© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/13 / 19. April 2013

„Die Zeit ist jetzt reif“
Bundestagswahl: Mit ihrem ersten Parteitag in Berlin hat die Euro-kritische „Alternative für Deutschland“ eine wichtige Hürde genommen
Marcus Schmidt

Drei Prozent. Was auf den ersten flüchtigen Blick enttäuschend wirkt, erweist sich bei genauerem Hinsehen als Durchbruch oder besser: Ausbruch. Denn mit den am Dienstag veröffentlichten Umfrageergebnissen hat die „Alternative für Deutschland“ (AfD) das Ghetto der „Sonstigen“ verlassen und zu den derzeit ebenfalls bei drei Prozent liegenden Piraten aufgeschlossen. „Die AfD hat ein großes Potential. Zwei Drittel der Deutschen lehnen die Milliarden-Rettungsschirme für den Euro ab“, sagt der Chef des Meinungsforschungsinstituts Insa, Hermann Binkert, der Bild, die die Umfrage in Auftrag gegeben hatte.

Für die erst Anfang Februar gegründete Euro-kritische AfD sind diese Zahlen der Lohn der turbulenten Gründungswochen, die am vergangenen Sonntag mit dem ersten Bundesparteitag in Berlin ihren Höhepunkt gefunden hatten. Die Parteiführung um den Hamburger Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke war am Ende des Tages vor allem erleichtert darüber, daß der Parteitag unfallfrei über die Bühne gegangen war. Groß waren vor der Veranstaltung, zu der knapp 1.500 Parteimitglieder ins Berliner Hotel Interconti gekommen waren, die Befürchtungen der Parteiführung, daß der Parteitag aus dem Ruder laufen könnte. Jeder Fehltritt wäre unter den Augen der zahlreich angetretenen Journalisten ein Desaster gewesen. Doch derlei Befürchtungen erwiesen sich von Beginn an als unbegründet.

Die Grundlage für den Erfolg hatte eine bemerkenswert professionelle Organisation der Veranstaltung gelegt. Zudem zeigte Parteichef Lucke Qualitäten, die in der Öffentlichkeit bislang weitgehend unbekannt waren. Der stets freundlich wirkende fünffache Familienvater erwies sich als geschickter Taktiker und vor allem als äußerst durchsetzungsfähiger Parteipolitiker. Im Laufe der Veranstaltung gewann Lucke merklich an Statur und mancher Beobachter kam der auf Angela Merkel gemünzte Ausspruch Horst Seehofers  von demjenigen in den Sinn, der schon verloren habe, wenn er eine Person unterschätze. 

Nachdem die für eine Parteigründung notwendigen Formalien, wie etwa der Beschluß einer Parteisatzung, teilweise etwas holprig über die Bühne gebracht worden waren, riß Lucke die Mitglieder mit einer programmatischen Rede zu wahren Begeisterungsstürmen hin. Diese wußte er in der Folge geschickt zu nutzen. In den Jubel über seine Rede hinein forderte Lucke die Mitglieder auf, per Akklamation für den Antritt der Partei zur Bundestagswahl zu stimmen – es folgte erneut minutenlanger Jubel.

Entscheidender für den weiteren Verlauf und den Erfolg des Parteitages war es indes, daß Lucke die Begeisterung auch ausnutzte, um das vom Vorstand ausgearbeitete Wahlprogramm handstreichartig ohne Diskussion beschließen zu lassen. Änderungen, so sein Versprechen, könne man dann ja am Ende immer noch beschließen.

Doch da noch nicht alle wichtigen Formalien erledigt seien, müsse jeder Streit, der zu „Kindersterblichkeit“ der Partei führen könnte, vermieden werden, begründete er seinen Vorschlag, „das Pferd von hinten aufzuzäumen“, also erst zu beschließen und dann zu diskutieren. Zudem habe der Vorstand das Programm bewußt knapp gehalten und nur das Wichtigste aufgenommen. In die allgemeine Zustimmung hinein brachte Lucke den Parteitag dann auch noch dazu, zu beschließen, daß das Programm nur mit einer Dreiviertelmehrheit geändert werden kann. Derlei Schachzüge schienen vielen Mitgliedern angesichts des äußerst straffen Zeitplans als verständlich, andere sprachen von einem „Demokratidefizit“.

In seiner Rede hatte sich Lucke zuvor noch einmal energisch gegen den Versuch zur Wehr gesetzt, seine Partei in die rechte Ecke zu stellen. Die AfD komme vielmehr aus der Mitte der Gesellschaft. Wie in der Zeit des Vormärz in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts begehre heute die Zivilgesellschaft gegen die Regierung auf, und die AfD werde „wie ein politischer Frühlingsbote begrüßt“. An den Erfolgsaussichten seiner Partei ließ er dabei keinen Zweifel aufkommen: „Weil die Zeit jetzt reif ist! Weil die Zeit jetzt reif ist, um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ökonomischer Vernunft wieder die ihnen gebührende Geltung zu verschaffen!“ Die AfD schicke sich an, als neue Kraft „die Zwangsjacke der erstarrten und verbrauchten Altparteien zu sprengen“, sagte Lucke und diagnostizierte eine „erschreckende Degeneration des deutschen Parlamentarismus“. Fast alle Bundestagsabgeordneten
seien in der Euro-Krise zu „meinungslosen und überforderten Erfüllungsgehilfen der Regierung verkommen“. Grund dafür sei die Behauptung der Bundesregierung, zu ihrer Politik gäbe es keine Alternative. „Sie ist jetzt da: die Alternative für Deutschland“, rief Lucke.

