© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/13 / 12. April 2013

Big Bang für die Steuerzahler
Bankenrettung: Die fiskalischen Kosten der Finanz- und Wirtschaftskrise erhöhten die deutschen Staatsschulden um 300 Milliarden Euro
Christian Schreiber

Die jüngste Weltfinanzkrise hatte viele Väter – und eine Übermutter: Margaret Thatcher. Ihr „Big Bang“ von 1986 beseitigte Kapitalmarktregulierungen und entfesselte einen schuldenfinanzierten Kasino-Kapitalismus, der „The City of London“ vor New York zum größten Finanzplatz der Welt machte. Andere Länder zogen nach, um sich auch ein Stück von dem vermeintlichen Erfolgsmodell abzuschneiden – darunter Deutschland, das vor allem unter Rot-Grün eifrig den Finanzmarktaktivisten zu Dienste war.

Als mit der Lehman-Pleite 2008 das finanzielle Kartenhaus einzustürzen drohte, riefen die angeblich marktradikalen Akteure nach dem Staat: „Too big to fail – zu groß, um zu scheitern!“ In Deutschland übersetzte man es mit „systemrelevant“ – sprich: Wer sich verspekuliert hat, muß vom Staat gerettet werden – sonst stürzt alles zusammen.

Was die großzügigen Hilfen den Steuerzahler bislang kosteten, haben Roland Döhrn und Heinz Gebhardt, zwei Ökonomen vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) und der Uni Duisburg-Essen, analysiert. Demnach verursachte die Krise allein 2009 ein Minus von 70 Milliarden Euro im Bundesetat. Ein Jahr später waren es sogar 117 Milliarden. Für die Forscher ein wenig überraschendes Szenario. Zum einen habe der Staat bereits kurzfristig beträchtliche Mittel für die Bankenrettung bereitgestellt und später Risikopapiere einzelner Banken in die dem Staatssektor zuzurechnenden Abwicklungsanstalten (Bad Banks) übernommen. Zum anderen habe die Bundesregierung zwei defizitfinanzierte Konjunkturpakete verabschiedet.

Für ihre Studie haben die Wirtschaftswissenschaftler die schlechte Finanzlage mit der Entwicklung verglichen, die ohne die Banken-Krise stattgefunden hätte. Ausgegangen sind die RWI-Forscher von den Konjunkturprognosen für die Jahre 2008 und 2009. So hatte die Bundesregierung für das Jahr 2008 noch einen Anstieg der realen Wirtschaftsleistung um zwei Prozent erwartet, für 2009 waren es auch noch 1,5 Prozent. Damals waren für die Jahre 2009 und 2010 jeweils annähernd ausgeglichene Staatshaushalte erwartet worden. „Der Schuldenstand des Staates erhöhte sich durch die Maßnahmen bis Ende des Jahres 2010 um mehr als 300 Milliarden Euro, wodurch sich die Schuldenquote Deutschlands um zwölf Prozentpunkte erhöhte – das entspricht einem kompletten Jahresetat des Bundes.

Nicht enthalten in der Aufrechnung ist die „Rettung“ der Industriebank IKB (JF 34/07) und der SachsenLB, die schon vor Lehman mit irrwitziger internationaler Finanzakrobatik im Ruin gelandet waren. Mit dem Lehman-Zusammenbruch am 15. September 2008 habe sich die Situation dramatisch zugespitzt. „Der Interbankenmarkt brach praktisch zusammen, da Banken sich gegenseitig aufgrund der Ungewißheit über die Werthaltigkeit ihrer Aktiva nicht mehr vertrauten.“ In Deutschland war als erste Bank die Hypothekenbank HRE offiziell in Schieflage geraten – pikanterweise genau einen Tag nachdem die Mithaftungsfrist der privaten HypoVereinsbank (von der italienischen Unicredit übernommen) verjährt war.

Die HRE hat dann mit der Deutschen Bank und anderen Kreditinstituten (die bei einer HRE-Insolvenz in Gefahr geraten wären) unter Beteiligung der Bundesregierung über ein Rettungspaket verhandelt – zu Lasten des Steuerzahlers. Der Staat habe in der Finanzkrise dann weiter massiv in den Wirtschaftskreislauf eingegriffen. Durch die beiden von der Regierung auf den Weg gebrachten Konjunkturpakete sei eine regelrechte Kostenexplosion entstanden. Rund 80 Milliarden Euro hätten Abwrackprämie, niedrigere Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung oder Investitionen in die Infrastruktur gekostet. Die Studie beschreibt diese Maßnahmen allerdings insgesamt als höchst wirksam. Sie hätten dazu beigetragen, die deutsche Wirtschaft anzukurbeln.

Dennoch sei unter dem Strich ein Defizit geblieben. Abzüglich der Einnahmen, die durch die Konjunkturmaßnahmen erzielt wurden, ergebe sich ein Fehlbetrag von 47 Milliarden Euro für die beiden Jahre 2009 und 2010. Als weiteren Grund für die Negativentwicklung nennt die Studie die sogenannten automatischen Stabilisatoren, die von der Regierung während der Krise genutzt wurden. Fachkreise verstehen darunter Eingriffe des Staates, die entgegen dem Konjunkturverlauf wirken und somit die Wirtschaft während einer akuten Krise entlasten sollen. So gibt der Staat in der Krise mehr für Arbeitslose aus. Die Macher der Studie beziffern die Mehrausgaben durch diese stabilisierenden Ausgaben auf 53 Milliarden Euro im Jahr 2009. Ein Jahr später seien es immer noch 29 Millionen gewesen.

Wenig überraschend ist die Feststellung, daß der weitaus größte Teil der Kosten durch die Rettung maroder Banken entstanden sei. Die Commerzbank, die zweitgrößte deutsche Privatbank, die von der Allianz die vergiftete Dresdner Bank übernommen hatte, wurde teilverstaatlicht. Auch weitere Landesbanken, die das ganz große Finanzrad mitdrehen wollten, wurden zum Schwarzen Loch für Steuergelder. Die Bundesregierung rief daher im Herbst 2008 einen Sonderfonds „Finanzmarktstabilisierung“ ins Leben, der bis heute höchst defizitär ist, weil zahlreiche Banken die damals erhaltenen Hilfen noch nicht zurückzahlen konnten.

Auch der Umgang mit den milliardenschweren „toxischen Papieren“, die aus den Banken ausgelagert werden mußten, hat den Staat viel Geld gekostet. Insgesamt weisen die Forscher darauf hin, daß ihre Arbeit keinesfalls als endgültig zu verstehen sei, es handele sich vielmehr um eine Zwischenbilanz. Doch bereits dieses Fazit ist beängstigend. Es sei völlig unklar, wie sich der erhöhte Schuldenstand langfristig auf die Wirtschaft auswirken werde – und die Kosten der Euro-Krise sind noch gar nicht dabei.

RWI-Studie „Die fiskalischen Kosten der Finanz- und Wirtschaftskrise“ ist erschienen im „IBES-Diskussionsbeitrag“ 198/13 des Instituts für Betriebswirtschaft und Volkswirtschaft (IBES) der Universität Duisburg-Essen:

www.rwi-essen.de

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