© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/13 / 19. April 2013

„Es gibt sie doch“
Er war der Starreporter des Stern, bis die falschen Hitler- Tagebücher seine Karriere zerstörten. Allerdings, so Gerd Heidemann, trug sich alles ganz anders zu, als heute dargestellt – und die Tagebücher gibt es vielleicht tatsächlich.
Moritz Schwarz

Herr Heidemann, „ein Reporter ist immer nur so gut wie seine letzte Geschichte.“

Heidemann: Und meine letzte Geschichte endete mit einer grandiosen Pleite.

Die gefälschten Hitler-Tagebücher.

Heidemann: Das sind jetzt 30 Jahre ...

Wie konnte Ihnen das nur passieren?

Heidemann: Das habe ich mich – als ich im Frühling 1983 im Autoradio hörte, die Tagebücher seien erwiesenermaßen falsch – auch gefragt. Ich dachte nur: „Wo ist der nächste Brückenpfeiler!“

Sie wollten sich „eine Kugel in den Kopf jagen“.

Heidemann: Das habe ich zu Konrad Kujau gesagt – und meinte es auch ernst! Da wußte ich allerdings noch nicht, daß er der Fälscher war. Er war es, der mir die Tagebücher beschafft hatte. Ich dachte erst, er sei auch Opfer des Schwindels.

Kujau schlauer als der Profi Heidemann?

Heidemann: Ich ärgere mich sehr darüber, wie völlig verzerrt heute alles dargestellt wird! Aber eines stimmt: Ich bin voll auf Kujau hereingefallen.

Dabei galten Sie damals als Starreporter, als „Fanatiker“ des Journalistenberufs („Süddeutsche Zeitung“), einer „der besten Spürhunde des ‘Stern’“, wie der Herausgeber Henri Nannen Sie nannte.

Heidemann: Tja, Kujau, der sich damals als Konrad Fischer ausgab, hatte es sogar geschafft, seinen falschen Namen bei den Behörden einzuspeisen: Es gab etwa an ihn gerichtete amtliche Schreiben, adressiert „An Konrad Fischer“. Der Mann war ein regelrechter Lustlügner, er log sogar, wo es keinen Vorteil bot. Sogar hinterher log er kunterbunt. Und selbst wenn seine Lebensgefährtin vor Gericht seine Lügen sofort richtigstellte, irritierte ihn das nicht im geringsten.

Sie wollen sagen, Sie hatten keine Chance?

Heidemann: Er hatte das einfach clever gemacht: Die Tagebücher-Legende hatte er in eine historisch korrekte Geschichte eingebaut: Angeblich stammten sie aus einem 1945 abgestürzten Transportflugzeug Hitlers. Als ich dann zu recherchieren begann, ließen sich alle Teile der Geschichte belegen: Das Flugzeug, der Absturz, ja die Maschine hatte laut Zeugen tatsächlich persönliche Dokumente Hitlers geladen. Ich fand die Gräber der Absturzopfer, die Angehörigen der Überlebenden, belegende Dokumente bei der Wehrmachtsauskunftsstelle in Berlin. Alles paßte!

Nur, daß Hitler wohl nie Tagebuch führte.

Heidemann: Woher wissen Sie das?

Das steht in fast jedem Artikel, der seitdem zu dem Fall erschienen ist – als Beispiel dafür, daß Sie es hätten besser wissen können, wenn Sie nur gewollt hätten.

Heidemann: Sehen Sie, das meine ich. Heute wird gern alles weggelassen, was die Geschichte plausibel gemacht hat, so entsteht eine neue Legende.

Nämlich?

Heidemann: Nach der „Pleite“ hieß es, Heidemann und der Stern hätten, trunken von Gier nach Sensation, Geld und aus verkappter NS-Nostalgie jede journalistische Sorgfaltspflicht preisgegeben.

So stellt es der Kinofilm „Schtonk!“ dar.

Heidemann: Noch so ein Beispiel. Als ich erfuhr, daß alles verfilmt wird, rief ich den Produzenten an und fragte, warum ich nicht befragt werde? Er versicherte, es handele sich nicht um einen dokumentarischen Spielfilm, sondern um eine Satire, die im Grunde frei erfunden sei.

