© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/13 / 19. April 2013

Sich der Bedrohung stellen
Anregungen für den Geist: Zum 14. Symposion des Freundeskreises der Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger in Heiligkreuztal
Hannes Kiebler

Freiheit“ war das diesjährige Thema des XIV. Jünger-Symposions, das vom „Freundeskreis der Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger e. V.“ im oberschwäbischen Kloster Heiligkreuztal veranstaltet wurde. Rund hundert Teilnehmer lauschten am vorvergangenen Freitag dem Eröffnungsvortrag „Anarch, Waldgänger und Désinvolture“ von Dietmar Koch aus Tübingen. Die von Ernst Jünger entworfene Gestalt des Waldgängers widersetze sich jeder Form der Normierung von Menschen, da sie diese als Tyrannis empfindet, erläuerte der Assistent des Philosophischen Seminars der Universität Tübingen. Anarch und Waldgänger wollen Souverän ihrer selbst bleiben und müssen sich der Bedrohung stellen, die daraus resultiert. Überwinden können sie die Bedrohung, indem sie diese annehmen, sie in Positives wandeln und aus ihr Fruchtbares entstehen lassen. Freiheit ist die bewußte Existenz und die Lust, diese selbst zu bestimmen.

Am Samstag wies der Berliner Althistoriker Alexander Demandt auf die Janusköpfigkeit der Freiheit und ihren Mißbrauch als Propagandabegriff hin. Sein Kurzabriß der griechischen und römischen Geschichte zeigte, wie Freiheit, zunächst persönlicher Art, von der Erfahrung der Sklaverei abhängig und daß sie in manchen Situationen gar nicht von allen erwünscht war.

Demandt betonte, daß Freiheit durch Gesetze beschränkt wird und daß sie dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht. Auch mit dem Frieden sei Konfliktpotential vorhanden, da viele Souveräne viele Interessen haben. Dies führe zum Gegensatz der Freiheit des einen gegen die Freiheit des anderen. Deshalb sei Freiheit schutzbedürftig und müsse immer neu verortet werden. Diese Verortung sei eine Machtfrage. Ein Friedensbringer, Befreier oder Retter setze und bestimme die Freiheit, weshalb sie den Namen kaum verdiene. Wahre Freiheit sei immer selbstbestimmt.

Der Heidelberger Germanistikprofessor und Ernst-Jünger-Biograph Helmuth Kiesel stellte das Konzept vor, nach dem er eine historisch-kritische Ausgabe der „Stahlgewitter“ erarbeitet. Jünger hatte den Text ständig überarbeitet und ihn einem enormen Wandel unterzogen. Kritiker verwies er stets auf die Freiheit des Autors, der über sein Eigentum verfüge. Kiesel erkennt in acht Fassungen des Textes zunächst eine Verbesserung der dichterischen Qualität und eine Heroisierung des Textes von 1920 bis 1922,  danach eine politische Instrumentalisierung bis 1924. In der Zeit von 1934/35, als er fürchtet, der Text werde von den Machthabern vereinnahmt, entpolitisiert er ihn wieder, um ihn dann, von 1958 bis 1961 auf das Wesentliche zu bringen und Menschliches zu betonen.

Jörg Magenau, Autor der Doppelbiographie „Brüder unterm Sternenzelt“ (JF 42/12), schilderte die Gemeinsamkeiten der Brüder und näherte sich ihrem Verhältnis von der mystischen Seite. Anhand eines Traumes, den Ernst kurz nach dem Tode des Bruders den Tagebüchern anvertraute, veranschaulichte er, daß in der griechischen Mythologie der Antike beider Denken verwurzelt war. Ihr Leben war geprägt vom Versuch, sich die Natur durch Sammeln, Bestimmen und Ordnen anzueignen, um „das Ganze“ zu begreifen.

Der Übersetzer des „Abenteuerlichen Herzens“ und des „Arbeiters“ ins Russische, Alexander Michailowski, sprach zum Technikverständnis der Brüder. Friedrich-Georg erkannte in der Technik eine Gefahr für die Freiheit des Menschen. Dieser erschaffe die Technik, die zunächst das Leben erleichtere, dann aber zum Selbstzweck werde und den Menschen in Abhängigkeit führe, bis er zum willenlosen Automaten „des Herren Technik“ verkomme. Ernst hingegen sah die Technik nicht als vom Menschen erschaffen an, sondern betrachtete sie als Medium, als eine Art Sprache, die dem Menschen hilft, das Ziel der Schöpfung zu erreichen. Während Friedrich Georg die rein mechanische Technik im Hinterkopf hatte, erahnte Ernst bereits früh die Möglichkeiten organischer Technik und heutiger Telekommunikation.

Der Maler Johannes Thoemmes aus Lübeck war auf der Spur der Gemeinsamkeiten dreier „Freischärler des Geistes“ – Ernst Jünger, Horst Janssen und Bob Dylan. Zunächst sei auffällig, daß dem Werk aller drei ein spezieller Ton eigen sei, der stark polarisiere. Sowohl Dylans Stimme als auch Janssens und Jüngers Stil empfänden Menschen als anziehend oder abstoßend. Grautöne seien selten. Der Tod als Thema sei eine weitere Gemeinsamkeit, welche die Werke der drei Einzelgänger verbinde, führte Thoemmes aus. Darüber hinaus enttäuschten sie Erwartungen von seiten der Öffentlichkeit. Jünger entzog sich „der Bewegung“, Dylan der Friedensbewegung und Janssen einem Kunststil. Neben ihrer unglaublichen Schaffenskraft kokettierten sie alle mit Gefahren, und keiner scheute die Provokation.

Mit dem Vortrag „Exklusive Freiheit – ‘Ein Wort an die Jugend Europas und die Jugend der Welt’“ eröffnete Anna-Sophie Hurst von der Universität Konstanz den letzten Tag des Symposions. Sie widmete sich der Schrift „Der Friede“, die im Paris der deutschen Besatzung entstand und Ende 1943 vollendet wurde. Ihr Druck war für den Zusammenbruch des Reiches geplant, aber zirkulierte als Kettenbrief bereits früher in elitären Kreisen. Nach Hurst stilisierte sich Ernst Jünger zum Propheten, der sich im Augenblick der größten Ausdehnung bereits der Niederlage bewußt ist und das Kollektiv in Form eines Sendbriefs informiert.

Den Beschluß der Vorträge bildete ein Interview Alexander Pscheras mit Julien Hervier, der einen großen Teil von Jüngers Schriften ins Französische übersetzte und mit dem Autor befreundet war. Mit humorvollen Anekdoten aus Jüngers Leben in Frankreich und zu seinen Vorlieben für gutes Essen und guten Wein wurde der Mensch Jünger in den Vordergrund gestellt, um dann mit dem Vorurteil des Gegensatzes zwischen Frankreich und Preußen aufzuräumen.

So bewegt vor allem Ernst Jünger bis heute den Geist.

Ernst und Friedrich Georg Jünger, Zeichnung von A. Paul Weber (1935): In der Antike verwurzelt

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