© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/13 / 12. April 2013

Euro-Krise
Der neue Anfang
Wilhelm Hankel

Über tausend Jahre lang versuchte der alte Kontinent vergebens und blutig, sich mit militärischen Mitteln zu vereinigen. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs versucht er es zum ersten Mal friedlich: kommerziell über das Zusammenwachsen seiner Volkswirtschaften und Märkte. „Gekrönt“ werden sollte dieser Integrationsprozeß monetär: durch ein gemeinsames Geld – den Euro.

Doch was so gut gemeint war, entwickelt sich zum Fiasko. Das gemeinsame Geld der 17 Euro-Staaten, ein Währungsanzug, der für keine der beteiligten Volkswirtschaften in Europa paßt – denn für die einen ist er zu eng geschneidert, für die anderen zu weit und locker –, entpuppt sich für beide Seiten der in dieselbe Gelduniform gesteckten Vereinigungskandidaten zum Alptraum. Die einen haben sich mit dem gemeinsamen Geld in den Staatsbankrott gewirtschaftet, denn es war für sie zu leicht und zu billig zu bekommen. Den anderen droht der Verlust ihrer hart und mühsam erarbeiteten Ersparnisse, denn diese werden jetzt gebraucht, um „den Euro zu retten“: in Wahrheit jedoch das in den Bankrottstaaten der Euro-Zone falsch investierte Kapital – vornehmlich eines Finanzsektors, der sich dort mit seinen Euros gründlich verspekuliert hat.

Die Bürger des vorläufig noch besser dastehenden Nordens der Euro-Zone haben nur noch die Wahl, wie und an wen sie ihr Geld verlieren: an die ihnen früher oder später drohende Inflation samt nachfolgender Währungsreform oder als Steuerzahler über die frisch aus der Taufe gehobenen Euro-„Rettungsfonds“, einen „Fiskalpakt“ und eine „Bankenunion“, die beide nur schlecht kaschierte Umschreibungen für Griffe der EU in die Steuerkasse der Nord-Euro-Staaten und ihre zum Schutz der Spareinlagen gebildeten Bankrückstellungen sind.

Den Südstaaten der Euro-Zone aber ist auferlegt worden, den Staatsbankrott – finanztechnisch ist er längst eingetreten – dadurch abzuwehren, daß sie trotz Krise (rückläufige Wirtschaftsleistung, sinkende Einkommen) vermehrt sparen. Doch wie und woraus?

Kann so der Euro „gerettet“ werden, daß man den Anrainerstaaten des Mittelmeeres – Europas älteste Kulturregion von Griechenland über Italien bis Spanien und Portugal und demnächst vielleicht auch noch Frankreich – zumutet, notwendige Operationen an ihrem Wirtschafts- und Sozialkörper ohne Betäubungsmittel vorzunehmen – als schmerzliche und sozial unerträgliche „Vivisektion“?

Denn darauf läuft es hinaus, wenn ihnen verordnet wird, ihre verlorengegangene Wettbewerbsfähigkeit und Exportstärke über eine „reale Abwertung“ oder das „Kaputtsparen“ ihrer Einkommen, Renten und Sozialleistungen vorzunehmen statt „nominal“ über Währungsabwertung und Veränderung des Wechselkurses, wie es die moderne Wirtschaftswissenschaft seit langem fordert.

Es ist immer leichter, „einen Preis zu verändern, nämlich den Wechselkurs, als es mit einer unübersehbaren Vielheit inländischer Preise und Kosten zu versuchen“, gab bereits zu Beginn des europäischen Integrationsprozesses ein großer Ökonom zu bedenken (Milton Friedman, 1953).

Diese humane Rettung aus und vor der Euro-Krise aber würde bedeuten: Die Südstaaten der EU verlassen die Euro-Zone und treten geschlossen aus der Währungsunion aus. Das wäre zwar ihre Rettung, aber zugleich das Ende des Euro! Weil letzteres nicht sein darf, müssen Europas älteste Kulturnationen wie zu barbarischen Zeiten für den Erhalt des Euro zwar nicht Menschenopfer erbringen, aber doch soziale Verstümmelungen in Kauf nehmen.