Das haben Sie so akzeptiert?

Heidemann: Was sollte ich machen? Zudem bot er mir 20.000 Mark dafür, daß sie drehen würden, wie sie wollten.

Haben Sie das Geld genommen?

Heidemann: Klar, ich war pleite.

Sie haben Ihren Ruf verkauft?

Heidemann: Mein Ruf war so oder so ruiniert. Denn wie die Geschichte in Wahrheit war, das schreibt ja keiner. Dabei habe ich Dokumente und Tonbänder in meinem Archiv, die meine Worte belegen können. Aber die will keiner sehen.

Also, was ist aus Ihrer Sicht die Wahrheit?

Heidemann: Vieles sprach für die Echtheit der Tagebücher. Natürlich wollten wir damit auch Geld verdienen, aber es war gar nicht so absurd, daran zu glauben. Nehmen Sie etwa Ihr Beispiel, Hitler habe kein Tagebuch geschrieben.

Es heißt, laut Zeitzeugen sei er schreibfaul gewesen – etwas was Sie ignoriert hätten.

Heidemann: Ganz und gar nicht. Eine der ersten Fragen, die ich gestellt habe, war die, ob jemand bestätigen könne, daß Hitler Tagebuch geführt hat. So fragte ich etwa den ehemaligen SS-General Karl Wolff, zu dem ich beste Kontakte hatte und der immerhin einer von Himmlers Stellvertretern war. Wolff bestätigte mir, Hitler habe sich zurückgezogen, um noch Eintragungen ins Tagebuch zu machen. Auch bin ich im Besitz des Nachlasses des persönlichen Adjutanten Hitlers, Julius Schaub. Dort liest man, Hitler habe Memoranden angefertigt, wohl auch Tagebuch geführt und alles sei in dieser Transportmaschine gewesen. Folglich hat der US-Geheimdienst nach dem Krieg nach „Hitler’s diaries“ geforscht. Und auch die Lebensgefährtin Erich Kempkas, Hitlers Fahrer, sagte, laut Kempka habe Hitler während der Fahrt Notizen gemacht und gesagt, daß er diese ins Tagebuch übertrage.

Moment – Sie wollen also sagen, auch wenn Sie die falschen hatten, grundsätzlich gibt es die Tagebücher?

Heidemann: Ich meine, zumindest gab es unbekannte Aufzeichnungen Hitlers und vermutlich oder vielleicht auch Tagebücher. Hitlers Chefpilot, Hans Baur, bestätigte mir, er habe im April 1945 selbst veranlaßt, die Aufzeichungen Hitlers aus Berlin auszufliegen.

Sie meinen, in der abgestürzten Maschine waren tatsächlich Tagebücher? Pardon, glauben Sie das wirklich?

Heidemann: Sicher persönliche Aufzeichnungen, vielleicht auch Tagebücher.

Vielleicht hat Baur gelogen?

Heidemann: Kann sein, aber er hat der Staatsanwaltschaft zu Protokoll gegeben, Hitler habe ihn nach dem Absturz entsetzt gefragt, ob es die Maschine gewesen sei, in der „alle meine Aufzeichnungen (waren), die der Nachwelt Zeugnis von allen meinen Handlungen ablegen sollen“. Was ich sagen will: Die Möglichkeit, daß es Tagebücher gegeben hat, ist nicht so abwegig, wie heute getan wird.

Die ehemalige „Stern“-Redakteurin Ingrid Kolb berichtet allerdings: „Als ‘Schtonk!’ ins Kino kam, wurden wir oft gefragt:‘War es denn damals wirklich so grotesk bei euch?’ Meine Antwort: ‘Noch viel grotesker!’“

