© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/13 / 12. April 2013

Bis an die Grenzen der Erde
Von der Radikalität des Evangeliums: Papst Franziskus weist deutliche Parallelen zu seinem Vorgänger auf
Gernot Facius

Treffen sich zwei Päpste ... Bis vor kurzem hätte man das für einen Scherz gehalten. Doch am 23. März wurde das Realität. Franziskus, der Pontifex „fast vom Ende der Welt“, wie er sich den Gläubigen auf dem Petersplatz vorstellte, und sein Vorgänger Benedikt XVI. nebeneinander knieend in der Kapelle der Sommeresidenz Castel Gandolfo: ein historisches Ereignis, gewiß, aber zugleich eine Demonstration, daß der Wechsel auf dem Stuhl Petri keinen Bruch mit dem Pontifikat des „deutschen Papstes“ bedeuten muß.

Wieviel Benedikt steckt in Franziskus? Der Stil wird anders sein, bescheidener. Der Jesuit aus Buenos Aires präsentiert sich als Virtuose der Einfachheit, das ist für manche in seiner Kirche gewöhnungsbedürftig. Aber programmatisch dürfte kein Blatt Papier zwischen den Argentinier und den Deutschen passen.

Papst Franziskus predigt das Ideal einer armen Kirche. Wenn man so will, so ist das eine Zuspitzung der „Entweltlichungsrede“ von Joseph Ratzinger während seines Deutschlandbesuchs im September 2011. Der neue Stellvertreter Christi auf Erden wird die Radikalität des Evangeliums in den Mittelpunkt rücken, er wird wie Benedikt am Bild einer missionarischen Kirche arbeiten, dabei allerdings stärker auf die Volksfrömmigkeit setzen. Der Benedikt-Biograph Peter Seewald faßte die Hoffnungen, die auf Franziskus ruhen, in einem plakativen Vergleich mit dessen beiden Vorgängern zusammen: „Johannes Paul II. hat das Schiff Petri im Sturm gehalten und gefestigt. Benedikt XVI. hat dieses Schiff, das so verschmutzt ist, zu reinigen begonnen und die Mannschaft auf Kurs gebracht. Franziskus wird nun den Maschinenraum in Gang setzen, damit das Schiff Petri wieder seetauglich wird.“

Im Vorkonklave hat der damalige Kardinal Jorge Mario Bergoglio eine Rede wider die Selbstbezüglichkeit der Kirche, die permanente Beschäftigung mit sich selbst, und den „theologischen Narzißmus“ gehalten; er hat die Gläubigen dazu aufgerufen, mit apostolischen Eifer aus sich herauszugehen und sich an die „Peripherie“ zu wagen, denn die Verkündigung des Evangeliums sei der eigentliche Daseinszweck der Kirche. Aus diesen Worten spricht die Abneigung gegen ausufernde Strukturdebatten, wie sie gerade in Deutschland an der Tagesordnung sind.

Franziskus skizzierte zwei Kirchenbilder: die Kirche, die das Wort Gottes ehrfürchtig vernimmt und getreu verkündet, und die „mondäne Kirche“, die in sich, von sich und für sich lebt. Hier lassen sich am deutlichsten die Parallelen zu Benedikt erkennen. Sebst ein Blatt wie Die Zeit, das geneigt ist, bei jeder Gelegenheit Bruchstellen in der katholischen Hierarchie aufzuspüren, mußte konstatieren: „Bergoglio schloß an Ratzingers Theologie an, indem er erklärte, die Kirche sei nicht die Welt. Aber (und da liegt der Unterschied) Kirche sei Kirche nur in der Welt. Nicht im Rückzug, sondern in der Offensive. Nicht geduckt, sondern aufrechten Gangs.“

Einen eklatanten Widerspruch zu Benedikt wird man guten Gewissens wohl kaum konstruieren können, denn auch der emeritierte Papst hat unter „Entweltlichung“ nicht einen Rückzug verstanden. Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, von Joseph Ratzinger auf den Stuhl des Präfekten der Glaubenskongregation berufen, hat das so ausgedrückt: Entweltlichung sei Voraussetzung und nicht Gegensatz zur Weltverantwortung.

Papst Franziskus artikuliert sich nur kräftiger als sein Vorgänger. In Anlehnung an die Apostelgeschichte sagte er in der Ansprache an die Kardinäle kurz nach seiner Wahl: „Geben wir nie dem Pessimismus nach, jener Verbitterung, die der Teufel uns jeden Tag bietet; geben wir nicht dem Pessimismus und der Mutlosigkeit nach. Wir haben die feste Gewißheit, daß der Heilige Geist mit seinem mächtigen Wehen der Kirche den Mut schenkt, fortzufahren und nach neuen Wegen der Evangelisierung zu suchen, um das Evangelium bis an die Grenzen der Erde zu bringen.“

Es war der deutsche Papst, der – vielleicht etwas spät – in der Mißbrauchs-affäre klare Kante zeigte. Er war es, der die Bischöfe zur Transparenz in dieser beschämenden Angelegenheit verpflichtete. Franziskus hat das schon zwei Wochen nach seiner Amtseinführung aufgegriffen. Er forderte die vatikanische Glaubenskongregation unter dem deutschen Erzbischof Gerhard Ludwig Müller auf, „mit Entschlossenheit“ auf Fälle sexuellen Mißbrauchs zu reagieren und die „von Benedikt verfügte Linie“ fortzuführen. Die Kurienbehörde wurde angehalten, sich für Präventivmaßnahmen zum Schutz von Minderjährigen und Hilfe für die Opfer einzusetzen.

Franziskus, auch das wurde offenbar, entzieht sich jeder, besonders in Deutschland so beliebten, Schubladisierung. Er ist ein Papst, der gegenüber den Armen Zeichen setzt, aber in Naturrechts- und dogmatischen Fragen keine Kompromisse macht. Das läßt sich an seiner entschiedenen Ablehnung der „Homo-Ehe“ ablesen. Sie ist für ihn eine „Intrige des Vaters der Lügen“, des Teufels. Damit stößt er natürlich im deutschen Sprachraum bei den amtskirchenkritischen Gruppierungen auf Vorbehalte, die sich neben einem neuen Verständnis des Priestertums eine „erneuerte Moralehre, vor allem bezüglich der Empfängnisverhütung und Homosexualität“ wünschen.

Aber die deutschen Katholiken sind in einer absoluten Minderheitenposition: gerade mal zwei Prozent von weltweit rund 1,2 Milliarden. „Heiße Eisen“ wie Zölibat, Sexualmoral, wiederverheiratete Geschiedene, die von den Sakramenten ausgeschlossen sind, dominieren in anderen Weltregionen nicht so sehr die kirchenpolitischen Debatten.

Der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, ein Dominikaner, bringt die veränderte Situation auf den Punkt: Gerade auch für Europa und die deutschsprachigen Länder werde durch den Papst aus Südamerika der Blick auf die katholische Weltkirche geweitet, „gerade weil wir uns selbst allzu oft als Zentrum der Welt fühlen“. Weitere Überraschungen sind nicht ausgeschlossen. Kardinal Karl Lehmann hat vermutlich recht: „Wir stehen vor spannenden Wochen.“

Foto: Papst Franziskus mit Benedikt XVI. am 23. März 2013 in Castel Gandolfo: „Den Maschinenraum in Gang setzen“ (Peter Seewald)

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