© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/13 / 05. April 2013

Ein ganz schmaler Silberstreif
Demographische Krise: Eine neue Studie zur Geburtenrate läßt hoffen, daß in der Bevölkerungsentwicklung die Talsohle erreicht ist
Thorsten Brückner

Die demographischen Hiobsbotschaften reißen nicht ab. Jahr für Jahr sinkt den Statistiken zufolge sowohl die Zahl der Kinder als auch, infolge jahrzehntelangen demographischen Niedergangs, die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter. Das Ende scheint unausweichlich: Deutschland stirbt, dafür sprechen alle Zahlen, den langsamen demographischen Tod.

Fernab von solchen Horrorszenarien zeichnet nun eine Studie des Max-Planck-Instituts für demographische Forschung in Rostock ein etwas weniger düsteres Bild. Zugrunde liegt der Studie nicht die tatsächliche Anzahl der Geburten pro Frau innerhalb eines Jahres (Periodenfertilität), sondern die Zahl der endgültigen Geburten. Diese ergibt sich aus der Anzahl der Geburten aller Frauen eines Jahrgangs (Kohortenfertilität). Während Frauen der Jahrgänge 1953 bis 1961 (die ihre Kinder in den Siebzigern und Achtzigern zur Welt brachten) noch über 1,8 Kinder geboren haben, fiel danach die Fertilitätsrate immer weiter ab.

Eine Trendumkehr sehen die Forscher in ihrer Studie nun allerdings bei Frauen, die in den siebziger Jahren geboren wurden. Bei diesen Jahrgängen nähert sich die Fertilitätsrate wieder 1,6 Kindern pro Frau, nachdem sie bei den Sechziger-Jahrgängen zwischenzeitlich auf 1,5 Kinder pro Frau zurückgegangen war. Da Frauen, die in den siebziger Jahren geboren wurden aber zumeist immer noch im gebärfähigen Alter sind, ergibt sich bei der Projektion eine Unsicherheit, die von den Forschern aber berücksichtigt wurde. Zwar nimmt die Prognose mit den jüngeren Jahrgängen an Ungenauigkeit zu. Eine Trendumkehr werde den Forschern zufolge jedoch mit 95 prozentiger Wahrscheinlichkeit eintreten. Eine Steigerung auch der jährlich veröffentlichten Zahlen der Geburten pro Frau stünde demzufolge bald bevor.

Das Statistische Bundesamt veröffentlicht Zahlen über die endgütige Geburtenrate eines Jahrgangs nur für Frauenjahrgänge ab einem Alter von 50 Jahren, da man annimmt, daß in diesem Alter die Familienplanung endgültig abgeschlossen ist. Der derzeit aktuellste Jahrgang, für den das Statistische Bundesamt die Rate der endgültigen Geburten angibt, ist der von 1962. „Die öffentlich debattierten Periodenraten sind zu einem großen Teil deswegen so niedrig, weil die Eltern später Kinder bekommen, nicht aber weniger“, erklärt einer der Forscher an dem Projekt, Jo-shua Goldstein, die Statistik.

Die jährlichen Zahlen des Statistischen Bundesamts, die in der gegenwärtigen Debatte über die demographische Krise herangezogen werden, geben immer die Periodenfertilität, nicht jedoch die Kohortenfertilität an. Für 2011 lag die Periodenfertilität bei 1,36 Kindern pro Frau. Daß diese Zahl dauerhaft derart niedrig bleibt, hält Goldstein aufgrund seiner Studienergebnisse allerdings für „wenig realistisch“, da dort, wo die endgültigen Geburtenraten steigen, auch die zusammengefaßten Geburtenziffern wachsen.

Auch in anderen westlichen Industrienationen steigen die Geburtenraten demnach wieder an. Für Großbritannien und die Vereinigten Staaten wartet die Studie gar mit besonders hohen Zuwächsen auf. In manchen Ländern, so der Demograph Mikko Myrskylä, sei die endgültige Geburtenrate gar nicht mehr so weit von zwei Kindern pro Frau entfernt. Nur in wenigen Staaten der westlichen Welt wie Portugal oder Taiwan ist auch die endgültige Geburtenrate weiter am Sinken.

Zur Entwarnung besteht angesichts der Zahlen jedoch kein Anlaß. Selbst im besten Fall weist die Projektion für Frauen des Jahrgangs 1979 nur eine Fertilitätsrate zwischen 1,6 und 1,7 Kindern pro Frau aus. Damit liegen die Zahlen immer noch deutlich unter der Rate von 2,1, die für die Bestandserhaltung einer Gesellschaft notwendig ist. Der Anstieg fällt zudem sehr moderat aus und kompensiert nicht annähernd den dramatischen Abfall der Sechziger-Jahrgänge.

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