Heidemann: Also wissen Sie, auch hier gehört zur ganzen Wahrheit, daß der Stern die besten Schriftgutachter der Welt beauftragt hat, um Proben der Tagebücher zu prüfen. Das waren der legendäre Ordway Hilton, der die Howard Hughes-Memoiren als Fälschung enttarnt hatte, und der renommierte Max Frei-Sulzer, der 1973 das Turiner Grabtuch untersuchte. Ebenso um Stellungnahme bat der Stern den bekannten Oxford-Historiker Hugh Trevor-Roper, der zuvor den Backhouse-Schwindel enttarnte, und den US-Historiker Gerhard Weinberg, der 1961 Hitlers zweites Buch entdeckt hatte. Ein zu Lebzeiten Hitlers nie veröffentlichtes Manuskript für ein zweites Buch nach „Mein Kampf“. Außerdem prüfte das LKA Rheinland-Pfalz Schriftproben. Alle Genannten bestätigten: Echt! Hand aufs Herz, wenn solch geballter Expertensachverstand grünes Licht gibt, warum sollte man dann dennoch an eine Fälschung glauben?

Weil immer mehr Ungereimtheiten auftauchten, wie Zeitzeugen, die sich an geschilderte Sachverhalte anders erinnerten.

Heidemann: Das stimmt nicht ganz, nur Wilhelm Mohnke, ehemaliger SS-General, fand eine Stelle, die nicht ganz mit der Wirklichkeit übereinstimmte.  Aber nachdem die Experten die Echtheit bestätigt hatten, schlossen wir, daß er sich wohl irren müsse. Er hielt die Tagebücher übrigens dennoch für echt.

Aufgeflogen ist der Schwindel schließlich, weil die Materialprüfung ergab, daß die Bücher chemische Stoffe enthielten, die erst nach 1945 auf den Markt kamen. Warum haben Sie diese Prüfung nicht abgewartet, bevor Sie an die Öffentlichkeit gingen?

Heidemann: Wir hatten bereits 1981 nicht nur um eine Schrift-, sondern auch um eine chemische Prüfung durch das BKA gebeten. Aber die kamen dort einfach nicht zu Potte. Wir haben immer wieder nachgefragt, vergeblich. Schließlich, im Februar 1983, kam ein Anruf: Im Papier könnten Blankophore enthalten sein, was mit einem Original nicht zu vereinbaren sei. Also fuhr ich hin: Es stellte sich heraus, daß die Blätter mit Verdacht auf Blankophore gar nicht zu den Proben aus den Tagebüchern gehörten, sondern zu anderem Material – angeblichen Telegrammen Hitlers – die wir zusätzlich eingereicht hatten. Die Papierproben aus den Tagebüchern zeigten dagegen keine Auffälligkeiten.

Aber?

Heidemann: Aber es blieb eine Irritation: Die Handschrift auf den möglicherweise gefälschten Telegrammen und auf den Proben der Tagebücher war identisch. Heute wissen wir, es war Kujaus Schrift. Damals aber standen wir vor dem Widerspruch, daß die Schriftgutachter die Schrift der Tagebuchproben bereits als echt bestätigt hatten. Was sollten wir jetzt denken? Daß ergo auch die Vergleichsschriftstücke im Bundesarchiv falsch sein müßten? Das erschien nun auch nicht gerade wahrscheinlich. Also kehrten wir zur Frage zurück, ob denn die Telegramme tatsächlich falsch seien. Inzwischen drängte aber die Zeit, denn die Nachricht von der Existenz der Tagebücher war durchgesickert, und es erschienen bereits Pressemeldungen. Also entschloß man sich beim Stern, nun an die Öffentlichkeit zu gehen.

Kurz zuvor kam doch noch das Gutachten.

Heidemann: Ja, und zwar mit dem Ergebnis: Blankophore in den Telegrammen, aber nicht in der Tagebuchproben. Verflixt! Was tun? Es wurde entschieden, nur das positive Gutachten zu veröffentlichen, die Sache mit den Telegrammen dagegen unter den Tisch fallen zu lassen.

Nicht in Ordnung!

Heidemann: So ist es. Da mir Kujau aber erzählte, die Telegramme stammten nicht aus dem Flugzeug, sondern aus anderer Quelle, war ich nicht beunruhigt.

Wer traf denn diese Entscheidung?

Heidemann: Einer der drei Stern-Chefredakteure damals, Felix Schmidt.

