© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/13 / 12. April 2013

Die Heimat von Gier und Geiz
Finanzoptimierer in Steueroasen: Die „Offshore Leaks“-Enthüllungen bringen Reiche unter Generalverdacht
Michael Wiesberg

Am Anfang stand eine Festplatte mit Hunderten Gigabyte an Daten, die Gerald Ryle, der Direktor des Internationalen Konsortiums für investigativen Journalismus (ICIJ), per Post 2011 bekommen haben will. Die Daten stammen von zwei der größten Offshore-Finanzdienstleister weltweit, von der Commonwealth Trust Ltd. (CTL) und der Portcullis Trustnet-Gruppe. Die 2,5 Millionen Dokumente auf dem Datentäger betreffen laut ICIJ zehn „Steueroasen“, darunter die Britischen Jungfern- und Kaimaninseln; sie sollen zeigen, wie mutmaßliche Steuerbetrüger und ihre Dienstleister ein globales Netzwerk gesponnen haben, um, so wird zumindest nahegelegt, ihr Geld mit illegalen Tricks vor dem Fiskus zu verstecken. Diese Dokumente sollen rund 130.000 Namen enthalten. NDR-Berichten zufolge hat CTL „viele Kunden“ aus „Osteuropa und vor allem aus Rußland“; Portcullis – dessen „Fallgitter“, so die deutsche Übersetzung, sich als ziemlich löchrig erwiesen hat – gilt als „einer der weltweit größten Dienstleister für Offshore-Firmen“.

An der Auswertung dieser Dokumente mit einer speziellen Software sollen 86 Journalisten aus 46 Ländern beteiligt gewesen sein. In Deutschland waren die Süddeutsche Zeitung (SZ) und der Norddeutsche Rundfunk (NDR) beteiligt, die seit voriger Woche eine umfangreiche Berichterstattung betreiben. Nach welchen Kriterien das ICIJ die beteiligten Medien ausgesucht hat, darüber liegt bisher keine Äußerung vor. Ebensowenig ist irgend etwas über die „anonyme Quelle“ bekannt geworden, über die sich das ICIJ mit Verweis auf den „Quellenschutz“ ausschweigt.

Waren es Hacker, die sich Zugang zu den Servern von CTL und Portcullis verschaffen konnten? Falls dem so ist, ist es kaum vorstellbar, daß diese die brisanten Daten zum Nulltarif verschickt haben, um der Welt endlich Beweise für die dunklen Machenschaften von reichen Steuersündern zu präsentieren. Waren es Konkurrenten von CTL und Portcullis, die hier eine Möglichkeit witterten, mit der Denunzierung zweier Offshore-Platzhirsche besser in das ertragreiche Geschäft mit betuchten Kunden einsteigen zu können? Oder war es ein Geheimdienst eines Staates, der bewußt angesetzt wurde, um über den zu erwartenden medialen Pranger noch weitergehende staatliche Zugriffsmöglichkeiten auf Privatvermögen durchzusetzen? Daß nun in Österreich und Luxemburg über eine „Lockerung“ des Bankgeheimnisses diskutiert wird, dürfte kein Zufall sein. Daß mit Duncan Campbell und Nicky Hager zwei ausgewiesene Geheimdienstspezialisten zum ICIJ-Team gehören, die Wesentliches über das US-Überwachungsnetzwerk Echelon (JF 28/10) veröffentlicht haben, ist ebenfalls interessant.

Fragen wie diese spielen nur eine Nebenrolle; stattdessen regiert der mediale Pranger und der Generalverdacht gegen „Reiche“, sollen sich in den Dokumenten doch auch „Hunderte von Namen aus Deutschland“ finden. Es ist aufgrund ihres Recherchevorsprungs vor allem die SZ, die sich in der Rolle des Anklägers gefällt. Entsprechend reißerisch fallen die Beiträge der SZ-Journalisten aus: „Ein Streifzug durch die Heimat von Gier und Geiz zeigt, welche Menschen Offshore-Geschäfte machen und wie sie geheime Briefkastenfirmen aufsetzen.“

