© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/13 / 19. April 2013

Pankraz,
H. Müller-Vogg und die Melkmaschine

Nicht alle Witze liefern gute Pointen. Manche sind sogar ausgesprochen desaströs, so zum Beispiel derjenige, den kürzlich Hugo Müller-Vogg in der Bild-Zeitung in Stellung brachte: „Wie viele Professoren werden benötigt, um eine Kuh zu melken? Fünf. Einer hält das Euter fest und vier heben die Kuh hoch und runter!“ Müller-Vogg wollte sich damit über die angebliche „Professorenlastigkeit“ der neuen Partei „Alternative für Deutschland (AfD)“ lustig machen, wollte andeuten, daß Professoren nichts von Politik verstehen und die Hände gefälligst davon lassen sollten. Aber der Schuß geht doch voll nach hinten los!

Wenn Professoren sich dem Kühemelken zuwenden, dann lassen sie nicht ihre Muskeln spielen, wie der Witz suggeriert, sondern ihre Intelligenz, wie es im Jahre 1860 geschah, als Louis O. Colvin, seines Zeichens Professor für Ingenieurwissenschaften im US-Staat Wisconsin, die erste einigermaßen brauchbare Melkmaschine zusammenbaute und sich dafür ein Patent geben ließ. Das Konstrukt wurde dann im Laufe der Jahre immer weiter verbessert und effektiver gemacht, aber auch da waren leitend stets Professoren am Werk, etwa die ausgezeichneten Agrar-ökonomen der Universität von Kopenhagen.

Der eigentliche Witz in der Bild-Kolumne geht also nicht auf Kosten der Professoren, sondern schlägt voll auf den Witzeerzähler Müller-Vogg zurück. Der ist offenbar der festen Überzeugung, daß die moderne Parteipolitik letztlich nichts weiter sei als eine große Abmelkerei, wahrhaftig eine Melkmaschine, nur eben eine, die nicht extra von Professoren erfunden werden muß, sondern die viel besser „von ganz alleine“ funktioniert, wenn man nur echte Politprofis an die Zitzen heranläßt.

Bereits Bismarck hat bekanntlich größten Wert darauf gelegt, daß man die Politik nicht als eine Wissenschaft, sondern als „Kunst“ betrachte. Immer wieder hat er im Reichstag oder im Preußischen Herrenhaus darauf hingewiesen. Aber auf den Gedanken, daß man sie deshalb als Melkmaschine mißverstehen, daß man immer nur „frei Schnauze“ melken dürfe, ist er nie gekommen, schon deshalb nicht, weil zu seiner Zeit der Begriff der Politik noch nicht als bloßes Synonym für Schuldenmachen und Umverteilen im Schwange war. Unsere heutigen Politiker mögen große Schuldenmacher und Umverteiler sein, Künstler sind sie deshalb noch lange nicht.

Ihr von Müller-Vogg transportiertes aggressives Ressentiment gegen die Partei AfD speist sich nicht aus künstlerischer Souveränität und Überlegenheit, sondern aus Angst. Sie spüren, daß hier keine konkurrierende Melkerbrigade angetreten ist, sondern Leute, die von den ewigen finanziellen „Rettungsschirmen“ in Milliardenhöhe die Nase gründlich voll haben, damit ernsthaft Schluß machen wollen und dafür im Wählervolk zur Zeit viel virtuelle Zustimmung erfahren. Das ganze „alternativlose“ Vor-sich-hin-Wursteln in Berlin wähnt sich plötzlich in Gefahr, nebst den zugehörigen Pfründen und Erbhöfen.

Trotzdem, findet Pankraz, erstaunt der Rammbock, den man ausgewählt hat, um die AfD von vornherein von der politischen Bühne fernzuhalten. „Professorenpartei“ lautet die höhnische  Niedermachparole, auf die man sich in Sachen AfD schon geeinigt zu haben scheint. „Die beiden wichtigsten Professoren, die jemals in Deutschland Politik gemacht haben“, schreibt Müller-Vogg in seiner Kolumne, „waren Ludwig Erhard (CDU) und Karl Schiller (SPD). Als Wirtschaftsminister haben beide Beachtliches geleistet. Als Kanzler und CDU-Vorsitzender ist Erhard jedoch gescheitert. Schiller hat später als Wahlhelfer der CDU den eigenen Ruf ramponiert.“

Der eine „gescheitert“, der andere „Wahlhelfer“ (der gegnerischen Partei), aber beide als Wirtschaftsprofessoren „beachtlich“ – so kann man keine Politikgeschichte schreiben, so sollte man nicht einmal Wahlkampf machen. Zwar haben sich in den zurückliegenden Krisenjahren tatsächlich viele sogenannte Wirtschaftsexperten tief blamiert, aber gerade Erhard und Schiller hätten mit Sicherheit nicht dazugehört. Sie wußten noch zu rechnen, statt ins ideologisch Leere hineinzukalkulieren. „Genossen, laßt die Tassen im Schrank!“ (Schiller) – das hätte bei ihnen gewiß auch für die heutigen Billionenspiele gegolten.

Genau deshalb wird die AfD von offiziöser Seite ja auch so angegiftet: weil sie sichtlich in den Spuren von Erhard und Schiller, also von vernünftiger, wissenschaftsfreundlicher Wirtschafstpolitik wandelt. Als vor Jahr und Tag die sogenannte Piratenpartei ans Licht der Öffentlichkeit trat, war das bezeichnenderweise ganz anders, es gab nur freundliche bis begeisterte Kommentare über die neue „bloße Studentenpartei“, obwohl von Anfang an klar war, daß es sich lediglich um einen Haufen von Internet-Nerds handelte, die von nichts eine Ahnung hatten, am allerwenigsten von Wirtschaft und Finanzen.

Ob nun aber „bloße Studentenpartei“ oder „bloße Professorenpartei“ – am schlimmsten für das Land wäre à la longue das, was wir – zumindest ansatzweise – bereits haben: nämlich die „bloße Parteienpartei“, ein Regiment, das jegliche Art von Nachdenklichkeit und Geist sorgsam und planmäßig von allen Machthebeln fernhält und deren Repräsentanten zum Teil à la Müller-Vogg maliziös durch den Kakao zieht, zum anderen Teil zu schlichten „Beratern“ herabstuft, die fleißig ihre „Studien“ abzuliefern haben, an denen sich dann die wahren Politiker ausrichten können oder auch nicht.

Die Politik, predigte einst der alte Bebel, ist ein zu wichtiges Geschäft, um sie den Politikern zu überlassen. Das war natürlich ziemlich riskant. Es ist ja gar nicht so leicht zu definieren oder auch nur haltbar zu beschreiben, was Politik ist. Ist sie das Schicksal (Napoleon)? Ist sie ein ewiger Kampfplatz (Tocqueville)? Ist sie das Handeln mit Macht (Jaspers)? Feststehen dürfte nur dieses: Politik ist kein bloßes Kühemelken, einerlei ob per Hand oder mit der Melkmaschine.

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