© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/13 / 05. April 2013

Von Hobbes über Hamann und Schmitt zu Hitler
Neues vom ideenhistorischen Wettstricken „unheilvoller“ Kontinuitäten
Rüdiger Lohmann

Zum 350. Geburtstag des britischen Staatstheoretikers, 1938, erschien von Carl Schmitt ein Büchlein mit dem Titel „Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes“. Abgesehen von den Ausführungen zu der von ihm im Herbst 1936 organisierten Tagung über „Das Judentum in der Rechtswissenschaft“ hat kein anderer Text seinen Ruf, ein Judenfeind zu sein, so nachhaltig begründet wie der „Leviathan“. Als Günter Maschke das Werk 1982 neu herausgab, sorgte allein das Gerücht von der antisemitischen Stoßrichtung dieser Hobbes-Deutung dafür, daß der Editor gleich die ganze Buchreihe, in der sie erschienen war, einstellen mußte.

Es ist daher kaum verwunderlich, wenn Schmitts mitunter esoterisch anmutender ideenhistorischer Ausflug in die Staatslehre des 17. Jahrhunderts heute noch Leser in den Zustand hochgradiger intellektueller Unzurechnungsfähigkeit versetzt. Wie etwa die derzeit in Tel Aviv tätige Religionswissenschaftlerin Grit Schorch vom Hallenser Leopold-Zunz-Zentrum zur Erforschung des europäischen Judentums, die 2010 mit einer Untersuchung zur „Sprachpolitik“ des Popularphilosophen Moses Mendelssohn (1729–1786) promoviert wurde. In ihrer Studie über „Carl Schmitt und die Hamann-Mendelssohn-Kontroverse“, mit dem verunglückten Untertitel „Ein sprachpolitischer Austausch in Hobbes“ in den vierteljährlich erscheinenden literaturwissenschaftlichen Heften der Germanisch-Romanischen Monatsschrift (Ausgabe 2/2012), brennt denn auch das Feuerwerk des fortgeschrittenen Schmitt-Hasses ab.

Bei diesem Getöse können die Fakten getrost zur Nebensache verkommen, und der „Kronjurist des Dritten Reiches“ erhält dann bei Schorch 1933 eine Berufung nach Bonn statt nach Köln, oder der Charaktermajor eines „Preußischen Staatsrates“ verwandelt sich zur „Würde auf der höchsten Ebene“. Schäbiger wird es, wenn Schorch alte, längst entkräftete Denunziationen wieder aufwärmt wie jene, Schmitt habe „zielgerichtet Juristen jüdischer Herkunft, die seine direkten Konkurrenten waren, aus ihren Positionen verdrängt“.

Aber das sind natürlich Kleinigkeiten gegen den von jüdischen Polemikern wie Mark Lilla oder Raphael Gross entliehenen Hauptanklagepunkt, Schmitt gehöre zu den „wichtigen und einflußreichen Vordenkern der Judenvernichtung“. Was diese seitenlange Suada indes mit Hobbes zu tun hat, erschließt sich erst aus Schorchs wackerem Bekenntnis, auch mit ihrer als geistesgeschichtliche Exegese getarnten Expektoration dazu beitragen zu wollen, den leider sich festigenden Ruf Schmitts als „Klassiker der politischen Theorie“ in „sehr grundsätzlicher Weise zur Disposition“ zu stellen.

Zu diesem Zweck glaubt sie, Schmitt seiner Autoritäten Hobbes und Hamann berauben zu können. Der Königsberger Johann Georg Hamann (1730–1788), „der von Wort und Sprache her wissende größte Philosoph des deutschen Ostens“, wie ihn Schmitt 1938 rühmte, Erzlutheraner und veritabler Antijudaist, berief sich im Streit mit Mendelssohn ebenfalls auf Hobbes, allerdings als Kritiker der nominalistischen, zeichentheoretischen Sprachauffassung des Engländers, die mit der Sprachphilosophie des jüdischen Aufklärers konform ging.

Hier verknäueln sich Schorchs Argumentationslinien leider in unentwirrbarer Weise. Denn schwerlich kann sie verschweigen, daß Schmitt selbst ausführlich darlegt, wie bereits mit Hobbes’ „Leviathan“ und der dort proklamierten Unterscheidung von äußerem Gehorsam dem Staat gegenüber und der „inneren“ Freiheit des sich auf Gewissen und Glauben berufenden autonomen Subjekts der neuzeitliche Staat auf die abschüssige Bahn geriet.

Jenen Juden, die hier eine Einbruchstelle erkannten, um unter der Parole der „Religionsfreiheit“ ihre emanzipatorischen Interessen zu verfolgen, kommt in dieser Konstruktion keineswegs die Rolle des für Hobbes Vertragstheorie reservierten Urhebers der staatszerstörenden Unterscheidung von Religion und Politik zu, sondern sie waren nur „Katalysatoren und parasitäre Nutznießer“ (Schorch) im Prozeß der Staatsauflösung. Mendelssohn, neben dem „Arier“ Friedrich Nicolai wirkungsmächtigster Protagonist der Berliner Aufklärung, betritt dann bei Schmitt als einer unter vielen jüdischen Intellektuellen nach Spinoza die Szene, die staatliche Macht im Interesse des eigenen Volkes unterhöhlt hätten.

Auch Mendelssohn zieht mithin die Konsequenzen aus Hobbes’ Staatstheorie. Das fiel ihm um so leichter, als er auf dem Boden von Hobbes’ Nominalismus stand, für den zwischen Begriff, Name, Zeichen und Sache ein unaufhebbarer Unterschied bestand. Sprachlich vermittelte religiöse Inhalte unterliegen daher den Gesetzen sprachlicher Konventionen, eine Auffassung, die den Glauben an absolute, politisch vollstreckbare Wahrheiten destruierte. Der den Zusammenhang zwischen Offenbarung und Sprache verteidigende Hamann nahm den Kampf gegen diese, den „atheistischen“ Hobbes beerbende jüdische „Schulfüchserey“ auf und bereitete so, wie Schorch klagt, „dem linguistischen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts den Weg“.

Auf Hamann beruft sich Schmitt, anders als Schorchs Versuch seiner Rettung vor „verfälschender antisemitischer“ Rezeption suggeriert, daher zu Recht. Hielt der ostpreußische „Magus im Norden“ doch nicht nur als Sprachphilosoph an der Einheit von Staat und Religion fest, die Hobbes’ politische Theologie sprengte und an der sich Schmitts Versuch orientierte, mit dem Symbol des „Leviathan“ diese Einheit für eine „gegenläufige Hobbes-Interpretation“ zu vereinnahmen.

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