© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/13 / 12. April 2013

Lebensschutz
Arme Kirche
Wolfgang Ockenfels

Die christliche „Option für die Armen“ gilt vorrangig dem Lebensschutz, der in gesättigten Wohlfahrtsstaaten zunehmend denen entzogen wird, die sich nicht selber zu helfen wissen: also den Ungeborenen, Behinderten und Alten.

Leidenschaftlich erörtert wird das Problem der „Pille danach“, die Frage also, ob sie von abtreibender Wirkung sei und in katholischen Krankenhäusern verabreicht werden dürfe. Diese und andere Fragen sind inzwischen zu einem Politikum geworden und rühren an das bisherige Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Deutschland. Aktualisiert wird diese Debatte durch das Programm der „Entweltlichung“ der Kirche. Für Benedikt XVI. ist der bisherige Zustand des Kirche-Staat-Verhältnisses kein Dogma gewesen – und die mögliche Neuordnung kein Tabu. Anderes ist auch von seinem Nachfolger nicht zu erwarten.

Natürlich kommt es darauf an, wie die Kirchen in Deutschland sich entwickeln, welche Anforderungen der Staat an sie stellt – und welche Zumutungen er für sie bereithält. Schon vor einigen Jahren kritisierte Joachim Kardinal Meisner einen Schwund kirchlicher Glaubenssubstanz, der im Widerspruch zur Ausdehnung kirchlicher Organisationsformen stünde.

Sehr beliebt sind kirchliche Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser auch heute noch. Immerhin entlasten sie den Staat im subsidiären Sinne. Und gäbe es nicht die vielen Einrichtungen der Kirche, hätte der Staat erhebliche Mehrkosten zu tragen. Die Frage ist aber, ob bei zunehmender Entchristlichung die Kirche überhaupt noch genügend geeignetes Personal findet, um ihre Einrichtungen glaubwürdig zu führen. Wer in einem kirchlichen „Tendenzbetrieb“ einen Auftrag zur Glaubensverkündigung oder zum moralischen Zeugnis wahrnimmt, muß sich wohl auch an die entsprechenden Regeln halten. Sollten diese jedoch den staatlichen Vorschriften widersprechen, kommt es notwendig zu einem Konflikt zwischen Kirche und Staat. Etwa in Sachen Arbeitsrecht und Gesundheitswesen. Abtreibung und aktive Euthanasie sind mit der Kirche nicht zu machen.

Arme Kirche! Vielleicht muß sie etwas abspecken, um beweglicher – und etwas demütiger – werden, um glaubwürdig zu sein. Aber wer löst sich schon gerne aus goldenen Fesseln, auch wenn er dadurch freier wird?

 

Prof. Dr. Wolfgang Ockenfels ist Publizist und Professor für christliche Sozialethik an der Theologischen Fakultät Trier.

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