Was der Blick hinter den „Vorhang der Anonymität“ bisher zutage gefördert hat, ist bis jetzt eher unspektakulär: Mit Blick auf Deutschland ist es vor allem das Firmengeflecht des im Mai 2011 verstorbenen Playboys und Industriellen-Erben Gunter Sachs, das die SZ mit reißerischen Schlagzeilen wie „Playboy im Steuerparadies. So funktioniert das System Sachs“ präsentiert. Sachs wird vorgehalten, ein „verwinkeltes Offshore-Konstrukt“ errichtet zu haben, „das für die Finanzbehörden bis zum Schluß undurchschaubar blieb“. Ist das, was die SZ als „System Sachs“ bezeichnet, bereits eine Straftat? Ein schlagender Beleg dafür, daß Sachs oder sein Berater vorsätzlich Straftaten begangen haben, ist bisher nicht erkennbar. Festzuhalten bleibt, daß die Gründung eines Offshore-Trusts – eine treuhänderische Konstruktion, die im kontinentaleuropäischen Zivilrecht weitgehend unbekannt ist – nicht verboten ist, sofern die Steuern vorher entsprechend deklariert worden sind.

Ins Gerede ist weiter die Deutsche Bank geraten, der im Verein mit anderen Instituten vorgeworfen wird, ihren Kunden bei Offshore-Geschäften geholfen zu haben. Sie soll bis ins Jahr 2010 über ihre Filiale in Singapur 309 Briefkastenfirmen und Trusts gegründet haben. In wessen Auftrag diese aufgesetzt wurden und was der Geschäftszweck sei, wolle „die Bank nicht sagen“. Postwendend polterte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück: „Wir sollten härtere Strafen für jene Finanzinstitute einführen, die zum Steuerbetrug einladen oder daran mitwirken.“ Und warum hat er es als Finanzminister nicht gemacht?

Unangenehm ist die laufende Kampagne bisher vor allem für Frankreichs Präsident François Hollande, dessen Wahlkampfmanager Jean-Jacques Augier als Besitzer zweier Briefkastenfirmen auf den Kaimaninseln ins Gerede gekommen ist. Augier bestreitet, etwas Illegales getan zu haben. Hollandes Haushaltsminister Jérôme Cahuzac trat schon vor „Offshore Leaks“ wegen seines geheimen Kontos in der Schweiz zurück.

Verdienstvoll ist die Offenlegung der Daten dort, wo sie zur Aufdeckung der Ausplünderung so mancher Staaten durch Mafiosi, Oligarchen oder Günstlinge beitragen. Mit Blick auf die marode Euro-Zone wird man allerdings das Gefühl nicht los, daß „Offshore Leaks“ zum Anlaß genommen werden könnte, eine Beweislastumkehr durchzusetzen: „Nicht mehr der Staat muß beweisen, daß ihm Geld entgangen ist. Vermögende müssen beweisen, daß sie rechtmäßig gehandelt haben“, befürchten die Deutschen Mittelstandsnachrichten.

 

Internationales Rechercheprojekt ICIJ

Das „International Consortium of Investigative Journalists“ (ICIJ) entstand 1997 als Ableger des Washingtoner Center for Public Integrity (CPI). Das CPI wurde 1989 von dem US-Journalisten Charles Lewis gegründet, der sich mit Enthüllungssendungen auf ABC und CBS einen Namen gemacht hatte. Finanziell unterstützt wird das CPI von Stiftungen wie etwa der Ethics and Excellence in Journalism Foundation, der Ford Foundation, den Pew Charitable Trusts oder der Open Society des Milliardärs George Soros. An den „Offshore Leaks“-Recherchen waren neben Süddeutscher Zeitung und NDR unter anderem die BBC, der Londoner Guardian, die Washington Post, die Pariser Le Monde oder die Schweizer Sonntagszeitung beteiligt. Die Londoner Nichtregierungsorganisation Tax Justice Network hatte bereits 2012 in einem umfangreichen Report ausgeführt, daß weltweit in Steueroasen 21 bis 32 Billionen Dollar angelegt sind.

ICIJ-Sonderseiten zu „Offshore Leaks“: www.icij.org

Studie „The Price of Offshore Revisited“: www.taxjustice.net

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