Der Euro-Rettungspolitik stellte er ein vernichtendes Urteil aus: „Wir reden hier über Wortbruch bis hin zum politischen Betrug.“ Den Euro bezeichnete der AfD-Chef als historischen Fehler, der allerdings rückgängig gemacht werden könne. „Wenn der Euro scheitert, dann scheitert nicht Europa. Wenn der Euro scheitert, dann scheitert Angela Merkel“, rief er den begeisterten Mitgliedern zu und fügte an: „Na und?“ Als Ausweg aus der Krise plädierte Lucke für einen Dreiklang von Ökonomie, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Zu Beginn des Parteitages hatte sich der Publizist Konrad Adam, der auch die eigens von der Europäischen Kommission aus Brüssel nach Berlin entsandte Beobachterin begrüßte, bereits energisch gegen den Vorwurf gewehrt, die AfD sei europafeindlich. „Wir wollen auch retten, allerdings nicht unbedingt den Euro, sondern Europa“, sagte Adam und verwies mit Ralf Dahrendorf darauf, daß es bislang keine funktionierende Demokratie jenseits des Nationalstaates gegeben habe.

Daß es den politischen Gegnern der AfD schwerfallen wird, der Partei das Etikett „Rechtspopulismus“ anzuheften, wurde auch an Luckes Verteidigung des Asylrechts deutlich. Dieses sei in den vergangenen Jahrzehnten so weit verschärft worden, daß er sich fast dafür schäme. Zugleich plädierte er dafür, das Arbeitsverbot für Asylbewerber aufzuheben.

An anderer Stelle zeigte sich, daß die Parteiführung offenbar ein feines Gespür dafür hat, daß es mitunter notwendig sein kann, in Formulierungen einen Gang herauszunehmen. So war schon im Vorfeld des Parteitages eine Formulierung in dem Programm „entschärft“ worden, mit der eine „Gängelung der öffentlichen Meinung unter dem Deckmantel der sogenannten ‘political correctness’“ abgelehnt wurde. Zuvor war der  Passus in den Medien in die Nähe des Rechtspopulismus gerückt worden. Auf Nachfrage eines Parteimitgliedes sagte Lucke, es sei manchmal geschickter, sich schriftlich etwas zurückzuhalten. „Wir meinen aber das gleiche“,
 versicherte er dem Mann.

Das mehrheitlich bürgerliche Publikum folgte Lucke auch in diesen Punkten ohne Murren. Viele hatten das Gefühl, an einem neuen Aufbruch teilzuhaben.  „Von den etablierten Parteien fühle ich mich nicht vertreten“, begründete ein 26jähriger Jungunternehmer aus Berlin seinen Eintritt in die „Alternative für Deutschland“. Er sei vom Parteitag positiv überrascht und habe anregende Gespräche geführt. Auch viele andere Teilnehmer schienen nur auf diesen Tag gewartet zu haben. „Ich habe schon lange auf eine Partei wie die AfD gehofft“, sagte ein 74 Jahre altes Parteimitglied aus Niedersachsen. Bislang habe er sich parteipolitisch noch nie engagiert. „Wo auch?“ sagte er.

 

Wie geht es jetzt weiter?

Nach dem Bundesparteitag in Berlin steht für die AfD nun die Gründung der Landesverbände auf dem Programm. Bislang haben sich fünf Landesverbände (Bayern, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt) konstituiert und teilweise bereits ihre Kandidaten nominiert.

Bis zum 15. Juli müssen den Landeswahlleitern die für den Antritt bei der Bundestagswahl notwendigen Unterstützungsunterschriften vorliegen. Je nach Größte des Bundeslandes können das bis zu 2.000 Unterschriften sein. Die Verantwortlichen der AfD sind angesichts der Euphorie rund um die neue Partei zuversichtlich, daß diese Hürde gemeistert werden kann.

Paralel dazu haben die Planungen für den anstehenden Bundestagswahlkampf begonnen. In den nächsten Monaten soll die Parteizentrale von Bad Nauheim nach Berlin verlegt werden. Auf dem Parteitag in Berlin wurden bereits erste Werbemittel für den Straßenwahlkampf präsentiert.

 

Der neue Vorstand

Auf dem Parteitag in Berlin wurden die bisherigen Sprecher (Vorsitzende) der „Alternative für Deutschland“, Bernd Lucke und Konrad Adam, mit großer Mehrheit in ihren Ämtern bestätigt. Den Platz von Dagmar Metzger, die nicht wieder angetreten war, nimmt die bisherige stellvertretende Parteichefin Frauke Petry ein. Zu stellvertretenden Sprechern wurden der Publizist und frühere hessische Staatssekretär Alexander Gauland, der Wirtschaftsjournalist (Ntv, N24) Roland Klaus sowie Patricia Casale gewählt. Zu Beisitzern im Vorstand bestimmten die Mitglieder die Politikwissenschaftlerin Irina Smirnova, die Betriebswirtin Beatrix Diefenbach und den Versicherungsmakler  Wolf-Joachim Schünemann. Zum Schatzmeister wurde der Unternehmer Norbert Stenzel gewählt

Foto: AfD-Chef Bernd Lucke (r.) mit seinen Sprecher-Kollegen Konrad Adam und Frauke Petry; junge Parteimitglieder: Minutenlanger Jubel

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