Doch die von dieser Kur à la Dr. Eisenbarth erhoffte Genesung wird es nie geben, nur die weitere Schwächung des gequälten Patienten. Irgendwann wird er sich gegen diese Miß- statt Behandlung auflehnen und sie sich nicht mehr länger gefallen lassen. Es wächst die Gefahr, daß das Nordufer des Mittelmeeres in einer Eurobellion versinkt, ähnlich der Arabellion am Südufer – zwar aus unterschiedlichen Motiven, aber mit denselben Folgen.

Und die Europapolitiker und Euro-Retter? Sind sie blind für Erfolglosigkeit und Folgen ihrer Politik? Oder verbohrt und verblendet? Oder so zynisch wie Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker, der davon überzeugt ist, Eu­ropa „brauche seine Krisen, um weiter voranzukommen“?

(...)

Dabei gibt es ein Mittel, Europas Zerreißprobe abzuwehren, Europas Bürgern im Norden wie Süden der Euro-Zone ihre akuten Sorgen zu nehmen und sie wieder mit Optimismus in die Zukunft blicken zu lassen: Die Euro-Staaten kehren zu ihren alten vom Euro verdrängten Währungen zurück und verbinden diese mit dem Euro zu einem neuen EU-weiten Europäischen Währungsverbund: dem des Euro+ (€+).

Es ist ein Gedanke, den Anfang der 1980er Jahre schon einmal jemand hatte: der damalige Schatzkanzler und spätere Nachfolger Margaret Thatchers, John Major. Doch als er ihn in die Debatte einbrachte, verfiel er ohne Diskussion der kollektiven Abwehr der Kontinentaleuropäer: Sie wollten ihren künftigen Euro solo.

Doch jetzt schlägt leicht verändert und aktualisiert seine Stunde. Zugleich wäre seine Annahme der Test, ob und inwieweit sich John Majors heutige Nachfolger im Amt wirklich noch als „gute Europäer“ fühlen.

Ein Europa der zwei Währungen für jeden Staat und seine Bürger brächte die EU aus ihrer heutigen Zerreißprobe und der ihre Zukunft gefährdenden Selbst­isolierung heraus:

• der innere Währungsgraben zwischen Euro-und Nicht-Euro-Ländern wäre verschwunden;

• Euro-Raum und Währungsunion wären, wie angestrebt, identisch;

• die EU und ihr Euro wären beitrittsoffen und attraktiv für jedes Land in Europa, das noch nicht Mitglied der EU ist: für die Schweiz so gut wie für Norwegen oder Rußland. Keines dieser Länder müßte bei seinem Beitritt zur EU und zum Euro+-Verbund auf die Fortführung seiner nationalen Währung verzichten.

Die entscheidende Frage ist: Wie funktioniert ein solches „zweikreisiges“ Währungssystem, und welche Vorteile bringt es dem Bürger? Da das Vorwort zu einem Buch nicht „alles“ enthalten kann und zur Lektüre der folgenden Kapitel und Seiten ermuntern will, sei hier nur das Wichtigste verraten:

• Jedes EU-Land legt amtlich den Euro-Kurs seiner Währung fest – der freilich im Bedarfsfalle geändert werden kann, denn manche Länder können noch nicht, siehe oben, auf das Abwertungsventil verzichten;

• Rechnungen werden in beiden gesetzlichen Währungen erstellt, die auch als Zahlungsmittel gelten. Geldautomaten, Scheck- und Kreditkarten werden entsprechend programmiert.

• Der Vertrag mit der Europäischen Zentralbank (EZB) legt fest, daß der neue, in jede EU-Währung umtauschbare Euro+ von ihr nur gegen Ankauf von EU-Währungen in Umlauf gebracht wird und als Währungsmaßstab (monetäres Metermaß) weder auf- noch abwertbar ist. Alle EU-Währungen können gegenüber diesem Euro nur ab-, nicht aufwerten.