Der hat gerade auf vier Seiten in der „Zeit“ den Fall retrospektiv geschildert – davon findet sich dort aber kein Wort.

Heidemann: Tja, da sehen Sie mal.

Also stimmt der Vorwurf, beim „Stern“ „wollte“ man, daß die Bücher echt sind.

Heidemann: Ja, aber es stimmt nicht, daß es dafür nicht auch jede Menge Anhaltspunkte gegeben hätte.

Was ist mit der NS-Faszination, der man beim „Stern“ angeblich verfallen gewesen sein soll?

Heidemann: Beim Stern saßen damals in der Tat noch überall ehemalige, teilweise einst höherrangige Nazis, wie übrigens anderswo auch. Allerdings nicht in der Chefredaktion. Eine hingebungsvolle Stimmung, wie sie in „Schtonk!“ dargestellt wird, kann ich nicht bestätigen.

Ex-Vorstandschef Manfred Fischer wird mit den Worten zitiert: „Es ist ein sinnliches Erlebnis, es in der Hand zu haben. Diese Gewißheit, das hat ‘der’ geschrieben, und jetzt halte ich es in der Hand.“

Heidemann: Ja, das war wohl mehr der Hauch der Geschichte. Fakt ist, ich war überrascht, daß keiner der Chefredakteure die Bücher auch lesen wollte. Persönlich waren die kaum interessiert.

Allerdings galten Sie als der mit dem größten „Nazi-Fimmel“ beim „Stern“, wie eine Ex-Kollegin über Sie sagte.

Heidemann: Noch so eine „Schtonk!“-Legende.

Sie hatten Görings Jacht gekauft, hatten eine Liebschaft mit seiner Tochter Edda, und ehemalige SS-Generäle waren in einer anderen Beziehung Ihre Trauzeugen.

Heidemann: Ich hatte nie eine Liebschaft mit Edda, das ist eine Legende, wir waren nur Freunde. Die Jacht kaufte ich, um sie gewinnbringend zu verkaufen. Zuvor gehörte sie der britischen Königsfamilie und hieß „Prince Charles“, aber das interessiert natürlich keinen. Mit ehemaligen SS-Generälen war ich durch meine Recherchen bekannt. Die Trauzeugenschaft war persönlich und hatte nichts mit „Glanz des Dritten Reichs“ zu tun. Recherchieren Sie meine Artikel und Sie sehen, wie viele, viele Nicht-Nazi-Geschichten ich gemacht habe, und daß die veröffentlichten „Nazi-Geschichten“ alles Anti-Nazi-Geschichten waren. Ich fürchte nur, es hilft nichts, denn die Legende vom dem dem NS-Glanz verfallenen und schließlich über ihn gefallenen Gerd Heidemann gefällt den Journalisten einfach zu gut.

 

Gerd Heidemann, erlangte im Frühjahr 1983 weltweite Bekanntheit, weil er die Tagebücher Adolf Hitlers aufspürte. Ebenfalls weltweit war die Aufmerksamkeit, als sie sich schließlich als Werk des Kunstfälschers Konrad Kujau herausstellten (siehe Seite 19). Auf die „Fälschung des Jahrhunderts“ (FAZ) hereingefallen zu sein, kostete Heidemann seine Karriere. Bis dahin galt er als einer der deutschen Starreporter, der sich mit teils spektakulären Reportagen für den Stern, etwa 1965 über den deutschen Afrika-Söldner „Kongo-Müller“, einen Namen gemacht hatte. Heidemann überlebte als Berichterstatter dreizehn Kriege, rettete 1970 in Jordanien dem bekannten Journalisten Randolph Braumann das Leben und lüftete laut Stern das Pseudonym des Schriftstellers B. Traven, was 1967 zur Vorlage für einen fünfteiligen Fernsehfilm wurde. Nach der Tagebücher-Pleite wurde er wegen Betrugs verurteilt. Zu Unrecht, wie Heidemann betont. Auch habe er nicht, wie Kujau behauptete, einen Teil der für die Tagebücher bezahlten Millionen unterschlagen. Heute lebt Heidemann, Jahrgang 1931, in seiner Vaterstadt Hamburg-Altona.

 

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