommel beginnt sich als Person mit all seiner schwäbisch-geistreichen Attitüde zur unverwechselbaren „Marke“ zu entwickeln. Durch seine Authentizität gewinnt er die Wahl und wird im Januar 1975 CDU-Oberbürgermeister von Stuttgart. Die Zustimmung ist legendär: 1990 fallen Rommel bei seiner letzten Wahl sogar 71,1 Prozent an Wählerstimmen zu. Er praktiziert gelebte Sparsamkeit und entwirft politische Lösungen über die Parteigrenzen hinweg. In der täglichen Arbeit versichert er sich, ohne Rücksicht auf das jeweilige Parteibuch, der Sachexpertise innerhalb der Verwaltung.

Rommel macht über die Kommunalpolitik hinaus mit Reden und Essays auf sich aufmerksam und einige Jahre später sieht es so aus, daß er sogar Ministerpräsident werden würde. Doch er unterliegt der innerparteilichen Entscheidung zugunsten von Lothar Späth. Rommel, der philosophierende Schwabe, der Weltbürger und Politiker, der es stets verstand, mit Selbstironie über den Tellerrand hinauszuschauen, widerstand stets der Versuchung, Denkmäler seiner selbst zu schaffen. Als Querkopf stand er auch für unorthodoxe Haltungen, die seiner Auffassung von gelebten bürgerlichen Werten entsprachen.

Nach Lektüre der aufschlußreichen Biographie wird für den Leser deutlich, daß Rommels Erfolg nicht nur auf die „Kompetenz mit Witz“ zurückzuführen ist, die ihm der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt attestierte, sondern auch auf die Neigung zum Kompromiß, zur Selbstkritik und zur Korrektur von früheren Entscheidungen, wenn es denn nötig war. Josef Schunder ist durch seine lesenswerte Biographie über einen vorbildlichen Politiker eine eindrucksvolle Reminiszenz an einen „sehr eigenen Charakter“ gelungen, wie Helmut Kohl 1996 Manfred Rommel anläßlich seiner Verabschiedung als Oberbürgermeister mit Hochachtung nannte.

Josef Schunder: Manfred Rommel. Die Biographie. Vorwort von Christian Ude. Theiss Verlag, Stuttgart 2012, gebunden, 300 Seiten, Abbildungen, 24,95 Euro

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