• So entsteht mit dem neuen und parallelen Euro+ ein europäischer „Goldstandard ohne das gelbe Metall“. Der neue Euro+ ist für Bürger, Sparer, Anleger und Investoren der Wirtschaft „so gut wie Gold“: inflations- und abwertungssicher. Es gibt im Euro-Raum nicht mehr Geld- als Wertschöpfung wie heute – denn die Geldmenge bleibt gleich. Die EZB kann nur ihre Zusammensetzung verändern.

• Und: Die EU kann auf Rettungsfonds, Fiskalpakt sowie Schulden- und Bankenunion verzichten. All diese Instrumente und Greifarme des EU-Leviathans werden überflüssig. Ebenso der größte Teil der EU-Nomenklatura. Warum beschäftigen wir sie weiterhin und bezahlen sie mehr als fürstlich, wenn ein sich selbst im Gleichgewicht haltendes System die Dienste solcher Nothelfer nicht braucht?

Es wird zum Test auf Anstand und Moral der heutigen Berufseuropäer werden, ob sie sich und, wenn ja, wie sie sich mit ihrer Entmachtung abfinden.

• Wer immer langfristig sparen und investieren will, kann es ohne Zukunftsängste und -risiken in diesem Euro tun.

Mit dem neuen Euro würde die Flucht aus und vor dem alten Euro ihr Ende finden – und damit Europas Auszehrung an und mit wagnisbereitem Risikokapital. Dagegen bekäme die Flucht des Auslands in diesen Euro Auftrieb. Joseph Schumpeters „dynamische Unternehmer“ würden nicht mehr unter zu engen Märkten für Aktien- und Beteiligungskapital leiden, noch drohte John Maynard Keynes’ „animal spirits“ der Marktwirtschaft die von ihm so gefürchtete Erschlaffung.

(...)

Auch die Geldgeschichte gefällt sich in ironischen Wendungen, wenn sie dem Euro als einstigem „Währungskiller“ aufgibt, sich jetzt von seinen Opfern retten zu lassen, weil er sonst keine andere Überlebenschance hat.

Nach dem verfehlten Friedensschluß des Ersten Weltkriegs sah John Maynard Keynes – in seinen „Economic Consequences of the Peace“ von 1919 und danach in seinem „Tract on Monetary Reform“ von 1923 – die verheerenden Folgen von Deutschlands Überlastung mit Kriegsreparationen, der Ursache seiner Überschuldung, und der voreiligen Rückkehr zum alten Vorkriegsgoldstandard mit seiner Blockierung monetärer Krisenbekämpfungsinstrumente hellsichtig wie kein zweiter Ökonom dieser Epoche voraus. Er warnte vor einem „schwarzen Freitag“, dem „alternativlosen“ Abbruch des Goldstandards und dem Umschlagen bislang kalter Handels- und Währungskriege in einen zweiten heißen Weltkrieg. Alles trat ein: 1929, 1931 und 1939.

Weil er es verhindern wollte, widmete er seinen „Tract on Monetary Reform“ „demütig und ohne Erlaubnis den Gouverneuren und dem Verwaltungsrat der Bank von England“. Nicht minder demütig widmet der Verfasser dieses Buch, ebenfalls ohne Erlaubnis, dem Präsidenten, den Gouverneuren und den Direktoren der EZB. An ihnen liegt es zu verhindern, daß sich Europas traurige Geschichte in weniger als hundert Jahren wiederholt.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel, Jahrgang 1929, ist Währungsexperte und Euro-Kritiker der ersten Stunde. Sein Berufsweg begann 1952 bei der Bank Deutscher Länder. Später wurde er Chef-Ökonom der Kreditanstalt für Wiederaufbau. 1967 berief ihn SPD-Minister Karl Schiller zum Chef der Abteilung Geld und Kredit im Bundeswirtschaftsministerium, wo er die Bankenenquete leitete, aus der die Einlagensicherung hervorging. Bekannt wurde er als Erfinder der Bundesschatzbriefe. 1998 klagte er mit drei Kollegen gegen die Euro-Einführung, 2010 gegen Euro-Rettung und ESM. Gegenwärtig kämpft er mit den Freien Wählern für eine europäische Lösung der Euro-Krise.

Wilhelm Hankel: Die Euro-Bombe wird entschärft. Universitas Verlag, München 2013, 176 S, geb., 19,99 Euro.

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